Und es begab sich, dass die beste aller Ehefrauen in Zürich zu tun hatte, und ich sollte sie begleiten. Genauer gesagt in Olten. (Was ist Olten? Die grösste Stadt in Solothurn, aber nicht die Hauptstadt. Was ist Solothurn? Ein Kanton, Soleure auf Französisch. Wie bitte? Vergiss es – Olten ist ein Kaff in der deutschen Schweiz.) Jedenfalls hatten wir dafür sechs Tage Zeit, denn man kam, um Haus und Katzen auf der Insel zu hüten, also zogen wir aus von Split in die Schweiz.
Leider bedeutet das in Wirklichkeit rund 3000 km, also nahmen wir das Dieselschlachtschiff, obwohl wir uns schon auch ernsthaft die Triumph überlegt hatten. Aber wer von Split nach Olten und zurück fährt, macht jede Menge Meter auf der Dosenbahn, einspurig wurde mir das glatt verweigert.
Passt schon, so scharf wär’ ich eh’ auch nicht drauf gewesen. Außerdem hat das Schlachtschiff einen Tempomat. Aber immerhin hatten wir sechs Tage für die Angelegenheit vorgesehen; heißt zwei Tage Hardcore Meter und Geschäftliches machen, und vier Tage bummeln.
So viel Autobahn ist auch mit dem Dieselschlachtschiff nicht aufregend, umso mehr, als es immer dieselbe Strecke ist, die wir fahren. Also machen wir jetzt endlich das, was wir uns schon seit drei Jahren vornehmen, nämlich „Irgendwann, wenn wir einmal Zeit haben, fahren wir da schon in Kroatien quer ab durchs Gebüsch“ … jetzt haben wir Zeit. Also biegen wir nördlich des Velebit scharf links ab, um uns quer durch die Gegend nach Rijeka zu schlagen.
Auf den ersten Blick sieht es aus wie Oberkärnten: Steil, bewaldet und in allen nur erdenklichen Schattierungen von Grün, vom Hellgrün des ganz jungen Laubwald bis zum satten Dunkel der alten Tannenbäume. Zehn Kilometer von der Autobahn ist schon die tiefste slawonische Provinz. Die Landstraße kurvt sanft den Talboden entlang – das wäre jetzt geil auf dem Motorrad. Die Schlaglöcher sind aber auch nicht ohne, und auch die flächigen Frostaufbrüche hinter der engen Kurve, also vielleicht doch wieder nicht. Außerdem sind wir ja sowieso per Schlachtschiff, also was soll’s. Am Straßenrand weiden friedlich Kühe, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Es ist höchst malerisch. Dann kommt die Abzweigung.
„Das willst Du fahren?“ fragt die beste aller Ehefrauen entsetzt und meint den steilen Feldweg, in den ich abbiege. Aber ich war hier schon mal, das ist die Regionalstraße nach Bjela Lasica, und wer wird denn gleich so pingelig sein, überall Asphalt zu erwarten.
Der Karstwald nordöstlich von Rijeka hat eine ganz eigene Atmosphäre. Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein Wald bei uns – Nadel- und Laubbäume gemischt, mit dicht bewachsenem Waldboden mir Farnen und Büschen. Doch wenn man genauer hinschaut, merkt man, dass das Terrain darunter Karstfelsen sind, die so wild zerklüftet sind, dass der Wald einen wildromantischen Aspekt bekommt.
Das muss man sich so vorstellen wie die Macchia bei uns im Süden: Selbst wenn Du es schaffst, durch das dichte Dornengestrüpp zu kommen, ist der Boden darunter so zerklüftet, dass Du dir garantiert ein Bein brichst oder zwei Meter über irgend einen Felsvorsprung fällst, den Du unter der dichten Bodenbewachsung erst erkennst, wenn Du ihn gerade herunterpurzelst.
Nur dass es hier echter Wald ist, so ein Hänsel-und-Gretel-Wald, mit wild aufragenden Felswänden und steil abfallenden Klippen mit kleinen Lichtungen, in die von oben einzelne Sonnenstrahlenbündel fallen, in denen dann die Mücken tanzen und die großen Farne ihre seltsamen Wedel schwenken. Riesige Baumstrünke liegen dort, wo sie umgefallen sind, überwachsen von Moos und Büschen. Dort hinten kommt gleich der Böse Wolf ums Eck, und bei der nächsten Weggabelung steht sicher: Schneewittchen, zwei Kilometer links.
Dort stehen dann nur zwei Orte zur Auswahl, die es partout auf der Karte nicht geben will. Also würfeln wir und nehmen die andere Abzweigung. Nach zwei Stunden haben wir dreißig Kilometer gemacht, auf einer Art Forststraße mit tiefen Furchen. Ob ich da mit der Triumph und der besten aller Ehefrauen hinten drauf noch entspannt gefahren … nach einer weiteren halben Stunde senkt sich die Straße merklich abwärts, links und rechts tauchen Felder auf, in denen zwar noch immer riesige Dolinen klaffen, aber wenigstens dazwischen könnte man schon querfeldein gehen. Und dann ist die Strasse wieder asphaltiert, und wir reiten in ein Karstdorf ein. Eigentlich schaut es aus wie in der Untersteiermark, vor dreißig Jahren. Wir sind in drei Stunden knapp 26 Kilometer Luftlinie weiter gekommen. Aber hübsch war’s. Noch zehn, fünfzehn Kilometer kleine kurvige Landstrasse, dann hat sie uns wieder, die Dosenbahn.
Jetzt aber Meter machen, Herbert, es ist schon Nachmittag, und wir sind noch nicht einmal aus Kroatien draussen.
Gesagt, getan. Triest, Palmanova, Portogruaro, wohin fahren wir eigentlich? Ach ja, Olten. Nach meiner ursprünglichen Planung wollte ich bei Vicenca nordwestlich abbiegen und mich über’s Gebirge ins Trento schlagen, dort irgendwo übernachten und am nächsten Tag über den Brenner und unter dem Arlberg hindurch nach Zürich und weiter nach Olten fahren. Nach drei Stunden ist Vicenca, hier zweigt eine Dosenbahn nordwärts ab, die führt bis Thiene, irgendwann soll sie dann weiter nordwärts führen, über den altopiano dei sette commune und dann durch das Gebirgsmassiv hindurch, um dann zwischen Rovereto und Trento in die Brennerautobahn einzumünden. Gab’s da nicht Widerstand? Irgendwie lassen sich ja auch die Italiener nicht mehr alles gefallen. Egal, ich will jetzt nicht politisch korrekt sein, sondern fahren, und wenn schon nicht Motorrad, dann wenigstens noch einen Pass, also biegen wir vorher westwärts nach Schio ab und fahren weiter, Richtung Pasubio.
Obwohl es Mitte Juni ist und daher abends ganz lange hell, ist es hinter Schio schon dunkel, man sollte sich einen Schlafplatz suchen, wenn geht auch was zu Essen. Torrebelvicino heisst es hier, mag sein, aber man sieht nichts davon, verdammt, das ist hier tiefste Provinz, um halb zehn ist alles dunkel und abgesperrt. Ich dachte, in Italien geht man erst nach neun Uhr abends essen? Na ja, in Rom vielleicht, oder in Firenze, aber das hier ist das Trento, hier wohnen die Ladiner, die sind ehrbar und gottesfürchtig und gehen offenbar mit den Hühnern schlafen. Die Strasse führt stetig bergauf, die Häuser in den Dörfern sind aus Stein und dreistöckig, eng stehen sie links und rechts, dunkel und abweisend. Da, rechts – ein Licht, Albergo und Ristaurante, wir sind gerettet.
Wir sind auch die einzigen Gäste, wir bekommen noch eine Extraportion Pasta mit irgendeiner fatte-in-casa-Sauce drüber, con s-peck, aber es schmeckt anständig und wir gehen gleich schlafen. Für den Gutenacht-Tschick muss die beste aller Ehefrauen vor die Tür, wir schweigen gemeinsam die dunkle Dorfstraße hinunter. Minutenlang kommt kein Auto, dann kommen doch die Carabinieri vorbei, in ihrem Fiat. Na bitte, doch Zivilisation. Wir schlafen tief und fest, als wären wir einen Tag lang auf dem Bock gesessen.
Am nächsten Tag kommen wir drauf, dass wir genau unter dem Pasubio sind, dunkel und steil ragt er vor uns in den Himmel. Wir fahren los. Spitzkehre, dann noch eine, dann noch eine, dann noch eine – bei vierzehn höre ich auf zu zählen.
Wenn es jetzt nicht so regnen würde, wäre das nett mit dem Motorrad zu fahren. Heast, das ist steil.
Sooo hoch sind die Berge hier gar nicht, aber dafür die Talsohlen so tief unten. Gerade mal 2352 Meter ist der Pasubio, 2112 der Colsanto, dazwischen zwängt sich die Passstrasse, aber gleich danach senkt sich der Talboden bis auf 350 Meter Meereshöhe, das fällt ganz schön heftig ab. Mitten auf die steilen Flanken sind dann die Bergdörfer geklebt, irgendwie, die Häuser alle aus Stein und mit zwei, drei Stockwerken, schmal, hoch, mit Schieferplatten gedeckt.
Hier war mal eine Grenze. Im ersten Weltkrieg. Oben auf der Passhöhe können sie sich gar nicht einkriegen, vor Gedenktafeln. Weiter unten haben wir einen Weinberg gesehen, der war so steil terrassiert, das man sich dafür abseilen musste. Hier wächst ein feiner Vernatsch, aber wenn Dir die Leseschere runter fällt, fällt sie ziemlich weit. Und in so einem Terrain haben sich die Idioten den Stellungskrieg gegeben, haben Saumpfade angelegt, den Berg untertunnelt wie einen Schweizer Käse, haben tonnenschwere Geschütze auf die Gipfel geschleppt, und die Munition auch noch. Über hunderttausend von ihnen hat das alleine im Trento das Leben gekostet, drei lange Jahre, alles für Arsch und Friedrich. Oder für Kaiser und Vaterland. Oder auch vielleicht für Gott und Heimat, kreuzen Sie bitte das entsprechende an.
Oben, am Pass, die bronzene Gedenktafel: Italia! Italia! Italia! Manchmal möchte man an seinen Mitmenschen einfach verzweifeln. Als kleine Rache pinkle ich den Stein an, auf dem die Tafel hängt, aber ich fürchte, das wird nicht helfen.
Noch eine ganze Stunde windet sich das Bergsträsschen die steile Bergflanke entlang, von Piano bis Rovereto, dann sind wir auf 200 Meter Seehöhe und in den Gärten wachsen wieder die Palmen. Und auf der Brennerdosenbahn staut es. Na super. Aber das Schlachtschiff hat ja auch eine Klimaanlage. So lümmeln wir entspannt in den Sitzen und hören B.B. King und Amr Diab. Siehst Du, sagt mein kleiner Mann im linken Ohr, sei froh, dass Du nicht auf dem Bock bist, dann würdest Du jetzt im schwülen Regen zwischen Neumarkt und Bozen auf der Dosenbahn herumstehen und auf den Rosengarten starren.
Ich sag’ jetzt einmal gar nix.
Rings herum gäbe es ja noch eine Reihe von wirklich lockenden Pässen, aber die beste aller Ehefrauen besteht darauf, heute Abend in Olten zu sein, also ist der Rest Routine. Und um sechs am Abend sind wir tatsächlich in Olten.
Von Olten selbst ist wenig zu berichten, außer dass es exakt dort lag, wo wir es erwartet hatten, und auch so aussah. Am Tag darauf ist alles, wofür wir unterwegs sind, erledigt, also können wir entspannt wieder nach Hause bummeln.
Zur Rückfahrt wollte ich unbedingt die Via Mala und den Splügenpass nehmen. Auch hier ist Ladiner Land, nur heißen sie hier Romansche, dafür ist der Baustil ähnlich, es ist nach wie vor alles aus Stein. Chur heißt auf Romansch Cóira und ist die älteste Stadt der Schweiz, wir fahren trotzdem vorbei und biegen bei Bonaduz südwärts ab, in die Via Mala hinein. Die sieht so aus, wie man sie sich vorstellt, mit schroff abfallenden Felsklippen und gletschermilchweißem Wasser, das am Boden der Schlucht tobt. Leider wird die romantische Idylle ein wenig durch die Autobahn gestört, die mittendurch führt. Ich meine, ich fahre ja selber und bin nicht wirklich technophob, aber das hier ist schon heftig. Zumal ja auch noch eine Bundesstrasse durchführt. OK, die Autobahn heißt nur Schnellstrasse, aber die etwas engeren Kurvenradien und die fehlende Standspur ändern nix daran, dass das Ding echt quer durch die Landschaft klotzt. Wäre ich ein lokaler Romanscher, wäre ich ordentlich angefressen. Ich bin aber keiner, und wir nehmen die Bundesstrasse.
Die Schlucht ist übrigens an sich sehr beeindruckend. Und bei Andeer ist sie wieder aus. Das anschließende kleine Quertal heißt Rheinwald, wohl weil hier ums Eck mit Vorder- und Hinterrhein derselbe entspringt. Um den Gole di Rofla herum nach Sufers und zum Ort Splügen. Der ist mit 1450 Meter fast schon so hoch wie der ganze Pasubio vor zwei Tagen, und dennoch führt die kleine Straße von hier südwärts noch einmal achthundert Meter hinauf auf den Splügenpass mit 2115 Meter, links die Suretta, rechts der Piz Tambo, dazwischen der Talschluss, weit jenseits der Baumgrenze, es ist eine einzige riesige Geröllhalde, die hinauf sich die schmale Strasse windet. Zwei Kehren vor dem Pass überholen wir im Regen zwei Radfahrer. Wären die jetzt am Mopped, würde ich mir denken, pfau, harte Hunde. Aber am Fahrrad? Dabei ist das sicher die wesentlich härtere Nummer.
Aber von Logik war ja auch nie die Rede, da hätten wir gleich nach Zürich fliegen können.
Auf der Passhöhe ducken sich zwei kleine Steinhäuser und ein Grenzstein, ein Schranken, die Italiener haben sogar eine Fahne wehen, über den Pass peitscht vom Süden her der Regen in heftigen Böen. Es geht ganz besonders steil abwärts. 800 Höhenmeter in knapp 40 Kilometer, um dem ganzen eine Dimension zu geben. Zweihundert Meter unter dem Pass liegt Montespluga, früher einmal ein nur im Sommer bewirtschaftetes Almdorf. Alles ist aus Stein, kein Baum in Sicht. Seit dreitausend Jahren führt hier ein wichtiger Handelsweg von Chur nach Mailand, Gott muss das hier heroben einsam gewesen sein. Eigentlich ist es ja jetzt noch trostlos, umso mehr als es inzwischen in Strömen regnet. Wir parken uns für einen Kaffee ein und bewundern die herumstehenden Moppeds. Ja ja, es ist Samstag und nach Mailand sind es knapp 100 Kilometer. Warum soll das hier anders sein?
Der Herr vor uns sieht aus wie ein gepflegt-erfolgreicher höherer Manager, alleine die Frisur seiner Beifahrerin hat sicher dreistellig gekostet. Die stopft sich jetzt missmutig die teure Frisur unter den teuren BMW-Klapphelm und klettert auf die teure 1200 GS Adventure zu ihrem ebenso schick wie teuer gestylten Partner, um im strömenden Regen mit (hinter?) ihm bergwärts zu fahren. Ich schätze die beiden so um die Mitte Vierzig, was müssen die sich beweisen? Weil so wie Spaß hat das nicht ausgesehen. Einen Augenblick lang überlege ich mir, ob ich ihnen sagen soll, dass es jenseits des Passes nicht mehr regnet. Aber ich sitze ja in einer Dose, also lass’ ich es bleiben.
Anschließend sind die rund 40 Kilometer die reine Kurvenorgie, die wir uns mit Moppedfahrern in jeder Aufmachung plus ein paar wahnsinnigen Radfahrern teilen, bergab drücken die Jungs mächtig an, ob es auf einem Fahrrad so etwas wie Schissrand gibt? Im Regen? Und es gibt mehr als eine Kurve hier, in der Du nicht hinfallen willst, unter gar keinen Umständen, weder nass noch trocken. Und es wäre nicht wegen der Leitplanken, allenfalls wegen Fehlen derselben. Hab’ ich schon gesagt, dass es steil abwärts geht?
Im Winter muss das hier eine schicke Skigegend sein, so nahe bei Mailand, die Dichte der heftig scheußlichen Appartmentblöcken, auf modern-alpin gequält, nimmt mit abfallender Meereshöhe quadratisch zu. Im Tal, hinter Chiavenna, tritt sogar die lokale Rennleitung auf, aber die winken nur irgendeine dicke Harley vor uns an die Boxen.
Je weiter wir nach unten kommen, desto mehr klart es auf, beim Comer See gibt’s dann wieder Palmen und Sonne. Und eine Autobahn, auf der man nix zahlen muss, den ganzen See entlang bis Lecco. Das sind rund 80 Kilometer, davon rund die Hälfte in Tunnels. Ich hätte lieber was bezahlt und dafür in den Tunnels eine ordentliche Beleuchtung gehabt. Du fährst jedes Mal ins absolute schwarze Loch, soviel illegale 100 Watt Birndln kannst Du gar nicht drin haben in Deinen Scheinwerfern. Von einer Sonnenbrille ganz zu schweigen.
Wir wollen heute noch bis Bologna und dann südlich in den Appenin, also werfen wir uns nach Bergamo und machen wieder einmal Meter auf der Dosenbahn. Brescia, Cremona, Parma, Modena – das klingt wie eine Speisenkarte, bringt uns aber nur bis südlich von Bologna. In Sasso Marconi biegen wir ab ins Gemüse. Wer hat übrigens gewusst, dass Guglielmo Marconi hier ein scheußliches, riesengroßes Mausoleum hat? Wir schütteln uns pflichtgemäß beim Vorbeifahren, dann geht es ab in die Berge.
Irgendwie haben die Idee auch andere gehabt, vor allem Bockfahrer. Diesen Teil des Appenin nennen die Italiener Alpe di San Benedetto, und es gibt viel mehr italienische Bockfahrer, als man sich so vorstellt. Und dass die hier so viele Japsen und Joghurtbecher verkaufen dürfen, hab’ ich mir auch nicht gedacht.
Die Gegend ist lieblich hügelig, zwischen 700 und 1200 Meter, auf den einzelnen Hügeln liegen jeweils kleine Städtchen, die in der untergehenden Sonne in allen Erdfarben leuchten, die man sich nur vorstellen kann, von dunkelrostrot über siena und hellbraun bis gelberdig. Auf einem der kleinen Hügel finden wir, was wir suchen, weil man es uns mehrfach empfohlen hat: Das schicke kleine italienische Landhotel mit Superküche. Als wir in den Hof einfahren, reihen sich die BMW und Mercedes neben den Porsches. What ever happened to Alfa Romeo, von Ferrari oder Maserati ganz zu schweigen? Schließlich sind das hier alles Nummernschilder aus Bologna und Firenze, für das Geld muss es doch hier ganz andere Autos geben als Range Rovers und irgendwelche japanischkoreanischchinesische-SUV-Monstren?
Die beste aller Ehefrauen schaut mich an, ich schaue sie an, dann fahren wir wieder aus dem Hof. Der nächste Ort heißt Loiano, dort steht das Hotel Residence Pineta, ein riesengroßer, etwas altmodischer Kasten, in dem das Doppelzimmer fünfzig Euronen kostet. Wir sind das einzige Auto auf dem Parkplatz, der Rest sind nur Motorräder, die meisten aus der Gegend, zwei, drei Österreicher, plus der übliche Genierpiefke. Im Ort gibt es einen dicken Wirt namens Benvenuti, der heißt wirklich so und freut sich einen Affen ab, als wir uns auf die Terrasse setzen wollen. Erstens ist es nicht so kalt, zweitens drinnen schon bummvoll, und last but not least will die beste aller Ehefrauen auch vor dem Essen tschicken.
Herr Benvenuti klagt, dass er seit fünf Wochen die Terrasse herausgeräumt hat, „aber keiner will draußen sitzen, es ist zu kalt hier heroben.“ Siebenhundertfünfzig Meter und so weit südlich wie die Côte d’Azur find’ ich ja nicht so berauschend hochalpin, aber Italiener sehen das anders. Ob uns der padrone ein paar lokale paste machen kann, so zum ausprobieren?
Er kann, wir bekommen pro Person vier Probeteller, dann sind wir abgefüllt, noch ein Liter rosso di casa, und während Herr Willkommen die Formen der einzelnen handgemachten Nudeln und ihre Saucen aus Schwammerln und Ruccola und formaggio bianco und wasweissichnochköstliches im Detail erklärt, dösen wir friedlich in den Abend.
Für die Heimkehr erweist sich das Schlachtschiff wieder einmal als enorm nützlich, weil kann nicht umfallen, unter keinen Umständen. Wir schlafen tief und fest und träumen von Schwammerlsaucen und frischem Löwenzahn.
Am nächsten Tag strahlt die Sonne, und ich schwöre, noch nie in meinem Leben auf Nebenstrassen so vielen Motorradfahrern auf einmal begegnet zu sein. Wir zockeln durch die Landschaft, über winzige, kurvenreiche Landstrassen, die sich über unzählige Hügel hinauf und wieder hinunter winden. Zu Mittag landen wir in einem Kaff namens Firenzuola, mit einem quadratischen Renaissanceplatz und einer hochmodernen Betonkirche aus den Fünfzigern, wer weiß, was sich da für eine Geschichte abgespielt hat. Weil es Sonntag Vormittag ist, ist der ganze Ort erstens auf den Beinen und zweitens auf dem Hauptplatz zu finden, tutta la famiglia von der Oma, die im Kaffeehaus mit anderen Omas tratscht, bis hin zu den Kids, die sich im Fußball auf der piazetta üben. Dazwischen werden Neuigkeiten ausgetauscht, das neue Kleid ausgeführt und der mögliche Schwiegersohn begutachtet.
Wir sitzen unter den Arkaden und essen schon wieder, kleine scharfe Dauerwürste und getoastetes Weißbrot mit köstlichen Aufstrichen und einen ebenso köstlichen Salat und irgendwelche handgewuzelten dicken Nudeln „con uovo, signore“ mit ebenfall köstlicher Sauce, und wir wissen schon wieder nicht genau, was es ist, außer dass es garantiert dick macht.
Anschließend gehen wir ein bisserl Kurven fahren, weil bisher hatten wir ja das noch nicht.
Jetzt fliegen die Moppedfahrer wirklich tief: Die gemütlichen Tourenfahrer, der dicke ältere auf dem dicken älteren Bock, der verhinderte Rennfahrer mit dem knackigen Lederarsch, den er vor mir in die Kurve hängt, als gelte es sein Leben. Die Rudelfahrer, die sich einzeln fürchten und daher immer gemeinsam auftreten. Der junge Mann, der sein Mädchen ausführt. Dazwischen alles andere, Guzzis, Ducatis, Cagivas, aber auch Japsen und die allfälligen Bi-Emme-Wu’s, die eine oder andere Buell und Harley. Die leise an Dir vorübertuckernden. Die hemmungslos laut in die Kurven brüllenden. Die die so knapp an Dir vorbeifahren, dass Du dich fast anscheißt. Und schließlich auch die, die einfach auf Deiner Strassenseite aus der Kurve heraus kommen.
Das wir mit keinem dieser Deppen zusammenstossen, grenzt an ein Wunder.
Wer nach Scarperia fährt und glaubt, dort gibt es Schuhe, wird eines besseren belehrt. Die Spezialität des Ortes, lehrt uns unser Führer, sind Messer. Wir sind die Straße von Firenzuola gekommen, über einen Pass, selbstverständlich, den Giogo di Scarperia, der heißt wirklich so, und je näher wir dem Ort kommen, desto mehr Motorräder gibt es.
Die Eingeweihten grinsen schon, aber wir waren keine Eingeweihten, also kamen wir den Hügel herunter von Ponzalla Richtung Scarperia, und dann sahen wir sie: Zehntausend, nein, fünfzehntausend Motorräder, alle sorgsam abgestellt, auf Wiesen, auf Nebenstrassen, in Höfen, auf Gehsteigen und auf Parkplätzen. Und wenn ich sage abgestellt, dann meine ich abgestellt, wenn der Besitzer des Bockes in der Mitte des Parkplatzes wegfahren will, muss er warten, bis die anderen auch wegfahren, weil sonst kommt er an sein Fahrzeug erst gar nicht heran.
Und in der Ferne hörte man es endlich, das dumpfe Dröhnen, das beim Näher kommen immer heller wird, bis es in der Nähe zu einem schrillen Kreischen wird, das alles durchdringt. Weil auf dem Autodromo del Mugello gab es den alljährlichen Motorrad Grand Prix, und ja, der Rossi hat gewonnen, zum achten Mal, wie die Zeitung am nächsten Morgen beim Frühstück erklärt. Das Foto von Rossi nimmt die halbe erste Seite ein, dabei ist der Kerl doch eh’ so ein Zniachtl.
Ich hab’ nicht einmal kurz überlegt, ob ich stehen bleiben soll, angesichts dieser Massen, weil ein paar Wiesen waren auch mit Pkw zugeparkt, fein säuberlich in Reih’ und Glied, das ist ein gesittetes Volk, die Italiener.
Also fuhren wir die fünf Kilometer bis Borgo San Lorenzo und dann die strada statale 302 wieder nordwestwärts, selbstverständlich über einen Pass, den Colle dell’Alpe, Gott strafe mich, so heißt der, und dann noch einen und dann noch einen, bis nach Faenza hinauf.
So weit im Norden fiel dann die Frequenz der einspurigen Kollegen wieder auf die eines normalen Sonntag Nachmittag, im Juni, bei schönem Wetter, in der Toscana, der Emilia Romagna oder den Marche.
Am nächsten Tag ist Montag, und wir schiffen uns am Abend auf die Fähre nach Split ein. Natürlich sind wir viel zu früh da, aber die beste aller Ehefrauen kommt lieber zu früh als zu spät an. Nebenan liegt eine grosse griechische Fähre, nach Patras, und eine ganze Gruppe von griechischen Motorradkollegen, die offenbar alle in Mugello waren, schickt sich an, sich einzuschiffen, und versammelt sich zu diesem Zwecke vor der Laderampe.
Da fachsimpeln zwei, die Lederhose offen bis zum Bauch. Eine mittelalterliche Dame kramt im Seitenkoffer, zwei graumelierte Herren mit Schmerbauch sitzen auf ihren Böcken, rauchen und trinken je eine Dose. Bier, wahrscheinlich, könnte aber auch Cola sein. Mindestens dreißig Weiblein und Männlein scharen sich da, und das Durchschnittsalter liegt deutlich über dreißig, wenn ich das richtig einschätze.
Irgendwie möchte ich mit diesem Rudelreisen nicht assoziiert werden, also bin ich jetzt ganz froh, wieder im Dieseldampfschiff zu sitzen, da fallen wir wenigstens nicht auf. In Wirklichkeit, vermute ich, geht es bei diesen Rudelauftritten überhaupt nur ums Ankommen und Abfahren und den damit verbundenen Rudeleffekt. Weil Kolonnenfahren auf der Dosenbahn kann einfach nicht so witzig sein.
Ach ja: Gegenüber der Abfertigungshalle schon wieder so eine Bronzetafel. Diesmal in die Stützmauer der hier steil ansteigenden Altstadt eingelassen. „Im Angesicht der Heimat“ lese ich da, „für immer von ihr entfernt … nie vergessen … ewige Treue“ da haben sich die Kolonialitaliener verewigt. 1974 steht da als Jahreszahl, nix erster Weltkrieg. Lernen die Deppen denn nie dazu?
Am Abend legen wir endlich nach Split ab.
Fazit: Dreitausend Kilometer, rund eine Woche unterwegs, und dank Klimaanlage eine Sehnenscheidenentzündung im linken Ellenbogen. „Mit dem Motorrad wäre das nicht passiert“, mault mein Bauch. „Mit dem Motorrad hättest Du jetzt mit den Rudelgriechen einen hoch peinlichen Auftritt hinlegen müssen“, erwidert mein kleiner Mann im Ohr.
Derzeit fatsche ich meinen linken Unterarm. Und fahre wieder regelmäßig mit der Triumph einkaufen. Weil da geht ja auch was rein, in die Koffer.
Grundsätzlich führte die Route von Split nördlich über die Dosenbahn bis Ogulin, von dort westwärts durch den nördlichen Karst (Bjela Lasica) bis Rijeka und Triest, dann A4 Mestre – Padua – Vicenca – Passo Plan – Trento – Brenner – Arlberg – Zürich (jaja, und Olten) und retour via Chur – Splügen – Lecco – Bergamo – Brescia – Cremona (A1) – Bologna – quer durchs Gebüsch zwei Tage bis Ancona – Fähre nach Hause (Split).
Bockmässig relevant waren dabei (es empfiehlt sich jeweils der Blick auf Google Earth)
a) die Strecke durch den Karstwald Bjela Lasica nordöstlich von Rijeka,
b) die Strecke Vicenca –Rovereto (vor allem das Stück ab Schio über den Pasubio vom Veneto ins Trentino hinüber,
c) der Splügen, genauer gesagt von Chur (Schweiz) –Via Mala – Splügen Ort & Pass – Chiavenna und den Comer See entlang,
d) und zuletzt die Alpe di San Benedetto, von der Autobahnabfahrt (A1) Sasso Marconi bis Scarperia und dann die SS 302 nordostwärts bis vor Faenza.
Auf allen Strecken hatten wir reichlich einspurigen Verkehr in beide Richtungen, also bitte nicht hauen, wen wer die beschriebenen Strecken schon kennt/gefahren ist.