Ich hab es nicht so gerne, wenn ich mit meinen Dystopien so weitreichend Recht bekomme. Und was den Ukraine-Konflikt betrifft: Ab jetzt lohnt es sich, in Tagesabständen zu posten. Zum Beispiel jetzt.
Es tut mir leid, aber ich muss schon wieder posten. Denn es ist heute der siebente Tag der russischen Invasion in der Ukraine, und es läuft überhaupt nicht so, wie sich der kleine Wladi im Moskauer Kreml vorgestellt hat.
Denn je länger diese Invasion dauert, desto mehr bekomme ich den Eindruck, dass diese mächtige russische Armee eigentlich überhaupt nicht existiert. Sie ist eine Art potemkin’sche Armee, sie hat zwar Panzer und Lkw und schweres Gerät, aber sie tut nicht so, wie klein Wladi will.
Von allen Seiten kommen die Berichte, und es können nicht alle nur ukrainische Agitprop sein. Ich hab ja insgesamt mehrere Jahre in Russland gearbeitet, teils noch in der UdSSR, teilweise schon nach der Revolution, und ich kenne russischen Schlendrian und Make-do. Und es hat schon seine Gründe, warum man bei uns (vor allem in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone) etwas, das wirklich nur so irgendwie hingepfuscht wurde, als ,,russisch“ bezeichnet. Und die jüngsten Berichte aus der Ukraine passen da tadellos dazu.
Da gibt es den Thread auf Twitter von einem ehemaligen US-Soldaten, dessen Job es 20 Jahre lang war, sich um die Reifen von schwerem Offroad-Equipment zu kümmern. Quintessenz: Derartiges Gerät muss mindestens einmal pro Monat bewegt werden, sonst werden die Seitenwände der Monsterreifen mürbe. Und sie sollten auch nicht allzu viel in der Sonne stehen, weil UV-Licht macht die Mischung ebenfalls mürbe. Und nach den Bildern aus der Ukraine, auf denen man genau erkennt, dass es den russischen Radwaffensystemen im Gatsch der Ukrainischen Felder einfach die Reifen von den Felgen zieht (https://twitter.com/TrentTelenko/status/1499164245250002944), könne man eindeutig sagen, so besagter US-Soldat: Diese Lkw wurden mindestens ein Jahr lang überhaupt nicht gewartet.
Und ein weiteres Posting spricht davon, dass besagter Reifen ein billiger chinesischer Nachbau sei, mit dem man allenfalls auf der Strasse fahren könne, aber nicht im Gelände.
Rasputitsa heisst die Zeit, in der der Boden auftaut. Es ist zwar erst März, aber der Klimawandel lässt grüßen. Erst taut natürlich die Oberfläche, während der Untergrund noch gefroren ist. Resultat: Das Wasser kann nicht ablaufen und es entsteht ein Meer an Schlamm, in dem schon ganze Armeen, von Napoleons Garde bis zu Hitlers Wehrmacht, versunken sind. Und jetzt halt Putins Armee. Es gibt auch Bilder von schweren Panzern in tiefem Gatsch, aufgegeben, wobei nicht ersichtlich ist, ob der Sprit ausging oder der Kettenantrieb nicht mehr gegriffen hat.
Als Treppenwitz der Weltgeschichte darf gelten: Genau das ist der Roten Armee auch passiert, im finnischen Winterkrieg 39/40. Dort konnten die schweren Fahrzeuge der Sowjets auch nur auf den (wenigen) Strassen bewegt werden, während die finnischen Soldaten auf Langlaufski von überall her angreifen konnten. Eins hätte geglaubt, dass Onkel Wladimir, der ja dauernd die Geschichte zitiert, aus ihr auch gelernt hätte. Aber Pustekuchen.
Die gesamte russische Armee greift also die Ukraine in der Breite von drei Kamaz-Lkw an. Mehr gehen nebeneinander nicht auf eine asphaltierte Strasse, und im Gelände … leider sind uns die passenden Reifen abhanden gekommen, Genosse, ja ich weiss auch nicht wie, ja es ist eine Schande, dass auch in Russland alles gestohlen wird, was nicht bei drei auf den Bäumen …
Es gibt noch andere Berichte, nach denen es in Wirklichkeit keinerlei übergeordnete Koordination des Einmarsches gibt. So hätten etwa bei den Panzerverbänden nur die jeweiligen Kommandanten eine Funkverbindung zum Gefechtsstand, und die reisse oft ab, weil die Entfernungen so groß sind. Auch würden die Panzerkolonnen ohne begleitende Infanterie vorstoßen, so dass einzelne Panzer plötzlich auf der ukrainischen Tiefeben zu leichten Zielen würden. Das ganze habe, so eine Beurteilung durch den britischen Geheimdienst, den Organisationsgrad eines schlechten Manövers und sei von einem tatsächlichen Krieg in etwa so weit entfernt wie eben Kiew von Moskau.
Anderen Berichten zufolge haben die russischen Verbände zu wenig Proviant bzw. seien die Proviantpakete, mit denen die Russen ausgestattet wurden, vor fünf Jahren abgelaufen. (https://t.me/voynareal/11169) Es habe schon erste Plünderungen gegeben, hauptsächlich für Essen. Und das erste, was gefangene russische Rekruten bekommen, ist ein heißer Tee und etwas zu essen. Und dann lässt man sie ihre Verwandten anrufen. Nicht gut für die russische Propaganda.
Es wäre eine logische Erklärung dafür, warum die Russen nicht weiter vorstoßen bzw. ,,den Sack um Kiew zumachen“, wie uns die p.t. Strategen allabendlich im Fernsehen erklären: Sie haben keinen Sprit. Der 60-km-Kolonne an schwerem Kriegsgerät vor Kiew ist schlicht und ergreifend der Diesel ausgegangen … ganz kann ich das ja noch immer nicht glauben. Aber ukrainische Freunde versichern mir, es sei noch viel absurder, als es klinge.
(Ganz abgesehen davon, dass das russische Gerät ja nicht offroad kann. Also wird am Anfang sowie am Ende des 60-km-Konvois ein bissi was putt gemacht, und feddich. Ende Gelände. Der Konvoi ist neutralisiert, wie ein Stau auf der Tauernautobahn im Juli. )
Ukrainische Freunde erzählen mir ebenfalls, den Russen ginge auch die Munition aus. Also sind sie frustriert, auch weil ihnen bewusst wird, das das noch alles sehr unangenehm werden könne, also ballern sie wie die Blöden auf alles, was sie erreichen können, und nehmen dabei weniger und weniger Rücksicht auf Zivilisten und Kindergärten und so lästiges Zeux. Auch der ORF-Korrespondent Wehrschütz erwähnte am Mittwoch, die Zerstörungswut der russischen Truppen auch von zivilen Objekten nehme deutlich zu.
Dabei sind die ganz schweren Hämmer in Russland ja noch gar nicht gefallen. So fliegen so gut wie alle Fluggsellschaften in Russland westliche Maschinen, von Boeing über Airbus bis Embraer. Und mit den Sanktionen kommen auch keine Ersatzteile mehr. Die meisten Airlines haben so für einen Monat Teile. Aber längst sind die komplexen Handbücher für’s Service online, und die sind schon jetzt nicht mehr erreichbar. Auch die Motoren der Maschinen, von RR bis GE und Pratt&Whitney, sind in Echtzeit mit ihren Lieferanten im Westen verbunden. Wahrscheinlich können die Russen ihre Westmaschinen schon jetzt nur mehr per Hack starten … und auch die alten Tupolews und Iljuschins sind schon verschrottet oder hergeschenkt und vor allem auch hier gibt’s keine Teile mehr. Weil – hehe – die Mehrheit der sowjetischen Flugzeugindustrie in – erraten – der östlichen Ukraine war.
In einem Land so groß wie Russland nicht mehr fliegen zu können, ist eine absolute Katastrophe. Und im europäischen Teil kann eins ja zur Not auch noch per Zug fahren (obwohl russische Züge kein Vergnügen sind. BTDT). Aber jenseits des Ural ist da schlagartig aus, Städte wie Perm oder Novosibirsk sind ohne Flugzeug praktisch nicht erreichbar. (Ja, im Winter, per Lkw, wenn der Boden gefroren ist. You gotta be kiddin …)
Jedenfalls hatte die Aeroflot am Donnerstag (laut flightaware.com) zwei Flüge draussen: Einen auf den Malediven, einen auf den Seychellen. Das wird auf die Dauer nicht reichen.
Apple und Microsoft haben ihre Dienste eingestellt, aber auch SAP und HP und Oracle. Mercedes, Volkswagen, Ikea … you name it, alle haben Lieferstop. Wenn dem russischen Mittelstand, so klein er ja auch sein mag, auffällt, wohin ihn Väterchen Wladimir da führt, wird er aber nicht zufrieden sein.
Wenn die Ukrainer noch ein bisserl aushalten, so lange, bis den Russen tatsächlich die ganze Luft ausgeht … wobei: Keine Ahnung, was ER macht, wenn’s wirklich eng wird.
Mit wird schlecht.
Nur meinen ukrainischen Freunden scheint es gut zu gehen. Sie sind gefasst und siegesbewusst. Und ich bin langsam geneigt, es tatsächlich zu glauben: Putin wird diesen Krieg verlieren.
Das wird alles noch sehr schrecklich werden. Aber, kleiner Trost zum Schluss: Den Winterkrieg haben die Finnen auch gewonnen. Sie haben einen hohen Blutzoll bezahlt, aber sie haben gewonnen.
Slawa Ukraini