Was ist, wenn alles genau nach Plan verläuft?

Bis jetzt scheinen die Ukrainer unglaublich viel Glück gehabt zu haben, neben großer Tapferkeit und guter Planung. Vor allem die offenbar angestrebte Einkesselung Kiews scheint völlig zum Erliegen gekommen zu sein. Kriegsglück? Oder war es Zufall? Was ist, wenn es genau nach Plan verliefe, nur eben nicht Putins? Eine These.

Könnt ihr euch noch an Tag zwei der russischen Invasion in der Ukraine erinnern? OK, es ist fast schon einen Monat her, aber ganz am Anfang des Krieges bildete sich dieser mysteriöse Konvoi von rund 65 km Länge in Nord-Südrichtung zwischen der bielorussisch-ukrainischen Grenze und der Hauptstadt Kiew. Es dauerte mehrere Tage, bis er auf seine gesamte Länge anwuchs, und er stand ziemlich unübersehbar mitten auf der Landstrasse.

Ein offensichtliches Ziel für einen Angriff der Ukrainer, der aber nie kam. War das ein taktischer Fehler? Meiner Meinung nach ja, aber der von Putin. Von der ukrainischen Seite her war es ein strategisch genialer Zug.

Moment: Ich argumentiere das gleich.

Der Angriff auf Kiew am 24. Februar erfolgte nach einem Plan wie bei einer Schularbeit auf der Militärakademie. Sieben Divisionen mit jeweils zehntausend Mann griffen gleichzeitig auf breiter Front an. Geplant war, per Luftlandetruppen den Flughafen eines Ortes namens Hostomel einzunehmen, das ist ein nördlicher Vorort von Kiew, ungefähr so wie Klosterneuburg zu Wien, nachdem dort die Antonow-Werke sind, gibt’s da einen tip-top ausgebauten Militärflugplatz.

Es begann damit, dass die Ukrainer die Einnahme durch Luftlandetruppen vereitelten, verlustreich, aber sie haben es geschafft, Hostomel ist noch immer unter ukrainischer Kontrolle. Anschließend, ungefähr eine Stunde Fahrzeit von Hostomel entfernt, geriet der Konvoi ins Stocken und fuhr sich fest.

Dieser Konvoi war der Nachschub für die rund siebzigtausend Soldaten mit ihren gepanzerten Manschaftswagen und den fetten T80 Tanks. Russische Technik ist bekannt für ihre Robustheit, aber nicht für Sparsamkeit beim Sprit. Ein T80 verfährt an einem Tag locker rund 2.500 Liter Diesel, soviel passen denn auch in seinen Tank. In einen BMP3 Manschaftswagen gehen 700 Liter hinein, die reichen auch nicht viel länger. Alles in allen waren da ca 7.000 Fahrzeuge unterwegs, und zwölf Kilometer vor Hostomel, bei einem Ort namens Irpin, ging ihnen der Sprit aus, im wortwörtlichen Sinn.

Wohlgemerkt: Das war die Speerspitze des Angriffs. Der Konvoi war der Nachschub.

Aleine an Sprit braucht der ganze Setup – alle sieben Divisionen – vier bis sechs Millionen Liter Diesel pro Tag, schätzen wir einmal konservativ, das entspricht einem Zug mit 70 Tankwaggons, oder eben einem langen Konvoi an Tank-Lkw. Dazu noch Munition, und nicht zuletzt Verpflegung für die Truppe.

Hier ist den Russen, entweder Putin oder eher einem der jetzt unter Hausarrest gestellten Generäle, meiner Meinung nach ein schwerer taktischer Fehler unterlaufen, indem alle Nachschubeier in einen Korb gelegt wurden, sozusagen. Verständlich, wenn eins bedenkt, wie der Rest des Plans aussah: Die Bevölkerung würde zusehen, fallweise freundlich jubeln respektive sich befreit fühlen und die Armee kaum bis keinen Widerstand leisten, der Flughafen Hogomel wird die Basis, von dort wird die Umzingelung der Stadt Kiew eingeleitet, alles aus dem Lehrbuch. Wie in einem Manöver. Und da braucht man jetzt nicht mehrere Nachschubwege einrichten, da ist schon einer organisatorisch schwierig, und überhaupt. Anschließend fangen wir die Regierung ein und setzen eine neue, uns freundlich gesinnte ein, und in drei Wochen sind wir wieder zuhause. Zumindest in diesem Stil scheint das alles geplant gewesen zu sein.

Und jetzt kommt der geniale Zug: Die Ukrainer griffen den Konvoi nicht an. Sie verhinderten lediglich, dass er tatsächlich ankam aka dass der Nachschub durchkam. Wobei es die Russen wirklich probiert haben, mindestens sechs Tage lang. Sie brachten sogar eine fahrbare Pontonbrücke mit. To no avail, wie der Franzose sagt: Es war alles umsonst. Und bis heute, drei Wochen nach Kriegsbeginn, ist die Einkesselung nicht gelungen. Passend dazu hier der Twitterfaden meines journalistischen Kollegen Tomi Ahonen, der das alles akribisch rechechiert hat. Und hier eine Reportage von den Kollegen des Wall Street Journal mit den Special Forces der Ukraine im Norden der Hauptstadt.

Ihr kennt sicher den Witz: Vater und Sohn Stier kommen über den Hügel und sehen eine Herde friedlich grasender Kühe. „Papi, Papi, komm lass‘ uns schnell hinunterlaufen und eine Kuh bumsen!“ „Nein, mein Sohn. Lass uns ganz langsam hinuntergehen und eine nach der anderen bumsen.“ Genau so gingen die Ukrainer vor, nämlich langsam, aber zielgerichtet.

Während einer ganzen Woche ließen die Ukrainer den Konvoi ein wenig vorrücken, aber nie ans Ziel kommen, was bedeutet, der in diesem Konvoi gebundene Nachschub hat die russische Truppe nie erreicht. Ich lehne mich jetzt ein wenig aus dem Fenster und behaupte: Das war Absicht. Hätten die Ukrainer den Konvoi am ersten Tag angegriffen, hätten die Russen zwar den Konvoi verloren und damit den Nachschub, aber wären anschließend sofort dazu über gegangen, einen neuen zu organisieren, diesmal möglicherweise nicht alles auf einmal, und die Panzerspitzen hätten noch rechtzeitig mit Treibstoff und Munition versorgt werden können. So aber war der russische Generalstab offenbar der Meinung, der Nachschub wäre ja ,,eh schon fast da“ und wozu einen neuen organisieren. Erst nach drei Tagen begann die russische Seite, neue Lkw zu organisieren. Die dazu notwendigen rund 200 Lkw mussten aus verschiedenen Armeebasen zusammengeholt werden und anschließend in den Süden von Weissrußland fahren, das dauert noch einmal zwei Tage. Und beim erstklassigen Servicezustand russischer Armeehardware kam ein erklecklicher Teil der Lkw erst einmal gar nicht an, sondern blieb auf der Fahrt irgendwo liegen.

Die angreifenden Divisionen mussten in der Zwischenzeit einerseits Sprit sparen und hatten andrerseits wenig Munition und konnten daher weder agil kämpfen noch die Einkesselung von Kiew vervollständigen. Zwar flogen Hubschrauber die dringendsten Dinge ein, aber es reichte nicht für eine Offensive.

Der ursprüngliche Plan hätte einen permanenten Shuttle mit schweren Lkw zwischen der bielorussischen Basen und der neu zu errichtenden Basis auf dem Flughafen der Antonov-Fabrik vorgesehen. Mangels dieser Basis brach der Angriff auf die Hauptstadt mehr oder weniger zusammen.

In der Zwischenzeit taten die Ukraïner das, was sie offenbar am besten können: Sie führten einen Abnützungskrieg, und das relativ erfolgreich. Die russischen Truppen, fast durchwegs blutjunge Rekruten, begannen, ohne Treibstoff und Munition, ihre Panzer und Kampfwagen einfach stehen zu lassen und liefen davon. Auch waren die Ukrainer sehr erfolgreich im Umgang mit von der Schulter abzuschießenden, also tragbaren, Waffen sowohl gegen Fahrzeuge als auch gegen Helikopter. Per heute, also knapp drei Wochen nach dem Einmarsch, meldet die Ukraine: ,,Seit Kriegsbeginn … betragen die gesamten Kampfverluste der russischen Invasoren 14.200 Mann, 450 Panzer und 93 Flugzeuge.“ Daneben verloren die russischen Kräfte – so die Ukraine – 1.448 gepanzerte Kampffahrzeuge, 205 Artilleriesysteme sowie 72 MLRS (Multiple Launch Rocket System aka Stalinorgeln), heißt es weiter. Und: ,,Darüber hinaus zerstörten die (ukrainischen) Streitkräfte 43 feindliche Luftverteidigungen, 93 Flugzeuge, 112 Hubschrauber, 879 Fahrzeugeinheiten, 3 Schiffe / Boote, 60 Treibstofftanks, 12 UAV (Drohnen) auf operativer und taktischer Ebene sowie 11 Einheiten mit Spezialausrüstung.“ Nachzulesen hier. OK, was davon tatsächlich wahr ist, lässt sich jetzt nicht wirklich nachprüfen. Aber aus verschiedenen Quellen (Geheimdienste der USA und der Briten) hört man ähnliche Dimensionen, so in der Richtung könnte es schon stimmen.

Das muss man sich mal geben: 14k Tote alleine auf russischer Seite. Wenn das stimmt, hat Putin in drei Wochen in der Ukraine fast so viele Soldaten verloren wie die UdSSR in acht Jahren Afghanistan (dort waren es rund 17k). Das kann auch er nicht lange durchhalten.

Bislang jedenfalls haben die Russen – bis auf einmal, nach der ersten Woche – keine Verlustzahlen bekannt gegeben.

Auf Oryx, einem aus den Niederlanden betriebenen Website, kann eins es auch auf Englisch nachlesen, so eins des Kiryllischen nicht mächtig ist. So erfahren wir dann, dass rund die Hälfte der Fahrzeuge erbeutet respektive verlassen vorgefunden wurde, das sind die berühmten ukrainischen Bauern, die mit ihren Traktoren gefilmt wurden, als sie aufgegegebene T72 einfach wegschleppten.

Die Taktik der Russen ist immer gleich: Eine Stadt einkesseln, sich erst gar nicht auf einen Häuserkampf einlassen, sondern sie mit Raketen und Artilleriebeschuss sturmreif schießen, bis sie aufgibt oder einfach zu existieren aufhört. So war es in Grosny, der tschetschenischen Haupstadt, so war es im syrischen Aleppo (ich könnte heute noch heulen, das war so eine schöne Stadt. Und 4000 Jahre alt. Diese Barbaren), und genau so machen sie es derzeit mit Mariopol. Und so wollten sie es auch in Kiew machen. Und deshalb schießen sie jetzt in Kiew, und im Südosten, wo sie sich auch festgefahren haben, alles kurz und klein, möglicherweise im Versuch, das Kriegsglück doch noch zu erzwingen.

Ich lehne mich jetzt weiter aus dem Fenster und behaupte: Das war auf der ukrainischen Seite von Anfang an der Plan.

Ich weiß, muss nicht sein, Kriegsglück, Zufall, blah blubb. Aber ich glaube nicht an Zufälle, vor allem nicht an so viele auf einmal. Die ukrainische Armee hat in den sechs Jahren seit dem Donbas deutlich dazu gelernt, sie wurde von britischen und US-Spezialeinheiten trainiert, sie werden mit Aufklärung und infosec von den USA und der Nato unterstützt, aber am Ende des Tages sind sie, zumindest auf dem Papier, den russischen Invasoren hoffnungslos unterlegen. Das muss auch, von Anfang an, Zelenski und seinem Generalstab bewusst gewesen sein. Auf der anderen Seite haben die Mehrheit von ihnen selbst in der russischen Armee (oder halt in der Roten Armee der UdSSR) gedient, sie kennen ihre Gegner gut, und sie kennen deren Schwächen. Ich halte es für durchaus realistisch, dass das von seiten der Ukraine von Anfang an als einzig mögliche Verteidigungsstrategie geplant war, und sie scheint glorios aufgegangen zu sein. Die Schlacht um Kiew hat Putin verloren und Zelenski gewonnen. Eine taktische Meisterleistung, Chapeau.

Und wenn sie das geplant hatten, dann haben sie auch für den Rest noch einen Masterplan. Ich lehne mich jetzt ganz weit aus dem Fenster und sage: sie werden diesen Krieg gewinnen. Es wird sie unsäglich viele Leben kosten, vor allem zivile, denn die Russen werden noch ein Massaker anrichten, aber die Ukrainer werden gewinnen. Denn Putin wird nicht nachgeben, er wird das durchstehen. Bis zum bitteren Ende.

Keine Ahnung, wie das aussehen wird. Wenn ich mir jetzt schon den Mund verbrenne, dann behaupte ich, Putin wird verlieren, sich zurückziehen und deutlich geschwächt sein auch in seiner Position nach innen. Und länger als zwei, drei Jahre wird er sich nicht halten können.

Wie das alles geschehen wird? Keine Ahnung. Wird er Atomwaffen einsetzen? Meine Kristallkugel ist gerade in der Reinigung. Wird es einen Weltkrieg geben? Wahrscheinlich nicht. But who knows.

Jetzt ist euch schlecht? Mir ist schon lange schlecht. 105 Kinder sind bis jetzt im Bombenhagel gestorben. Hundertfünf. Kleinkinder. Babies. Kinder. Djeca. дітей. Hundertfünf Söhne und Töchter. Ich geh‘ jetzt in meinen Polster schreien …

Wir leben in interessanten Zeiten.

слава україні

Putins Potemkin

Ich hab es nicht so gerne, wenn ich mit meinen Dystopien so weitreichend Recht bekomme. Und was den Ukraine-Konflikt betrifft: Ab jetzt lohnt es sich, in Tagesabständen zu posten. Zum Beispiel jetzt.

Es tut mir leid, aber ich muss schon wieder posten. Denn es ist heute der siebente Tag der russischen Invasion in der Ukraine, und es läuft überhaupt nicht so, wie sich der kleine Wladi im Moskauer Kreml vorgestellt hat.

Denn je länger diese Invasion dauert, desto mehr bekomme ich den Eindruck, dass diese mächtige russische Armee eigentlich überhaupt nicht existiert. Sie ist eine Art potemkin’sche Armee, sie hat zwar Panzer und Lkw und schweres Gerät, aber sie tut nicht so, wie klein Wladi will.

Von allen Seiten kommen die Berichte, und es können nicht alle nur ukrainische Agitprop sein. Ich hab ja insgesamt mehrere Jahre in Russland gearbeitet, teils noch in der UdSSR, teilweise schon nach der Revolution, und ich kenne russischen Schlendrian und Make-do. Und es hat schon seine Gründe, warum man bei uns (vor allem in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone) etwas, das wirklich nur so irgendwie hingepfuscht wurde, als ,,russisch“ bezeichnet. Und die jüngsten Berichte aus der Ukraine passen da tadellos dazu.

Da gibt es den Thread auf Twitter von einem ehemaligen US-Soldaten, dessen Job es 20 Jahre lang war, sich um die Reifen von schwerem Offroad-Equipment zu kümmern. Quintessenz: Derartiges Gerät muss mindestens einmal pro Monat bewegt werden, sonst werden die Seitenwände der Monsterreifen mürbe. Und sie sollten auch nicht allzu viel in der Sonne stehen, weil UV-Licht macht die Mischung ebenfalls mürbe. Und nach den Bildern aus der Ukraine, auf denen man genau erkennt, dass es den russischen Radwaffensystemen im Gatsch der Ukrainischen Felder einfach die Reifen von den Felgen zieht (https://twitter.com/TrentTelenko/status/1499164245250002944), könne man eindeutig sagen, so besagter US-Soldat: Diese Lkw wurden mindestens ein Jahr lang überhaupt nicht gewartet.

Und ein weiteres Posting spricht davon, dass besagter Reifen ein billiger chinesischer Nachbau sei, mit dem man allenfalls auf der Strasse fahren könne, aber nicht im Gelände.

Rasputitsa heisst die Zeit, in der der Boden auftaut. Es ist zwar erst März, aber der Klimawandel lässt grüßen. Erst taut natürlich die Oberfläche, während der Untergrund noch gefroren ist. Resultat: Das Wasser kann nicht ablaufen und es entsteht ein Meer an Schlamm, in dem schon ganze Armeen, von Napoleons Garde bis zu Hitlers Wehrmacht, versunken sind. Und jetzt halt Putins Armee. Es gibt auch Bilder von schweren Panzern in tiefem Gatsch, aufgegeben, wobei nicht ersichtlich ist, ob der Sprit ausging oder der Kettenantrieb nicht mehr gegriffen hat.

Als Treppenwitz der Weltgeschichte darf gelten: Genau das ist der Roten Armee auch passiert, im finnischen Winterkrieg 39/40. Dort konnten die schweren Fahrzeuge der Sowjets auch nur auf den (wenigen) Strassen bewegt werden, während die finnischen Soldaten auf Langlaufski von überall her angreifen konnten. Eins hätte geglaubt, dass Onkel Wladimir, der ja dauernd die Geschichte zitiert, aus ihr auch gelernt hätte. Aber Pustekuchen.

Die gesamte russische Armee greift also die Ukraine in der Breite von drei Kamaz-Lkw an. Mehr gehen nebeneinander nicht auf eine asphaltierte Strasse, und im Gelände … leider sind uns die passenden Reifen abhanden gekommen, Genosse, ja ich weiss auch nicht wie, ja es ist eine Schande, dass auch in Russland alles gestohlen wird, was nicht bei drei auf den Bäumen …

Es gibt noch andere Berichte, nach denen es in Wirklichkeit keinerlei übergeordnete Koordination des Einmarsches gibt. So hätten etwa bei den Panzerverbänden nur die jeweiligen Kommandanten eine Funkverbindung zum Gefechtsstand, und die reisse oft ab, weil die Entfernungen so groß sind. Auch würden die Panzerkolonnen ohne begleitende Infanterie vorstoßen, so dass einzelne Panzer plötzlich auf der ukrainischen Tiefeben zu leichten Zielen würden. Das ganze habe, so eine Beurteilung durch den britischen Geheimdienst, den Organisationsgrad eines schlechten Manövers und sei von einem tatsächlichen Krieg in etwa so weit entfernt wie eben Kiew von Moskau.

Anderen Berichten zufolge haben die russischen Verbände zu wenig Proviant bzw. seien die Proviantpakete, mit denen die Russen ausgestattet wurden, vor fünf Jahren abgelaufen. (https://t.me/voynareal/11169) Es habe schon erste Plünderungen gegeben, hauptsächlich für Essen. Und das erste, was gefangene russische Rekruten bekommen, ist ein heißer Tee und etwas zu essen. Und dann lässt man sie ihre Verwandten anrufen. Nicht gut für die russische Propaganda.

Es wäre eine logische Erklärung dafür, warum die Russen nicht weiter vorstoßen bzw. ,,den Sack um Kiew zumachen“, wie uns die p.t. Strategen allabendlich im Fernsehen erklären: Sie haben keinen Sprit. Der 60-km-Kolonne an schwerem Kriegsgerät vor Kiew ist schlicht und ergreifend der Diesel ausgegangen … ganz kann ich das ja noch immer nicht glauben. Aber ukrainische Freunde versichern mir, es sei noch viel absurder, als es klinge.

(Ganz abgesehen davon, dass das russische Gerät ja nicht offroad kann. Also wird am Anfang sowie am Ende des 60-km-Konvois ein bissi was putt gemacht, und feddich. Ende Gelände. Der Konvoi ist neutralisiert, wie ein Stau auf der Tauernautobahn im Juli. )

Ukrainische Freunde erzählen mir ebenfalls, den Russen ginge auch die Munition aus. Also sind sie frustriert, auch weil ihnen bewusst wird, das das noch alles sehr unangenehm werden könne, also ballern sie wie die Blöden auf alles, was sie erreichen können, und nehmen dabei weniger und weniger Rücksicht auf Zivilisten und Kindergärten und so lästiges Zeux. Auch der ORF-Korrespondent Wehrschütz erwähnte am Mittwoch, die Zerstörungswut der russischen Truppen auch von zivilen Objekten nehme deutlich zu.

Dabei sind die ganz schweren Hämmer in Russland ja noch gar nicht gefallen. So fliegen so gut wie alle Fluggsellschaften in Russland westliche Maschinen, von Boeing über Airbus bis Embraer. Und mit den Sanktionen kommen auch keine Ersatzteile mehr. Die meisten Airlines haben so für einen Monat Teile. Aber längst sind die komplexen Handbücher für’s Service online, und die sind schon jetzt nicht mehr erreichbar. Auch die Motoren der Maschinen, von RR bis GE und Pratt&Whitney, sind in Echtzeit mit ihren Lieferanten im Westen verbunden. Wahrscheinlich können die Russen ihre Westmaschinen schon jetzt nur mehr per Hack starten … und auch die alten Tupolews und Iljuschins sind schon verschrottet oder hergeschenkt und vor allem auch hier gibt’s keine Teile mehr. Weil – hehe – die Mehrheit der sowjetischen Flugzeugindustrie in – erraten – der östlichen Ukraine war.

In einem Land so groß wie Russland nicht mehr fliegen zu können, ist eine absolute Katastrophe. Und im europäischen Teil kann eins ja zur Not auch noch per Zug fahren (obwohl russische Züge kein Vergnügen sind. BTDT). Aber jenseits des Ural ist da schlagartig aus, Städte wie Perm oder Novosibirsk sind ohne Flugzeug praktisch nicht erreichbar. (Ja, im Winter, per Lkw, wenn der Boden gefroren ist. You gotta be kiddin …)

Jedenfalls hatte die Aeroflot am Donnerstag (laut flightaware.com) zwei Flüge draussen: Einen auf den Malediven, einen auf den Seychellen. Das wird auf die Dauer nicht reichen.

Apple und Microsoft haben ihre Dienste eingestellt, aber auch SAP und HP und Oracle. Mercedes, Volkswagen, Ikea … you name it, alle haben Lieferstop. Wenn dem russischen Mittelstand, so klein er ja auch sein mag, auffällt, wohin ihn Väterchen Wladimir da führt, wird er aber nicht zufrieden sein.

Wenn die Ukrainer noch ein bisserl aushalten, so lange, bis den Russen tatsächlich die ganze Luft ausgeht … wobei: Keine Ahnung, was ER macht, wenn’s wirklich eng wird.

Mit wird schlecht.

Nur meinen ukrainischen Freunden scheint es gut zu gehen. Sie sind gefasst und siegesbewusst. Und ich bin langsam geneigt, es tatsächlich zu glauben: Putin wird diesen Krieg verlieren.

Das wird alles noch sehr schrecklich werden. Aber, kleiner Trost zum Schluss: Den Winterkrieg haben die Finnen auch gewonnen. Sie haben einen hohen Blutzoll bezahlt, aber sie haben gewonnen.

Slawa Ukraini