Hannover und so.

 

Aus dem Reisetagebuch des professionellen Österreichers.

 

Liebes Tagebuch: Und es begab sich, dass der Chaos Computer Club (CCC) zur Mitgliederversammlung rief, also fuhr der Igler nach Hannover.

Nun isses ja alles vorbei und ich sitze im Zug nach Hause. Der silbergraue ICE pfeift stetig vorwärts, draussen ziehen sie Landschaft vorbei, in relativ hohem Tempo. In Hannover schien noch die Sonne, dazwischen Hügel, Heidschnucken, Häuser. Es ist ein schönes Land, dieses Deutschland.

Hannover ist auch eine schmucke Stadt, eine halbe Million Einwohner, ganz viel Grünanlagen. Da kann man echt nicht meckern. Hannover ist die Landeshauptstadt von Niedersachsen, aber das fällt nicht weiter störend auf.

Meine Mutter traf den Mann, dessen Namen ich heute trage, dazumals im österreichischen Widerstand, in meiner Kindheit waren Deutsche nicht die beliebtesten Menschen. Ich war drei oder vier Jahre alt, meine Mutter und ihre Freundin Eri fuhren mit ihren beiden Kindern gen Italien, in einem alten Topolino, Mamis erstes eigenes Auto, von wegen Kind und so, manchmal weinte sie noch ihrer Vespa nach. Egal. Am Strand spielte ich mit einem Kind, dann gab es halt irgendeinen Streit, ich weiß längst nicht mehr worüber, jedenfalls zog ich mit meinem Sandschauferl dem andren Kind einen festen Scheitel. Mami stürzt entsetzt herbei, stellt mich zur Rede. Ich so, cool wie Calvin: „Geh Mami, das macht doch nix, es war eh’ nur ein Piefke“. Das war der Moment, erzählte mir meine Muter später, in dem sie sich entschloss, sorgsamer mit ihren Worten umzugehen, wenn es um die deutschen Nachbarn ging.

Zu spät, der Samen war ausgestreut. Mehrere Jahre in Tirol, in einem Fremdenverkehrsgebiet, in dem die lieben Nachbarn vier Fünftel der Touristen stellten – „Wieso kann man hier nicht in Mark zahlen? Kann ich vom Kaffee ein ganzes Kännchen bekommen? Haben Sie Quarksahnetorte?“ – halfen auch nicht wirklich. Wahrscheinlich hassten wir einfach die Touris, weil sie uns am Nachmittag beim Skifahren im Weg herumstanden, vor dem Skilift, respektive im Weg herumlagen auf der Piste, in diversen Stadien des Anfängersterns. Und es waren halt fast immer Deutsche. Der Rest war Holländer, die standen und lagen zwar auch im Weg herum, fanden es dafür aber auch ganz in Ordnung, dass wir die Deutschen nicht mochten.

So viel zu meiner Sozialisierung in Sachen deutschsprachiger Völkerverständigung. Als in Österreich im Fernsehen die Piefke-Saga lief, fand ich sie nicht überzeichnet, im Gegenteil. Schließlich hatte ich die Typen in natura erlebt. So erwirbt man sich sorgsam gepflegte Vorurteile.

Doch es ist an der Zeit, diese Vorurteile zu knacken (sorry, Mami.) Zu lange war mein Deutschlandbild von Bayern geprägt, Sie wissen schon, dieses Land zwischen uns und ihnen, das weltweit das Beliebteste an den Österreichern mit dem verbindet, was die Deutschen überall so gern gesehen macht. Später fuhr ich viel nach Frankfurt, das hübscheste an der Stadt ist der Flughafen, da kann man in jede Richtung wegfliegen; später kam noch ein wenig Rheinland dazu, dort wo sie Dir die Krawatte abschneiden, dazu im Chor Helau rufen und das lustig finden.

Ich weiß, man soll seine Vorurteile sorgsam pflegen. Aber es geht, um ein geflügeltes Wort aus der Werbung zu borgen, auch anders. Seit einigen Jahren fahre ich vermehrt in den deutschen Norden, erst nach Berlin und Hamburg, jetzt eben auch Hannover. Wirklich gute Nachbarn auf unserer dalmatinischen Insel sind ein ganz entzückendes Hamburger Ehepaar; in Kärnten sind unsere direkten Nachbarn ein Pastorenehepaar aus der Hamburger Friedensbewegung, mit langen, wunderschönen Abendeinladungen, wo vor lauter Diskussion über höchst Interessantes gar nicht auffällt, dass wir schon wieder drei Weinflaschen gezwickt haben und die ganze Quiche Lorraine aufgegessen wurde. Sie sind alles, was man sich von Nachbarn wünscht: Links, freundlich, haben Humor, schätzen einen guten Tropfen und sind, außer entzückend, lustig und hilfsbereit, eine Riesenhetz. So etwas unterminiert ungemein, selbst die solidesten Vorurteile. OK, sie kommen nicht aus Frankfurt und auch nicht aus dem Rheinland. Na ja, vielleicht eben dessentwegen.

Und jetzt der CCC und Hannover. Bleiben wir noch ein bisserl bei der Stadt. Die Menschen dort sind ungeheuer zivilisiert, und es wirkt nicht einmal aufgesetzt. Sonntag vormittag, Frühstück im Kaffeehaus: Jeder, der das Lokal betritt, wünscht laut und freundlich „Guten Morgen“, alle grüßen zurück. Wenn ich das in Wien macht, fragt der Herr Franz besorgt nach, ob’s mir auch gut geht, und ob ich nicht ein bisserl leiser sein könnt’, Herr Doktor, weil sie verstörn mir g’rad den Hofrat ausm zweiten Stock.

Man könnt’ sich dran gewöhnen. Dass einen Menschen auf der Straße zurück anlächeln, wenn man sie anlächelt. Dass Mütter nicht besorgt schauen (Kinderverzarah!) wenn ich ihr Baby anflirte (seitdem ich Opi bin, bin ich ein Kren auf kleine Kinder), sondern auch zurücklächeln, stolz darauf, dass der kleine Zwutsch so viel Gefallen findet. Dass sich Leute bedanken, wenn man ihnen die Tür aufhält. Dass ich hier Männer sehe, die mein Alter haben, graues kurzes Haar und einen Rucksack tragen und ein Beanie aufhaben – hier schaut mich keiner erstaunt an. Hier schaun mehr so aus. Sehr entspannend.

Irgendwie funktioniert auch das mit dem Multi-Kulti besser im Norden. Am Hamburger Bahnhof Dammtor führt eine junge Türkin, mit Kopftuch, den lokalen Dunkin’ Doughnuts. So etwas fällt nur mir auf, die Hamburger scheinen das normal zu finden.

Auch in Hannover ist das Liberale vorherrschend. Die lokale Food-Coop hat vielleicht Schwierigkeiten mit dem freiwilligen Verteildienst ihrer Ernte an die Mitglieder, aber es würde niemandem auch nur im Traum einfallen, sie wegen Verdachts auf illegale Gewerbsausübung anzuzeigen, wie das die Wirtschaftskammer in Wien mit der hiesigen Coop gemacht hat. Und erst die „Kiosk-Kultur“: Kleine Einzelhandelsläden, die entweder rund um die Uhr offen haben oder zumindest dann, wenn Rewe und Co geschlossen halten. Für ein schnelles Bier, oder auch eine Semmel, fürs Frühstück, oder wie man hier sagt: ’n Brötchen. Auch hier regt sich kein Ärmelschoner auf, alle kommen zu etwas, das ganze in einer Stadt in der Größe von Graz … ich kann mir zum Beispiel auch nicht vorstellen, dass sich Graz drei selbstverwaltete Jugend- und Kulturzentren leistet. (Die Grazer, Heimatstadt meiner Familie, mögen mir verzeihen. Sie halten hier als eine Art pars pro toto her.)

Draussen vor den Zugsfenstern weichen die spitzen Backsteintürmchen aus dem Norden Stück für Stück den barocken Zwiebeltürmchen aus dem Süden. Und ich leiste hiermit Abbitte an alle Piefke nördlich des Weisswurstäquator, die ich im Leben beleidigt habe, weil ich sie großmäulig, schnoddrig und nervtötend fand – es hat sich herausgestellt, das sind wir, im Süden.

Im Norden sind sie ganz anders. Wenn dort das Wetter nicht so bescheuert wäre, könnte man glatt auf ein wenig hinziehen.

Und die MV des CCC? Och, nichts wirklich Aufregendes.

Bemerkenswert fand ich, dass am Samstag nur Vorbesprechung war und nur am Sonntag abgestimmt wurde: So konnte am Samstag nach Herzenslust gefetzt werden, am Abend wurde in kleiner Runde noch mal alles durchgekaut, am Sonntag hatten sich die Gemüter schon wieder ein wenig abgekühlt, dann votet es sich auch viel entspannter.

Details? Konstanze zeigte sich – zumindest fast immer – guter Stimmung. Andy wurde gezaust, wegen eines Antrags ebenso wie wegen eines Interviews. Der Vorstand wurde entlastet und wiedergewählt. Und zur Feier der 25. Auflage der Transparenzdebatte gab es am Abend einen kleinen Umtrunk mit einer Hopfenkaltschale beim lokalen Hackerspace. Also eh’ alles so wie immer.