Putins Potemkin

Ich hab es nicht so gerne, wenn ich mit meinen Dystopien so weitreichend Recht bekomme. Und was den Ukraine-Konflikt betrifft: Ab jetzt lohnt es sich, in Tagesabständen zu posten. Zum Beispiel jetzt.

Es tut mir leid, aber ich muss schon wieder posten. Denn es ist heute der siebente Tag der russischen Invasion in der Ukraine, und es läuft überhaupt nicht so, wie sich der kleine Wladi im Moskauer Kreml vorgestellt hat.

Denn je länger diese Invasion dauert, desto mehr bekomme ich den Eindruck, dass diese mächtige russische Armee eigentlich überhaupt nicht existiert. Sie ist eine Art potemkin’sche Armee, sie hat zwar Panzer und Lkw und schweres Gerät, aber sie tut nicht so, wie klein Wladi will.

Von allen Seiten kommen die Berichte, und es können nicht alle nur ukrainische Agitprop sein. Ich hab ja insgesamt mehrere Jahre in Russland gearbeitet, teils noch in der UdSSR, teilweise schon nach der Revolution, und ich kenne russischen Schlendrian und Make-do. Und es hat schon seine Gründe, warum man bei uns (vor allem in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone) etwas, das wirklich nur so irgendwie hingepfuscht wurde, als ,,russisch“ bezeichnet. Und die jüngsten Berichte aus der Ukraine passen da tadellos dazu.

Da gibt es den Thread auf Twitter von einem ehemaligen US-Soldaten, dessen Job es 20 Jahre lang war, sich um die Reifen von schwerem Offroad-Equipment zu kümmern. Quintessenz: Derartiges Gerät muss mindestens einmal pro Monat bewegt werden, sonst werden die Seitenwände der Monsterreifen mürbe. Und sie sollten auch nicht allzu viel in der Sonne stehen, weil UV-Licht macht die Mischung ebenfalls mürbe. Und nach den Bildern aus der Ukraine, auf denen man genau erkennt, dass es den russischen Radwaffensystemen im Gatsch der Ukrainischen Felder einfach die Reifen von den Felgen zieht (https://twitter.com/TrentTelenko/status/1499164245250002944), könne man eindeutig sagen, so besagter US-Soldat: Diese Lkw wurden mindestens ein Jahr lang überhaupt nicht gewartet.

Und ein weiteres Posting spricht davon, dass besagter Reifen ein billiger chinesischer Nachbau sei, mit dem man allenfalls auf der Strasse fahren könne, aber nicht im Gelände.

Rasputitsa heisst die Zeit, in der der Boden auftaut. Es ist zwar erst März, aber der Klimawandel lässt grüßen. Erst taut natürlich die Oberfläche, während der Untergrund noch gefroren ist. Resultat: Das Wasser kann nicht ablaufen und es entsteht ein Meer an Schlamm, in dem schon ganze Armeen, von Napoleons Garde bis zu Hitlers Wehrmacht, versunken sind. Und jetzt halt Putins Armee. Es gibt auch Bilder von schweren Panzern in tiefem Gatsch, aufgegeben, wobei nicht ersichtlich ist, ob der Sprit ausging oder der Kettenantrieb nicht mehr gegriffen hat.

Als Treppenwitz der Weltgeschichte darf gelten: Genau das ist der Roten Armee auch passiert, im finnischen Winterkrieg 39/40. Dort konnten die schweren Fahrzeuge der Sowjets auch nur auf den (wenigen) Strassen bewegt werden, während die finnischen Soldaten auf Langlaufski von überall her angreifen konnten. Eins hätte geglaubt, dass Onkel Wladimir, der ja dauernd die Geschichte zitiert, aus ihr auch gelernt hätte. Aber Pustekuchen.

Die gesamte russische Armee greift also die Ukraine in der Breite von drei Kamaz-Lkw an. Mehr gehen nebeneinander nicht auf eine asphaltierte Strasse, und im Gelände … leider sind uns die passenden Reifen abhanden gekommen, Genosse, ja ich weiss auch nicht wie, ja es ist eine Schande, dass auch in Russland alles gestohlen wird, was nicht bei drei auf den Bäumen …

Es gibt noch andere Berichte, nach denen es in Wirklichkeit keinerlei übergeordnete Koordination des Einmarsches gibt. So hätten etwa bei den Panzerverbänden nur die jeweiligen Kommandanten eine Funkverbindung zum Gefechtsstand, und die reisse oft ab, weil die Entfernungen so groß sind. Auch würden die Panzerkolonnen ohne begleitende Infanterie vorstoßen, so dass einzelne Panzer plötzlich auf der ukrainischen Tiefeben zu leichten Zielen würden. Das ganze habe, so eine Beurteilung durch den britischen Geheimdienst, den Organisationsgrad eines schlechten Manövers und sei von einem tatsächlichen Krieg in etwa so weit entfernt wie eben Kiew von Moskau.

Anderen Berichten zufolge haben die russischen Verbände zu wenig Proviant bzw. seien die Proviantpakete, mit denen die Russen ausgestattet wurden, vor fünf Jahren abgelaufen. (https://t.me/voynareal/11169) Es habe schon erste Plünderungen gegeben, hauptsächlich für Essen. Und das erste, was gefangene russische Rekruten bekommen, ist ein heißer Tee und etwas zu essen. Und dann lässt man sie ihre Verwandten anrufen. Nicht gut für die russische Propaganda.

Es wäre eine logische Erklärung dafür, warum die Russen nicht weiter vorstoßen bzw. ,,den Sack um Kiew zumachen“, wie uns die p.t. Strategen allabendlich im Fernsehen erklären: Sie haben keinen Sprit. Der 60-km-Kolonne an schwerem Kriegsgerät vor Kiew ist schlicht und ergreifend der Diesel ausgegangen … ganz kann ich das ja noch immer nicht glauben. Aber ukrainische Freunde versichern mir, es sei noch viel absurder, als es klinge.

(Ganz abgesehen davon, dass das russische Gerät ja nicht offroad kann. Also wird am Anfang sowie am Ende des 60-km-Konvois ein bissi was putt gemacht, und feddich. Ende Gelände. Der Konvoi ist neutralisiert, wie ein Stau auf der Tauernautobahn im Juli. )

Ukrainische Freunde erzählen mir ebenfalls, den Russen ginge auch die Munition aus. Also sind sie frustriert, auch weil ihnen bewusst wird, das das noch alles sehr unangenehm werden könne, also ballern sie wie die Blöden auf alles, was sie erreichen können, und nehmen dabei weniger und weniger Rücksicht auf Zivilisten und Kindergärten und so lästiges Zeux. Auch der ORF-Korrespondent Wehrschütz erwähnte am Mittwoch, die Zerstörungswut der russischen Truppen auch von zivilen Objekten nehme deutlich zu.

Dabei sind die ganz schweren Hämmer in Russland ja noch gar nicht gefallen. So fliegen so gut wie alle Fluggsellschaften in Russland westliche Maschinen, von Boeing über Airbus bis Embraer. Und mit den Sanktionen kommen auch keine Ersatzteile mehr. Die meisten Airlines haben so für einen Monat Teile. Aber längst sind die komplexen Handbücher für’s Service online, und die sind schon jetzt nicht mehr erreichbar. Auch die Motoren der Maschinen, von RR bis GE und Pratt&Whitney, sind in Echtzeit mit ihren Lieferanten im Westen verbunden. Wahrscheinlich können die Russen ihre Westmaschinen schon jetzt nur mehr per Hack starten … und auch die alten Tupolews und Iljuschins sind schon verschrottet oder hergeschenkt und vor allem auch hier gibt’s keine Teile mehr. Weil – hehe – die Mehrheit der sowjetischen Flugzeugindustrie in – erraten – der östlichen Ukraine war.

In einem Land so groß wie Russland nicht mehr fliegen zu können, ist eine absolute Katastrophe. Und im europäischen Teil kann eins ja zur Not auch noch per Zug fahren (obwohl russische Züge kein Vergnügen sind. BTDT). Aber jenseits des Ural ist da schlagartig aus, Städte wie Perm oder Novosibirsk sind ohne Flugzeug praktisch nicht erreichbar. (Ja, im Winter, per Lkw, wenn der Boden gefroren ist. You gotta be kiddin …)

Jedenfalls hatte die Aeroflot am Donnerstag (laut flightaware.com) zwei Flüge draussen: Einen auf den Malediven, einen auf den Seychellen. Das wird auf die Dauer nicht reichen.

Apple und Microsoft haben ihre Dienste eingestellt, aber auch SAP und HP und Oracle. Mercedes, Volkswagen, Ikea … you name it, alle haben Lieferstop. Wenn dem russischen Mittelstand, so klein er ja auch sein mag, auffällt, wohin ihn Väterchen Wladimir da führt, wird er aber nicht zufrieden sein.

Wenn die Ukrainer noch ein bisserl aushalten, so lange, bis den Russen tatsächlich die ganze Luft ausgeht … wobei: Keine Ahnung, was ER macht, wenn’s wirklich eng wird.

Mit wird schlecht.

Nur meinen ukrainischen Freunden scheint es gut zu gehen. Sie sind gefasst und siegesbewusst. Und ich bin langsam geneigt, es tatsächlich zu glauben: Putin wird diesen Krieg verlieren.

Das wird alles noch sehr schrecklich werden. Aber, kleiner Trost zum Schluss: Den Winterkrieg haben die Finnen auch gewonnen. Sie haben einen hohen Blutzoll bezahlt, aber sie haben gewonnen.

Slawa Ukraini

Putin hat sich verkalkuliert.

Der Machthaber im Moskauer Kreml hat sich bei der Invasion der Ukraine offenbar gründlich verkalkuliert. Ob das jetzt besser oder schlechter für Europa ist, wird sich noch herausstellen. Ein Faktencheck.

Jetzt ist es Samstag nachmittag am 26. Februar 2022, zwei Tage nachdem der russische Präsident Wladimir Putin den Befehl zum Einmarsch auf ukrainisches Staatsgebiet gegeben hat (an meinem 70. Geburtstag. Kein schönes Geschenk.) Und so wie es aussieht, läuft es nicht so rund in der Ukraine, zumindest nach den Vorstellungen des russischen Machthabers.

Ja, ich weiß, die sozialen Medien sind jetzt voll mit Russlandspezialisten und Putinerklärern, nachdem die Fachleute für Immunologie und Seuchenbekämpfung aus der Mode gekommen sind. Ich will es dennoch versuchen, schließlich habe ich auf diesem Blog hier und hier schon vor acht Jahren über den Ukrainekonflikt geschrieben.

Putins Weltbild wurde vor 1992 geprägt, da war die Sowjetunion zwar schon teilweise disfunktional, aber sie bestand, und die Ukraine war ein fixer Bestandteil von ihr. Zu der Zeit war ich zweimal in Kiev, da sprach man dort mehrheitlich Russisch, und im Donbas sowieso, Ukranisch, also das altösterreichische Ruthenisch, sprachen allenfalls die Bauern in den Karpaten oberhalb Lembergs, draussen im Westen. Und von einem ukrainischen Nationalismus oder einem Nationalbewußtsein oder irgendetwas dieser Art war weit und breit nichts zu sehen oder hören. So disfunktional war die UdSSR schon geworden, dass wir uns relativ frei bewegen konnten, es wäre uns aufgefallen.

Dass Putin die Ukraine zurück haben will, war eigentlich immer klar. In seinem letzten TV-Auftritt hat er das auch argumentiert. Was Stalin nach dem Weltkrieg so westlich angeflanscht hatte, die Ostkarpaten und Lemberg und so, das gehört sowieso nicht dazu. Also stellt er sich eine geteilte Ukraine vor, mit Lemberg im Westen, als Satellitenstaat, und der Rest gehört zu Russland. Darauf plant er seit Jahren hin, das kann er jetzt endlich durchführen, darum macht er es. Jetzt.

Beharrlich hat Russland seine Armee wieder aufgerüstet und hat auch Erfolge gehabt: In Georgien, in Syrien, in Tschetschenien. Auch die Besetzung der Krim 2014 ging reibungslos und ohne einen Schuss, wahrscheinlich dachte Putin, das könnte vielleicht jetzt auch so gehen.

Offenbar hat er dabei übersehen, dass seit 1992 sehr viel Wasser auch den Dnjepr hintergeflossen ist, die Ukrainer von heute sind nicht mehr die von 1992. Damals waren es Sowjetbürger, man war vereint in seinem Elend und in seiner Sehnsucht nach mehr Berioska und westlichem Luxus, und ob man Russe oder Ukrainer war, war völlig schnurz. Und wer regierte, ebenfalls, am Ende war es immer die Partei.

So dämlich das aus heutiger Sicht auch klingen mag, damals war man im Osten ja überzeugt, für Freiheit und Sozialismus zu sein, man war auf dem richtigen Weg, holprig zwar, aber die Ideologie vereinte die Sowjetbürger, sie gab ihnen etwas, an das sie glauben konnten. Putin und seine Clique haben keine Ideologie, es geht ausschließlich um Macht, Korruption und Ausbeutung. Und dafür werden sich die Ukrainer nicht begeistern lassen, schließlich haben sie seit Maidan 2014 tatsächlich so etwas wie eine Demokratie, mit einer lebhaften Presse und einem offenen gesellschaftlichen Diskurs.

Geplant war offenbar, in einer Kommandoaktion Kiev zu besetzen, die demokratisch gewählte Regierung gefangen zu nehmen oder zu töten und eine Marionettenregierung einzusetzen, egal, irgendwer findet sich da immer. Möglicherweise haben die Russen erwartet, sie würden einfach die Stadt übernehmen, so wie die Taliban Kabul, weil bürgerliches Bewusstsein und Willen zum Widerstand kennt Putin offenbar nicht.

Der Plan ging bisher nicht auf, weder ist Kiev gefallen, noch ist die Regierung geflohen, im Gegenteil, Präsident Selenski posiert wehrhaft im TV und ruft zum Widerstand auf und wird über Nacht zum Nationalhelden, flankiert vom Boxweltmeister und nunmehrigem Kiever Bürgermeister Witali Klitschko. Und die ukrainische Armee von 2022 ist nicht mehr die von 2014, die ein paar Aufständische, mit Hilfe kleiner grüner russischer Männchen, vor sich her treiben konnten. Sicher, am Ende sind die Russen noch immer haushoch überlegen, auf dem Papier zumindest, aber in Zeiten der assymetrischen Kriegsführung zählt das alles nicht. Und auf einen langwierigen Häuserkampf ist die russische Armee nicht trainiert. Dazu besteht sie zu großen Teilen aus konskribierten Rekruten, unterbezahlt, unmotiviert und undiszipliniert. Die ersten Plünderungen durch russische Soldaten soll es schon gegeben haben.

Bedeutet: Wenn das nicht schnell vorbei ist und die Russen die Oberhand gewinnen, wird’s komplex. Dann leiden die Russen, die ja wirklich nicht die Weltmeister in Logistik und Organisation sind, nicht nur an schweren Nachschubproblemen, sondern der Kreml muss den eigenen Leuten auch die Toten erklären, die dann unvermeidlich sind, wenn die Ukrainer sich weiterhin so wehren, wie sie es bisher tun. Weil innenpolitisch wird das ja als Polizeiaktion verkauft, man ,,entnazifiziert“ jetzt endlich mal den Nachbarn, und das Brudervolk wird jubeln. Dass das Brudervolk zurückschießt, stand nicht im Drehbuch.

Die ersten Interviews mit gefangenen russischen Soldaten zeigen ahnungslose Rekruten, die nicht wissen, auf wen sie schießen sollen und vor allem warum. Vielleicht ist es ja auch eine Propagandafinte, damit sie der ukrainische Volkszorn nicht zerreisst; dass die Ukainer ihre Gefangenen ordentlich behandeln, kommt im russischen Erwartungskataster auch nicht vor. Oder so. Rührend auch Szenen, wo alte Frauen auf russisch die Soldaten beschimpfen. Oder die Panzerbrigade, der der Sprit ausgegangen ist, von Zivilisten auf dem Handy gefilmt ,,Wir können euch nach Russland zurückschleppen, wenn ihr wollt“, wer weiß, was davon Agitprop ist und was echt.

Echt ist aber offenbar, dass der rasche ,,Enthauptungsschlag“ aka die Einnahme der Hauptstadt Kiew nicht so funktioniert hat wie geplant respektive bis jetzt überhaupt nicht funktioniert hat. Die Soldaten der ukrainischen Armee sind hoch motiviert und kämpfen um ihre Heimat, das zeigt Wirkung. Jetzt, am Sonntag vormittag, melden die Agenturen: Kiew noch immer nicht gefallen, Charkiv im Norden wieder freigekämpft.

Das muss sich eins auf der Zunge zergehen lassen: Die Russen hatten die Stadt schon eingenommen. Und die Ukrainer haben sie wieder hinausgeworfen. Chapeau.

Putin ist auch bekanntermassen nicht so ein IT-Freak aka er ist der Sache gegenüber ziemlich mißtrauisch. Offenbar zu Recht, weil er hat offensichtlich das Internet nicht verstanden. Seine Kontrolle über die Medien umfasst nur so Dinge wie Fernsehen oder Printprodukt. Ja, die russische bot-Armee müllt uns imWesten die Foren zu, aber daheim kann die russische Zensur nicht verhindern, dass junge Russinnen und Russen ausländische Nachrichtenkanäle via Netz konsumieren. Konsequenterweise haben die Ukrainer eine Seite aufgemacht, auf der sie Namen und Bilder gefangener sowie gefallener russischer Soldaten veröffentlichen. Als Service an die Verwandten, sozusagen. Netter Nebeneffekt: Es demoralisiert die Truppe.

Scherz beseite: Klar ist das ein Propagandacoup. Aber es passt auch schön, sagen zu können, seht her, hier sterben eure Söhne, und ER sagt es euch nicht. Mal schauen, was das in den kommenden Tagen bringt. Angeblich hat die russische Armee fahrbare Krematorien mit dabei, damit nicht so viele Body Bags in die Heimat zurückgebracht werden müssen.

Die russischen Zensurbehörden haben am Samstag russischen Medien die Benutzung der Worte Нападение (Offensive), Вторжение (Invasion) und Война (Krieg) explizit verboten. Dennoch setzt sich auch bei den Mütterchen in Russland langsam die Ansicht durch, dass dies keine kurzfristige Befreiungsaktion ist, sondern ein richtiger Krieg, mit toten Söhnen und Brüdern und Bildern von bombardierten Kindergärten und so.

Hut ab übrigens vor dem Mut, offen innerhalb Russlands gegen den Krieg aufzutreten. Meine uneingeschränkte Hochachtung.

Mal schaun, wie das weitergeht. Wenn Putins befreundete Oligarchen nicht mehr zu ihren Superyachten fliegen können und ihre Frauen keine Gucci-Klunker mehr bekommen. Und, wie gesagt, wenn der russischen Öffentlichkeit bewußt wird, dass das keine Polizeiaktion ist, sondern ein blutiger Invasionskrieg. Der, im übrigen, nicht so einfach zu gewinnen sein wird, wenn überhaupt. Warten wir doch, bis am Montag die Moskauer Börse ins Bodenlose fällt. Und dass Putin draufkommt, dass seine 850 Mrd. Dollar Devisenreserven praktisch wertlos sind, weil wenn er nicht mehr in SWIFT drin ist, wo – und vor allem technisch wie – will er sie denn ausgeben? Er kann Gold verkaufen (lassen), geht aber auch nicht so auf jetzt und hier. Alles sehr spannend.

Selbst das von mir so geliebte ,,Law Of Unintended Consequences“, das Gesetz über nicht beabsichtige Folgen der jeweiligen Aktionen, schlägt hemmungslos zu: Genau das, was Putin nicht will, zementiert er mit seinem Krieg dauerhaft ein: Ein ukrainisches Nationalbewusstsein, das alle, auch die Russischstämmigen, plötzlich zu einer neuen Nation zusammenschweisst. Ups, war nicht beabsichtigt …

Was Väterchen Wladimir allerdings macht, wenn er seinen Arsch wirklich eingezwickt bekommt, und ob er dann nachgibt oder ins atomare Körbchen greifen wird …

Wir leben in aufregenden Zeiten.

Slawa Ukraini.

Hans Peter, Gusi und das russische Problem.

 Der Österreicher liebster russische Oligarch ist durch die jüngsten US-Sanktionen schwer unter Druck geraten. Hierzulande fällt das offenbar Keinem auf.

 

Moderne Technik hat die Art, in der wir Krieg führen, verändert. Unbemannte Drohnen können gezielt angreifen und töten – sagen wir mal am Hindukusch oder in Syrien – gesteuert von weit entfernten Piloten, die auf der anderen Seite des Globus in klimatisierten Räumen sitzen und am Abend entspannt zu ihrer Familie nach Hause gehen. Angeblich soll das sogar wichtig sein, dass Drohnenpiloten in gewohnter Umgebung arbeiten und abends nach Hause gehen könne, das fördert die Arbeitsmoral und unterstützt die psychische Gesundheit aka so bekommen sie weniger leicht moralische Bedenken.

Auf dem diplomatischen Parkett ist es ähnlich. Dort hat vor allem die USA Methoden entwickelt, die Bösen Buben auf dieser Welt ordentlich in den Schwitzkasten zu nehmen, indem die Möglichkeiten ausgenützt werden, die das weltweite Finanzsystem so bietet. Die Rede ist von Wirtschaftssanktionen, und vor knapp einem Monat wurde das zum ersten Mal im großen Stil nicht gegen Regierungen, sondern gegen einzelne Unternehmen angewandt. Und irgendwie fällt das hierzulande keinem auf, obwohl es direkten Einfluß auf unser Wirtschaftsleben hat.

Der US-Präsident Woodrow Wilson nannte Sanktionen dereinst „eine stille, aber tödliche Methode“. Das war 1919, und seither hat die USA sie immer wieder eingesetzt, mit gemischten Resultaten. Vor allem in den 90er Jahren hatte die Globalisation diese Waffe ziemlich stumpf erscheinen lassen. Unternehmen konnten sehr gut weltweite Geschäfte ohne die USA machen, allfällige Strafen wurden achselzuckend als Geschäftskosten abgerechnet. Man erinnere sich nur an das Oil-for-Food Programm, das von der UNO aufgelegt wurde und über das der damalige irakische Diktator Saddam Hussein fröhlich Geschäfte betrieb, allen US-WIrtschaftssanktionen zum Trotz.

Alles änderte sich mit dem 11. September 2001, allgemein als Nine-Eleven bekannt. Der so genannte „Patriot Act“ erlaubt es seither dem US-Finanzministerium, einzelne Banken als Bedrohung der finanziellen Ordnung einzustufen und sie aus dem Clearing mit US-Dollar auszuschließen, sprich: Zahlungen in US-Dollar anzunehmen und weiter zu geben, denn das Clearing von US-Dollar läuft halt über die USA. Seither können US-Behörden auch bei SWIFT in die Akten schauen. Ursprünglich war das mal ein nur für Banken einsichtiges Nachrichtensystem, in dem alle Zahlungen untereinander von Banken weltweit registriert werden. Nachdem der US-Dollar weltweit noch immer das Zahlungsmittel Nummer eins ist, ist der Ausschluss aus dem Dollar-Clearing für eine Bank, die international tätig ist, praktisch der Todesstoß.

Bis heute wurden nur Nordkorea, der Iran und Syrien aus dem Dollar-Clearing ausgeschlossen (der Iran darf seit seinem Atomdeal übrigens wieder mitspielen), außerdem hatte man das System benutzt, um diverses Kleinzeugs zu fangen, den Waffenhändler Victor Bout etwa, oder BDA, eine Bank aus Macau, die verbotenerweise mit Nordkorea Geschäfte gemacht hatte, und derartiges mehr.

Doch vor einem Monat schloss der 45. Präsident der USA (dessen Namen man nicht aussprechen sollte), zum ersten mal ein einzelnes Unternehmen vom Handel mit US-Dollar aus, nämlich Rusal. Das russische Unternehmen ist einer der weltgrößten Produzenten von Aluminium, mit einem geschätzten Unternehmenswert von 18 Mrd. US-Dollar, und kontrolliert von Oleg Deripaska.

Ja, genau, der Kumpel von Hans Peter Haselsteiner, mit dem zusammen er die Strabag kontrolliert, eines der größten Bauunternehmen Europas mit rund 12,5 Mrd. Euro Jahresumsatz und Sitz in Österreich. (Raiffeisen ist da auch noch dabei, sowie rund 14 Prozent Streubesitz).

In der letzten Finanzkrise musste Deripaska einen Teil seiner Strabag-Aktien verkaufen, hat aber seither seinen Anteil wieder auf knapp über ein Viertel der Aktien aufgestockt.

So wie es aussieht, könnte sich das bald ändern, denn Rusal rauft mit dem Rotz, wie man in Wien so salopp sagt. An sich macht Rusal in den USA nur 14 Prozent seines Gesamtumsatzes, arbeitet so gut wie nicht mit US-Banken zusammen und ist in Hong Kong und Moskau gelistet. Aber dadurch, dass Rusal vom Dollar-Clearing ausgeschlossen wurde, will niemand mehr Geschäfte mit Rusal machen, denn weltweit wird Aluminium (wie die meisten Rohstoffe) in US-Dollar notiert und gehandelt.

Rund um den Globus müssen jetzt Investoren ihre Rusal-Anleihen (die in US-Dollar begeben wurden), abstossen. Der weltgrößte Schiffsfrächter Maersk macht mit Rusal keine Kontrakte mehr. Niemand will Dollar-Schulden von Rusal refinanzieren. Die London Metal Exchange, weltweit der führende Handelsplatz für Metalle, hat die Teilnahme von Rusal drastisch reduziert. Bonitätsagenturen haben Rusal von ihren Bewertungen ausgeschlossen (das tut besonders weh, denn damit ist Rusal de facto nicht kreditwürdig). Europäische Banken haben den Handel mit Rusal-Papieren ausgesetzt. Der Aktienkurs ist seither um die Hälfte (genauer: 56%)  gefallen, die Rusal-Anleihen für 2023 stehen derzeit mit 45 US-Cent auf den US-Dollar im Kurs. Mit einem Wort: The shit has hit the fan.

Weil die US-Regierung explizit die enge Verbindung von Oleg Deripaska mit Wladimir Putin und den anderen Mächtigen im Kreml sowie Deripaskas Kontrolle über den Aluminiumkonzern als Gründe für die Sanktionen gegen Rusal genannt hat, versucht dieser derzeit verzweifelt, seine Anteile (die über diverse Holdings gehalten werden, unter anderem auch über Zypern) zu verkaufen, um das Unternehmen noch zu retten.

So wie es aussieht, könnte unser aller Lieblings-Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer als Aufsichtsratsvorsitzender bei der Strabag SE bald einen neuen Großaktionär begrüssen. Wenn alles gut geht. Wenn nicht, könnte es noch deutlich unfreundlicher werden.

Die Österreicher nehmen davon keinerlei Notiz, weder in den Medien noch in der Öffentlichkeit. Für sie ist Deripaska ein netter, freundlicher Mensch, der seinem Freund Hans Peter wirtschaftlich eng verbunden und ansonst ein hierzulande gern gesehener Gast ist. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck hält Rusal wahrscheinlich für eine Südkoreanische Zahnpastamarke. Und mit Wirtschaftsthemen ist hierzulande sowieso kein Aufsehen zu machen: Zu fad, zu kompliziert, und überhaupt.

Ja, ich weiß, wir haben gerade andere Sorgen. Aber wenn die Strabag in Schieflage gerät, könnte das sehr schnell zu einem ziemlich großen Problem werden.

Wir leben in aufregenden Zeiten.

Leipzig und so.

Und es begab sich, dass es wieder einmal Weihnachten wurde, also fuhr der Igler nach Leipzig, zum 34C3.

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, von wegen all der widersprüchlichen Ideen und Gedanken, die mir seit Leipzig durch den Kopf gehen.

Fangen wir mit dem Offensichtlichen an: Der Umzug von Hamburg nach Leipzig scheint erst mal tadellos funktioniert zu haben. Die Leipziger waren extrem freundlich, das Orgateam hat sich extrem bemüht, eigentlich war alles erste Sahne, und vor allem bunt. Das kann man auch anderweitig nachlesen, also kann ich er mir hier schenken. Ja, es war vieles anders, vieles vertraut, es war weitläufig, wir haben uns alle einen Wolf gelaufen, aber so grosso modo war es ein erfolgreicher Congress.

Die Lichtinstallationen waren ja auch wirklich super. Super bunt, super gemacht. Das hat eine ganz eigene Ästhetik. Sozusagen eine Hackerästhetik. Irgend so ein Pressefuzzi schrieb denn auch, die Veranstaltung sei gegenüber der Buchmesse in der Optik wesentlich bunter gewesen, nur die handelnden Personen – also wir alle – seien irgendwie alle gleich eintönig gekleidet gewesen.

Ja, eh. Any colour, as long as it’s black. So Pressefuzzis können schon ziemlich ahnungslos sein. Egal. Das mit der Hackerästhetik ist eine zweite Überlegung wert. Da ist eine ganz eigene Formensprache entstanden, die darauf schließen lässt, dass das alles mehr als nur ein kurzfristiger Trend ist. Doch davon später.

Zuerst möchte ich vom Unbehagen reden. Wobei: Unbehagen ist nicht ganz das richtige Wort, ich fand bislang nur kein besseres.

Unbehagen? Welches Unbehagen? Dem Club geht es bestens, er wird regelmäßig von Politik und Medien um Meinung und Stellungnahmen gebeten, ist längst im Mainstream angekommen, nach jüngsten Meldungen kamen mehr als 15k Menschen nach Leipzig – was missfällt Ihnen da eigentlich, Herr Igler?

Nix missfällt mir. Ich bin nur verunsichert, wohin sich das alles entwickelt. Eben so ’ne Art Unbehagen.

Ich meine, natürlich kann man die Entwicklung des Clubs nicht losgelöst sehen von den Ereignissen, die derzeit gerade ablaufen. In Österreich haben wir die Nazis in der Regierung, in Deutschland sitzen sie im Parlament, wie lange ist Snowden jetzt her? Hat sich da im Bewusstsein der Menschen in diesem Land $irgendetwas geändert? Na also. Schon deshalb sollte man Unbehagen haben.

Dennoch ist auch der Club für mich an einer Art Scheideweg angekommen. Und die Frage „wohin“ will ja auch mit dem Motto des Congress „tuwat“ beantwortet werden.

So lange wir uns in Hinterzimmern trafen, in angemieteten Kellerlokalen und befreundeten Wohngemeinschaften, konnten wir relativ unbehelligt agieren. Lasst doch die Muggles da draußen machen, was sie so machen wollen, uns kann das doch wirklich herzlich egal sein. Do your thing, und gut is’.

Je nun. Erstens sind wir den Muggles, oder wie immer man „die da draußen“ bezeichnen will, nicht egal, ganz im Gegenteil. Wir sind für sie abwechselnd unheimlich, lächerlich oder faszinierend, aber „egal“ stand da nie auf dem Menü. Zweitens ziehen wir ja nun schon länger durch die Lande und predigen, dass es auch Muggles nicht egal sein kann, was heute so digital abgeht, von meltdown und spectre bis hin zu Überwachungsstaat und Uploadfilter, und werden damit auch wahrgenommen. Und drittens, wenn die taz mal schreibt, dass der Congress „das gesellschaftspolitisch wichtigste Ereignis des Jahres“ sei, kann man daran auch nicht ganz achtlos vorübergehen. Ok, es war nur die taz, und ob das nun nur für Deutschland galt oder für Europa, oder sonst wie oder was, war ja auch beim taz-Artikel nicht so klar. Aber klar ist: Wir werden wahrgenommen, wir werden ernst genommen, auch als potentielle Gegner, und somit ist es an der Zeit, den Mythos „Wir haben mit Politik nix am Hut“ endgültig zu verräumen, weil’s einfach nicht wahr ist: Wir haben die Politik voll an der Backe.

Nur: ob wir das, was im Orwelljahr im Eidelstädter Bürgerhaus mit ein paar Nerds begann, die sich gegenseitig ihren geilen foo vom Vorjahr zeigen und ansonst mal in Ruhe drei (später: vier) Tage verbringen wollten, ob wir dieses Feeling jenseits der 15k Teilnehmer von Leipzig skalieren können, ist noch nicht wirklich raus.

Manchmal krieg’ ich echte déjà-vu. Wenn ich durch den Congress gehe und auf ein handgeschriebenes Plakat stoße: „Endlich normale Menschen!“ Ja, eh’. Dieses Gefühl eines „wir“, was auch immer das sein möge. Das ist mir nicht unvertraut. Man möge mir verzeihen, ich bin schon etwas älter und daher auch schon länger dabei, 1968, weiland im Mai, als sich die Studenten in Paris Straßenschlachten mit den CRS lieferten, da war ich sechzehn und politisch noch recht ahnungslos. Aber wenn da ein paar Studenten versuchten, die Welt zu ändern, wollte ich unbedingt dabei sein, also ließ ich einen Zettel auf dem Tisch liegen und fuhr per Autostop, nach Paris, dorthin wo die Pflastersteine flogen. Dort bin ich zum ersten Mal diesem wir-Gefühl begegnet. Damals waren wir alle überzeugt, wir würden die Welt verändern.

Das Gefühl kam später noch ein paar mal, nicht oft. Im Alter wird man vorsichtiger, und auch bescheidener. Aber für vier Tage, auf dem Congress, läuft das schon ganz gut. Obwohl, das mit dem die Welt verändern …

Weil weiter oben von Hackerästhetik die Schreibe war: Es ist weit mehr als Lichtinstallationen und schwarze T-Shirts. Es fallen Stichworte wie Hackerethik – bei Redaktionsschluss wurde noch diskutiert – und diese besondere Art, respektvoll miteinander umzugehen. Wobei, wir plagen uns ja schon, das in unseren Hackspace-Alltag einzubringen. Aber am Congress scheint das schon mal halbwegs zu funktionieren.

Es gehört aber noch mehr zum Kanon dieser neuen Ästhetik. Memes fallen mir da ein, Redewendungen, Formen der Kommunikation, all das halt, was ein „wir-Gefühl“ vermitteln, verstärken, bestätigen kann. Normale Leute sind Leute so wie wir, in Hoodie und ungeschminkt … oh Mann, Leute, ich komme ab sofort nur mehr im Anzug … Igler, Du weichst ab. Das diskutieren wir ein andermal.

Was unbedingt auch zur Ästhetik gehört und mir so unpackbar gut gefällt: Diese anarchische Lust, sich über sich selbst lustig zu machen. Die Engelgewerkschaft trägt Züge von Dadaismus. Absolut genial. Und, als gelernter Österreicher: Deutsche haben Humor! Hinreißend. Mein Weltbild gerät ins Wanken.

Und dazwischen, immer wieder, die Angst, dieses „unter-uns-Gefühl“ bei einer weiteren Skalierung nach und nach zu verlieren. Der Club wird endlich erwachsen, steht zu seiner gesellschaftlichen Verantwortung, wird eine breite Bewegung, eventuell auch eine politische … pfui Spinne, das ist ja wie in Real Life. Erwachsen werden kann ich selber …

Wie war das? Wir haben uns redlich und ernsthaft und mit allen zur Verfügung stehenden Mittel bemüht, ja nicht so zu werden wie unsere Eltern. Und sind tödlich beleidigt, wenn unsere Kinder nicht so werden wollen wie wir. Ob all die Kids, die in Leipzig in der Ticketschlange standen und sichtlich zum ersten Mal bei einem Congress waren, das auch so sehen wie wir? Das Anarchische skaliert schlecht, wie wir schon von den Piraten wissen, weshalb es mich auch überhaupt nicht wundert, einen Haufen alter Piratenkumpel auf dem Congress wieder getroffen zu haben. Es gab sogar einen Hashtag. Alles was das Hackerherz begehrt.

In diesem Kontext auch relevant: Bei vielen Engeln, vor allem wenn sie mit ihren gelben Warnwesten unterwegs waren, entstand öfters der Eindruck, sie würden als eine Art Personal angesehen. Das fällt zusammen mit der Einschätzung, dass mehr und mehr Besucher auf den Congress als „reine Konsumenten“ kommen. Hony soit qui mal y pense aka ein Schelm, wer schlecht davon denkt. Ist das der Preis, den wir für’s Skalieren zahlen?

Und dennoch, trotz allem: Ich persönlich glaube daran, dass wir das richtig machen, was wir da tun. Wir müssen uns noch mehr in den politischen Diskurs einbringen, vor allem in den gesellschaftspolitischen. Ja, wir müssen weiter wachsen und noch mehr Einfluss bekommen. Das heißt auch, dass der Gegenwind stärker wird. Das Leben ist kein Ponyhof.

Und wir müssen unser Wissen um die Gefährdung dieser unserer Demokratie besser unter die Leute bringen. Es hat keinen Sinn, zu sagen, installiert euch Linux und verwendet Open Source, dann werden die Probleme weniger. Tun sie nicht. Die Menschen haben Windows und Word und WhatsApp installiert und sind heilfroh, wenn sie das halbwegs bedienen können. Und ein politisches Bewusstsein darüber, wie das alles genau abläuft, kriege ich auch gebacken, wenn ich auf Edge und Outlook unterwegs bin. Wir müssen, wie das so schön neudeutsch heißt, die Menschen dort abholen, wo sie sind. Und dort, wo wir sie vermuten oder erhoffen, dort sind sie nicht. Ja, ich weiß: Die Diskussionen dauerten bei Redaktionsschluss noch an.

Ansonst? Es war wie immer: Überwältigend, ein mehrfacher stack overflow an Erkenntnissen, gelernten Dingen, coolen Erfahrungen, emotionellen Augenblicken, Lachen, wir-Gefühl … endlich normale Leute, halt. Der Umzug nach Leipzig hat geklappt, wir können alle zufrieden sein. Ich zähle die Tage bis zum nächsten Congress.

Und verweise auf das Wochenende im März, an dem wir angeblich auch über die Fragen, die ich mir hier gestellt habe, diskutieren werden. Mal sehen.

Hannover und so.

 

Aus dem Reisetagebuch des professionellen Österreichers.

 

Liebes Tagebuch: Und es begab sich, dass der Chaos Computer Club (CCC) zur Mitgliederversammlung rief, also fuhr der Igler nach Hannover.

Nun isses ja alles vorbei und ich sitze im Zug nach Hause. Der silbergraue ICE pfeift stetig vorwärts, draussen ziehen sie Landschaft vorbei, in relativ hohem Tempo. In Hannover schien noch die Sonne, dazwischen Hügel, Heidschnucken, Häuser. Es ist ein schönes Land, dieses Deutschland.

Hannover ist auch eine schmucke Stadt, eine halbe Million Einwohner, ganz viel Grünanlagen. Da kann man echt nicht meckern. Hannover ist die Landeshauptstadt von Niedersachsen, aber das fällt nicht weiter störend auf.

Meine Mutter traf den Mann, dessen Namen ich heute trage, dazumals im österreichischen Widerstand, in meiner Kindheit waren Deutsche nicht die beliebtesten Menschen. Ich war drei oder vier Jahre alt, meine Mutter und ihre Freundin Eri fuhren mit ihren beiden Kindern gen Italien, in einem alten Topolino, Mamis erstes eigenes Auto, von wegen Kind und so, manchmal weinte sie noch ihrer Vespa nach. Egal. Am Strand spielte ich mit einem Kind, dann gab es halt irgendeinen Streit, ich weiß längst nicht mehr worüber, jedenfalls zog ich mit meinem Sandschauferl dem andren Kind einen festen Scheitel. Mami stürzt entsetzt herbei, stellt mich zur Rede. Ich so, cool wie Calvin: „Geh Mami, das macht doch nix, es war eh’ nur ein Piefke“. Das war der Moment, erzählte mir meine Muter später, in dem sie sich entschloss, sorgsamer mit ihren Worten umzugehen, wenn es um die deutschen Nachbarn ging.

Zu spät, der Samen war ausgestreut. Mehrere Jahre in Tirol, in einem Fremdenverkehrsgebiet, in dem die lieben Nachbarn vier Fünftel der Touristen stellten – „Wieso kann man hier nicht in Mark zahlen? Kann ich vom Kaffee ein ganzes Kännchen bekommen? Haben Sie Quarksahnetorte?“ – halfen auch nicht wirklich. Wahrscheinlich hassten wir einfach die Touris, weil sie uns am Nachmittag beim Skifahren im Weg herumstanden, vor dem Skilift, respektive im Weg herumlagen auf der Piste, in diversen Stadien des Anfängersterns. Und es waren halt fast immer Deutsche. Der Rest war Holländer, die standen und lagen zwar auch im Weg herum, fanden es dafür aber auch ganz in Ordnung, dass wir die Deutschen nicht mochten.

So viel zu meiner Sozialisierung in Sachen deutschsprachiger Völkerverständigung. Als in Österreich im Fernsehen die Piefke-Saga lief, fand ich sie nicht überzeichnet, im Gegenteil. Schließlich hatte ich die Typen in natura erlebt. So erwirbt man sich sorgsam gepflegte Vorurteile.

Doch es ist an der Zeit, diese Vorurteile zu knacken (sorry, Mami.) Zu lange war mein Deutschlandbild von Bayern geprägt, Sie wissen schon, dieses Land zwischen uns und ihnen, das weltweit das Beliebteste an den Österreichern mit dem verbindet, was die Deutschen überall so gern gesehen macht. Später fuhr ich viel nach Frankfurt, das hübscheste an der Stadt ist der Flughafen, da kann man in jede Richtung wegfliegen; später kam noch ein wenig Rheinland dazu, dort wo sie Dir die Krawatte abschneiden, dazu im Chor Helau rufen und das lustig finden.

Ich weiß, man soll seine Vorurteile sorgsam pflegen. Aber es geht, um ein geflügeltes Wort aus der Werbung zu borgen, auch anders. Seit einigen Jahren fahre ich vermehrt in den deutschen Norden, erst nach Berlin und Hamburg, jetzt eben auch Hannover. Wirklich gute Nachbarn auf unserer dalmatinischen Insel sind ein ganz entzückendes Hamburger Ehepaar; in Kärnten sind unsere direkten Nachbarn ein Pastorenehepaar aus der Hamburger Friedensbewegung, mit langen, wunderschönen Abendeinladungen, wo vor lauter Diskussion über höchst Interessantes gar nicht auffällt, dass wir schon wieder drei Weinflaschen gezwickt haben und die ganze Quiche Lorraine aufgegessen wurde. Sie sind alles, was man sich von Nachbarn wünscht: Links, freundlich, haben Humor, schätzen einen guten Tropfen und sind, außer entzückend, lustig und hilfsbereit, eine Riesenhetz. So etwas unterminiert ungemein, selbst die solidesten Vorurteile. OK, sie kommen nicht aus Frankfurt und auch nicht aus dem Rheinland. Na ja, vielleicht eben dessentwegen.

Und jetzt der CCC und Hannover. Bleiben wir noch ein bisserl bei der Stadt. Die Menschen dort sind ungeheuer zivilisiert, und es wirkt nicht einmal aufgesetzt. Sonntag vormittag, Frühstück im Kaffeehaus: Jeder, der das Lokal betritt, wünscht laut und freundlich „Guten Morgen“, alle grüßen zurück. Wenn ich das in Wien macht, fragt der Herr Franz besorgt nach, ob’s mir auch gut geht, und ob ich nicht ein bisserl leiser sein könnt’, Herr Doktor, weil sie verstörn mir g’rad den Hofrat ausm zweiten Stock.

Man könnt’ sich dran gewöhnen. Dass einen Menschen auf der Straße zurück anlächeln, wenn man sie anlächelt. Dass Mütter nicht besorgt schauen (Kinderverzarah!) wenn ich ihr Baby anflirte (seitdem ich Opi bin, bin ich ein Kren auf kleine Kinder), sondern auch zurücklächeln, stolz darauf, dass der kleine Zwutsch so viel Gefallen findet. Dass sich Leute bedanken, wenn man ihnen die Tür aufhält. Dass ich hier Männer sehe, die mein Alter haben, graues kurzes Haar und einen Rucksack tragen und ein Beanie aufhaben – hier schaut mich keiner erstaunt an. Hier schaun mehr so aus. Sehr entspannend.

Irgendwie funktioniert auch das mit dem Multi-Kulti besser im Norden. Am Hamburger Bahnhof Dammtor führt eine junge Türkin, mit Kopftuch, den lokalen Dunkin’ Doughnuts. So etwas fällt nur mir auf, die Hamburger scheinen das normal zu finden.

Auch in Hannover ist das Liberale vorherrschend. Die lokale Food-Coop hat vielleicht Schwierigkeiten mit dem freiwilligen Verteildienst ihrer Ernte an die Mitglieder, aber es würde niemandem auch nur im Traum einfallen, sie wegen Verdachts auf illegale Gewerbsausübung anzuzeigen, wie das die Wirtschaftskammer in Wien mit der hiesigen Coop gemacht hat. Und erst die „Kiosk-Kultur“: Kleine Einzelhandelsläden, die entweder rund um die Uhr offen haben oder zumindest dann, wenn Rewe und Co geschlossen halten. Für ein schnelles Bier, oder auch eine Semmel, fürs Frühstück, oder wie man hier sagt: ’n Brötchen. Auch hier regt sich kein Ärmelschoner auf, alle kommen zu etwas, das ganze in einer Stadt in der Größe von Graz … ich kann mir zum Beispiel auch nicht vorstellen, dass sich Graz drei selbstverwaltete Jugend- und Kulturzentren leistet. (Die Grazer, Heimatstadt meiner Familie, mögen mir verzeihen. Sie halten hier als eine Art pars pro toto her.)

Draussen vor den Zugsfenstern weichen die spitzen Backsteintürmchen aus dem Norden Stück für Stück den barocken Zwiebeltürmchen aus dem Süden. Und ich leiste hiermit Abbitte an alle Piefke nördlich des Weisswurstäquator, die ich im Leben beleidigt habe, weil ich sie großmäulig, schnoddrig und nervtötend fand – es hat sich herausgestellt, das sind wir, im Süden.

Im Norden sind sie ganz anders. Wenn dort das Wetter nicht so bescheuert wäre, könnte man glatt auf ein wenig hinziehen.

Und die MV des CCC? Och, nichts wirklich Aufregendes.

Bemerkenswert fand ich, dass am Samstag nur Vorbesprechung war und nur am Sonntag abgestimmt wurde: So konnte am Samstag nach Herzenslust gefetzt werden, am Abend wurde in kleiner Runde noch mal alles durchgekaut, am Sonntag hatten sich die Gemüter schon wieder ein wenig abgekühlt, dann votet es sich auch viel entspannter.

Details? Konstanze zeigte sich – zumindest fast immer – guter Stimmung. Andy wurde gezaust, wegen eines Antrags ebenso wie wegen eines Interviews. Der Vorstand wurde entlastet und wiedergewählt. Und zur Feier der 25. Auflage der Transparenzdebatte gab es am Abend einen kleinen Umtrunk mit einer Hopfenkaltschale beim lokalen Hackerspace. Also eh’ alles so wie immer.

Putins kognitive Dissonanzen oder Die Angst vor dem Dominoeffekt

Was machen Tscherkessen im Kosovo und was haben die Finnen damit zu tun?

Es ist schon eine Weile her, da lebte ich in Moskau, noch zur Zeit der UdSSR. In der spätsowjetischen Mangelwirtschaft war es gar nicht so einfach, an ordentliches Essen zu kommen, weder für Geld noch für Gute Worte … das fing schon beim Brot an: Es gab eine Sorte, eine Art Kasten-Graubrot, und aus. Gerüchteweise gab es bei der Brotverkaufsstelle an der Krasna Presnenskaja an Sonntagen vormittags auch Weißbrot. Dazu hätte man aber sehr früh aufstehen müssen … am Sonntag … ich hab’ das nicht einmal probiert.

Weshalb man als Ausländer die Einladungen der Botschaften schätzen lernte (vor allem der eigenen): Meist gab es was zu essen, und meist war es ein Highlight. Einladungen der eigenen (österreichischen) Botschaft waren bei mir besonders beliebt, denn es gab fast immer Semmerln aus Österreich und einen trinkbaren Wein und der Rest war meist auch ok.

In diesem Sinne begab es sich, dass ich mit einigen russischen Freunden auf der Botschaft war, anlässlich des Staatsfeiertages und als ausgewiesener Auslandsösterreicher, zu faschierten Laberln mit einem sehr feschen Weißen und ordentlich Semmerln. Dafür nahm ich auch in Kauf, dass es einen offiziellen Teil gab, wo dann alle möglichen Leute sprachen, die zur Feier des Tages irgendwelche anderen Leute (meist abwesend oder tot oder beides) anstrudelten, meist wedelte dann auch noch wer mit rotweißroten Fähnchen herum (bildlich gesprochen, indem er $Heimat beschwor, schließlich waren wir ja alle im feindlichen Ausland). Und die Bundeshymne wurde auch gespielt, dabei musste man Sorge tragen, das Stück Faschierte rechtzeitig (aka vorher) runter zu schlucken, weil es schaut ja echt Scheiße aus, wenn man noch kaut, während andere schon von den Hämmern singen. Wenn man schon nicht mit singt. Und ansonst musste man aufstehen, weil das gehört sich so, und anschließend betreten herumstehen und warten, bis die Sache vorbei war. Meist war es nach einer Strophe vorbei, wer kann schon mehr als eine Strophe des Bundeshymne? Außer den Deutschen, vielleicht, die dürfen dafür überhaupt nur ihre dritte Strophe singen.

Jedenfalls wurde auch diesmal von der Heimat großer Söhne, dazumals noch ohne Töchter, gesungen, alle standen auf, ich legte mein Stück Laberl auf den Teller, setzte mein übliches Ich-bin-nur-zufällig-hier-Gesicht auf und versuchte, möglichst unauffällig gelangweilt zu schauen – da fragt mich plötzlich Aljeg, mein russischer Spezi: „Wieso heulst Du eigentlich nicht?“

Ich muss ziemlich saublöd dreingeschaut haben. War der Wein so schlecht? Das Faschierte nicht OK? Irgendwer gestorben, als ich gerade nicht aufgepasst hab’?


Wenn nicht geweint wurde, dann war’s nicht schön.

Nach längerer gegenseitiger Ratlosigkeit hab’ ich es dann verstanden: Russen haben ein ungestörtes Verhältnis zu ihrer Heimatliebe und zu ihrem Nationalismus (wobei die Grenzen sehr verschwommen sind), und wenn sie im Ausland leben würden, heimwehkrank und fern von zuhause, und dann beschwöre jemand Mütterchen Russland, komplett mit Borscht und Blini, dann würden sie sofort und ansatzlos heulen, mit strömenden Tränen, und sich gegenseitig in den Armen liegen.

Damals tat ich das als einfach noch ein Merkmal dafür ab, wie emotionell Russen wären, schließlich gilt bei ihnen auch ein Abend unter Freunden nicht als wirklich gelungen, wenn nicht mindestens einmal dabei gemeinsam geheult wurde. Weil es grad so schön war, oder so traurig, oder weil irgendwer grad nicht dabei war, oder manchmal auch nur einfach so. Russen sind sehr emotionell, wobei Väterchen Alkohol gerne mithilft.

Heute, zwanzig Jahre später, ist es ein Mosaikstein für mein Verständnis von Russland. Genauer gesagt: Putins Russland.

Keine Angst, ich werde jetzt hier nicht den Großen Putinversteher aufziehen. Dennoch gibt es logische Erklärungen für die Ereignisse, vor allem seit meinem letzten Blogeintrag über den Ukrainischen Nationalismus. Ich behaupte ja nach wie vor, dass es den „als solchen“ nicht gibt, außer in ukrainischen Emigrantenkreisen in Kanada und Australien. Aber Wladimir Wladimirowitsch arbeitet recht erfolgreich daran, dass er auch in der Ukraine wächst und gedeiht, und nur zu erklären, Herr Putin sei halt dumm und verstehe die Welt nicht wirklich, greift zu kurz. Weil Herr Putin mag ja alles Mögliche sein, aber dumm ist er ganz sicher nicht.

Wer die Gegenwart begreifen will, muss die Vergangenheit kennen. Keine Angst, nicht schon wieder Geschichtsstunde, wir machen nur eine kleine Zeitreise in das Jahr 1864.

Das sind gerade einmal 150 Jahre – vor der Geschichte ein Klacks, ein Lidschlag, aber dennoch Lichtjahre von unserer Realität entfernt. Kein Internet, kein Fernsehen, kein Radio, nicht einmal Telefon. Auch die Photographie steckt noch in den Kinderschuhen, sprich: Es fehlt alles, was zu einer zünftigen Kriegsberichterstattung notwendig ist. Aber es gibt Zeitungen, und der mediale Aufreger des Jahres, von den Salons in London und Paris bis Washington und Wien, ist der Untergang der Tscherkessen.

Der bitte wer?

1864 ist nach offizieller Geschichtsschreibung der Kaukasuskrieg vorbei, den das Russische Imperium seit knapp einhundert Jahren führt. In diesen hundert Jahren erweitert das Zarenreich seinen Einfluss von der Steppe im Norden des Kaukasus über das gesamte Bergmassiv bis an das Schwarze und das Kaspische Meer. Dabei werden eine Reihe von Bergvölkern unterworfen, von denen heute einige wieder bekannter sind, wie die Osseten, die Abchasen, die Inguschen und die Tschetschenen, aber auch heute längst vergessene, wie die Awaren, die Darginer, die Laken, die Lesgier und die Kumyken. Und eben die Tscherkessen. Schätzungsweise drei Millionen von ihnen leben bis dahin an der heute russischen Schwarzmeerküste, mit ihrer historischen Hauptstadt, wo jetzt das russische Sotschi liegt.


Der gemeinsame Drang nach Süden

Der Kaukasus ist ein mächtiges Bergmassiv, mindestens so groß wie unsere Alpen oder der Große Karpatenbogen, unwegsam, bewohnt von mehr als 50 verschiedenen, meist wilden und äußerst kriegerischen Bergvölkern, mit einem Wort ein Ort für Abenteuergeschichten und Träume. Wie alle Völker aus dem „Kalten Norden“ träumen auch die Russen, seit es sie gibt, vom warmen Süden; wo Goethe von Italien schwärmt und von blühenden Zitronen, schwärmen Puschkin und Lermontov vom Schwarzen Meer und, tja, auch von blühenden Zitronen.

Briten und Franzosen sind 1864 gerade dabei, koloniale Weltreiche zu bauen, da finden es alle ganz normal, wenn auch das Zarenreich versucht, sich auszudehnen, und dass dabei nicht zimperlich vorgegangen wird, regt auch keinen auf. Aber die Zeitungen haben die Reportage entdeckt, statt Photos gibt es ausführliche Zeichnungen, und so kommt es, dass dreihunderttausend tote Tscherkessen – verhungert, erschlagen, auf der Flucht ertrunken – die erste masssenmediale Katastrophe bilden. Es ist der erste Genozid der Neuzeit auf europäischem Boden, fünfzig Jahre vor dem Völkermord der Türken an den Armeniern, neunzig Jahre vor dem Holocaust. Die Truppen des Zaren Nikolaus II sehen keine andere Möglichkeit: Georgier, Armenier, Azeri – alle haben sich dem Russischen Reich gebeugt, aber das wilde Bergvolk der Tscherkessen verweigert selbst in der Niederlage den Gehorsam, muss aus dem eroberten Gebiet mit Feuer und Schwert vertrieben werden, um Platz zu machen für russische Sehnsucht nach dem Süden. Und so werden drei Millionen im Lauf des Sommers 1864 vertrieben, so gut wie alle in das damalige Osmanische Reich, die Zeichnungen der halb verhungerten Flüchtlinge, die nicht im Schwarzen Meer ertrunken sind, bei ihrer Ankunft in Istanbul gehen durch die Zeitungen und die Salons Europas.

Parallele zu heute: Es regt sich zwar jeder auf, aber keiner tut was. Das Osmanische Reich nimmt die Flüchtlinge, alles sunnitische Muslime, auf und verteilt sie, wo Platz ist (was oft damit zusammenhängt, dass es dort auch recht unwirtlich ist), so lebt heute der Großteil der tscherkessischen Diaspora im nördlichen Libanon, in syrischen Bergland östlich von Damaskus, im Bergland von Galiläa in Israel, im Kosovo und in der heutigen Türkei, vor allem im Bergland von Anatolien.

Wozu erzähle ich Ihnen das alles?

Weil es Putin erklärt: das sind die historischen Dimensionen, in denen er denkt.

Das finden Sie ein bisserl herb? Dann fragen Sie doch einmal, die Finnen, zum Beispiel, oder deren nahe Verwandte, die Esten. Oder die anderen Balten, wie Letten und Litauer. Oder die Polen. Oder, wenn Sie nicht in den kalten Norden wollen, fragen Sie doch die Tschetschenen. Deren 1864 war halt erst 1995, als russische Truppen ihre Hauptstadt Grosny zerstörten, Haus für Haus, bis so gut wie nichts mehr von der Stadt übrig blieb.

In Wirklichkeit führt Russland heute immer noch Kolonialkriege, in denen es darum geht, anderen Kulturen die eigene als die deutlich überlegene aufzuzwingen. Mit genau derselben Überzeugung schufen die Briten ihr koloniales Weltreich, lernten die Eingeborenen in Afrika, so sie Einwohner einer französischen Kolonie waren, von „unseren Vorfahren, den Galliern“, genau diese Einstellung ließ Kaiser Wilhelm sagen, am Deutschen Wesen werde die Welt genesen.

Die Mehrheit der Russen ist heute ebenso davon überzeugt, am „russischen Wesen“ werde zumindest ihre eigene Welt genesen.

Wobei sich die russische Welt deutlich von unserer, der westlich-demokratisch-aufgeklärten, unterscheidet.

Eine nicht unwesentliche Rolle spielt dabei die orthodoxe Kirche. Als sie sich vor rund tausend Jahren von der römischen abspaltete, ging der Streit darum, ob man sich dem Wesen Gottes mit menschlicher Vernunft nähern dürfe, oder ob schon das Zweifeln am Göttlichen Geheimnis eine Sünde sei. Der Westen brachte die Jesuiten, die Aufklärung und Max Weber hervor, der Osten hält rationelles Denken an und für sich für eine Sünde. „Orthodox“  bedeutet, wörtlich übersetzt, rechtgläubig, die Orthodoxe Kirche ist – fast noch mehr als die Römisch-Katholische – davon überzeugt, im Besitz der Wahren Reinen Lehre zu sein. Und in der ist es muffig-spießig, ist schwul sein heilbar und liberal ein Schimpfwort, sind Neger (gerne Schokoladnij genannt) Untermenschen und der Liebe Gott ist Russe.

Zyniker sagen jetzt, Geschichte lasse sich eben nicht betrügen. Nach dem Zerfall des Kommunismus hatten es die Osteuropäer leichter, die hatten eine bürgerlich-demokratische Tradition. Die Russen haben da vor 1917 nicht viel außer einer ziemlich absolutistischen, ziemlich klerikal-faschistischen Monarchie. Und so wie der (politische) Kommunismus formulierte, dass der Faschismus die politische Ausdrucksform des Spießertums sei, stimmt es auch anders rum, dass das – faschistische – Sowjetsystem eine einzige riesige „Spießerklasse“ hervorgebracht hat. Oder, um ein Bonmot meiner Tante Jolesch abzuwandeln: Die Juden haben sie erschlagen, die Adeligen auch, die Intellektuellen ins Arbeitslager gesteckt und die Großbürger vertrieben. Geblieben sind die Hausmeister, und die machen jetzt den Staat. Putin als Allrussischer Hausmeister, wie einst der Mundl.

Postsowjetische Depressionsoptik

Auf der Suche nach der Großen Russischen Seele, der „Duscha russkaja“, wie sie denn wirklich sei, landete ich einst in Nischnij Novgorod, dass sich damals gerade von „Gorkij“ wieder mit seinem alten Namen umgenannt hatte, und fand dort eine wunderschöne, alte Handelsstadt, völlig verfallen, sowie reichlich postsowjetischen Realismus, Marke Trübsinn. Ich brachte ein paar wunderschöne, tief depressive Schwarzweißbilder mit sowie den klugen Satz eines jüdischen Philosophieprofessors an der lokalen Universität, der meinte, die Russen hätten im Zweiten Weltkrieg „den Deutschen Faschismus besiegt um den Preis, den eigenen am Leben erhalten zu haben.“ So kann man das natürlich auch sehen, aber so unrecht hatte der Professor nicht: Es gibt keinerlei demokratische Traditionen in Russland, und die Aufklärung hat allerhöchstens in ein paar Salons in Petersburg stattgefunden.

Ich denke mir, so gesehen passt es perfekt, dass sich unsere heimischen rechten Recken so hervorragend mit den Russen vertragen – da treffen sich verwandte Seelen. Oder so.

Und da, mitten drin, agiert jetzt der kleine Wladimir Wladimirowitsch, von der Vorsehung auserkoren, Russland zu retten. Dabei lässt er keinen Zweifel an seinen Grundwerten, schließlich nennt er seine politische Bewegung nicht umsonst „allrussisch“ und bekräftigt damit seinen Anspruch, in der politischen Tradition aller russischen Machthaber seit Ivan dem Schrecklichen, dem Begründer des modernen Russland, zu stehen. Und ausgerechnet der kleine Wladimir muß jetzt plötzlich Allrussisches Kernland – und das ist die Ukraine nun einmal für jeden russischen Nationalisten – verteidigen, und das gelingt ihm mehr schlecht als recht.

Denn selbstverständlich lag die Grenze zwischen den Guten und dem gottlosen Ausland noch vor zwanzig Jahren in Pressburg und Berlin, heute steht sie an der russischen Grenze, und aus russischer Sicht ist die gottlose Nato, in der Damen mit Bart Präsidenten inteviewen, die größte Bedrohung des Wahren, Echten und Schönen überhaupt.

So denkt die Mehrheit der russischen Bevölkerung. Und natürlich spielt da die Kontrolle über die Medien eine Rolle, aber die Prädisposition dafür ist gegeben.

Wobei, realpolitisch gesehen, die große Bedrohung für die postsowjetische Oligarchie darin besteht, dass sich ukrainische Zerfallsbestrebungen auf russisches Kernland übertragen. Oder andersrum: Derzeit bekommen die Ukrainer an ihrer (langen) Grenze zu Polen, erste Reihe, fußfrei, vorgeführt, was es für Vorteile bringen kann, in der EU und eine kapitalistische Demokratie zu sein. Wenn morgen tatsächlich auch die Ukraine ein ähnlicher Erfolg wäre, wäre der Dominoeffekt eine echte Bedrohung.

Angst vor dem Dominoeffekt hat schon die USA in die erste Niederlage ihrer Geschichte in Vietnam geführt. Oder auch: Geschichte wiederholt sich. Ob als Tragödie oder als Farce, wird sich erst herausstellen.

Wie schon eingangs behauptet, will ich kein Putinversteher sein, aber dass ihm das nicht gefällt, kann ich nachvollziehen. Wie immer man das interpretieren möchte.

Vorsicht vor dem Trugschluss: Russland ist heute nicht so, wie es ist, weil Wladimir Putin so denkt, wie er denkt. Es ist genau anders rum: Eben genau weil Russland so ist, wie es ist, kann einer, der so denkt wie Putin, überhaupt Erfolg haben. Weil sonst wedelt hier der Schwanz mit dem Hund.

Denn, damit wir uns nicht falsch verstehen: Der – oben erwähnte – Krieg gegen die Tschetschenen wurde noch unter Boris Jeltsin begonnen.

„Schön“, sagt plötzlich Tante Erna aus dem Hintergrund, „alles sehr verständlich und einleuchtend. Und was bedeutet das im Klartext? Wie sollen wir jetzt mit dem Typen umgehen?“

Gute Frage. Ich weiß es nicht.

Ein Ansatz, wie es vielleicht geht, findet sich im britischen „Economist“, der da meint, wenn Ölpreis und Rubel weiterhin so fallen, wie sie es derzeit tun, müsse der Westen nicht mehr sehr viel dazu tun, außer es auszusitzen.

Das scheine, andererseits, so der Economist, auch Putins Strategie zu sein: Genau so wie Europa nach 150 Jahren das Schicksal der Tscherkessen vergessen hat, genau so wird sich der Wirbel um die Krim und den Dombass wieder legen, zwischenzeitlich verkaufen wir den wirtschaftlichen Einbruch als Schuld der Bösen Ausländer, und der Ölpreis wird schon wieder steigen, schließlich ist es bis jetzt auch immer wieder gestiegen.

Kann sein, dass da die kognitiven Dissonanzen sehr schrill werden. Kann sein, dass das recht holprig wird. Im letzten Posting schrub ich, Putin mache jetzt einen auf Milošević. Ich relativiere das jetzt hier, ein wenig, denn es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen den beiden: Russland hat Atomwaffen.

Wir leben in interessanten Zeiten. Aber auch das hab’ ich schon mal gepostet.

Wieso der ukrainische Nationalismus eine Erfindung der k.u.k Monarchie ist und andere Überlegungen zur derzeitigen Situation

Als ich zehn Jahre alt war, wurde mein Vater nach Genf in der Schweiz versetzt. Wir fanden ein Haus in einer Anlage von neu erbauten Einfamilienhäusern; ich, bisher eine Altbauwohnung im achten Wiener Gemeindebezirk gewohnt, war hin und weg ob so viel Platz und Garten und Grün und Weite.

Unsere direkten Nachbarn waren Kanadier, mit dem Familiennamen Hawrylyshyn. Schon beim ersten Treffen lernten wir, dass die Familie eigentlich aus der Ukraine stammte, sie verstanden sich als Exilukrainer, und teilten das auch jederzeit und freizügig überall mit. Vater Bob (eigentlich hieß er Bohdan, das erfuhren wir aber erst später) lehrte am Genfer Centre d’Etudes Industrielles (das CEI war eine Business School, die später im IMD aufging); der Großvater kam, als er erfuhr, dass meine Mutter aus Österreich war, strahlend zum Zaun und sagte, auf gebrochenem Deutsch „I bin auch Eesterreicher“. Er war in Lemberg geboren und hatte im ersten Weltkrieg in der k.u.k. Armee gedient.

Vater Bohdan lehrte mich, dass die ukrainische Fahne gelb und blau sei, gelb wie die Kornfelder der Ukraine und blau wie der Himmel über ihnen, und dass sie, so lange die Ukraine nicht frei sei, nur verkehrt geflogen werde, also gelb oben und blau unten. Mutter Hawrylyshyn war in etwa so blond wie das Gelb in der Ukrainischen Fahne, zusammen hatten sie drei Kinder: Lassek, der ein Jahr jünger war als ich, sowie die Mädchen Tussa und Tina, alle drei ebenso blond.

Die Ukraine und der Knoblauch

Im Hause Hawrylyshyn war Ye Olde Country stets präsent. Tina, die jüngste, war etwa vier, als sie eines Tages bei uns in der Küche mit einem Kranz Knoblauch um den Hals erschien. „Mami sagt“, so Tina auf den fragenden Blick meiner Mutter, „das hilft gegen Bandwürmer.“

Meine Mutter sagte nichts und gab Tina ein Wurmmittel (unser anderer Nachbar war ein Bauernhof, so was hat man als kluge Mutter stets im Haus).

So lernte ich im zarten Alter von zehn Jahren, dass die Ukraine ein eigenes Land sei, mit einer eigenen Fahne, aber derzeit besetzt und in Unfreiheit, und dass man dort mit mitteleuropäischer Kultur und Hygiene etwas anders umging als bei uns.

Einige Jahre später fand ich bei einer Bibliotheksauflösung in Wien eine „Grammatik der Ruthenischen Sprache“, ein k.u.k. Schulbuch aus dem 19. Jahrhundert. Ich bin ein Journalist, also neugierig. Weshalb ich seither weiß, dass Ruthenisch die Eindeutschung des Wortes Rus ist, früher sagte man auch Reussen dazu und bezeichnete damit eine Gegend (und deren Bewohner) dort, wo heute Ungarn, Polen, Rumänien, die Slowakei und Westukraine aneinander stoßen. Der Ausdruck Ruthenen selbst bezeichnet die seit etwa dem 15. Jahrhundert im Großfürstentum Litauen, in Polen-Litauen und dem Königreich Ungarn lebenden Slawen östlichen christlichen Glaubens; die (Groß-)Russen hießen damals bereits Moscovitae oder Russi.

Im k.u.k. Kronland Galizien war Ruthenisch, neben Polnisch, eine offizielle Sprache.

Im postsowjetischen Kiew

Mehr als dreißig Jahre nach unserem Erstkontakt mit der Familie Hawrylyshyn, da hatte sich die Sowjetunion schon aufgelöst und die Ukrainische Fahne wehte richtig herum am Fahnenmast, traf ich Tina, das jüngste Nachbarskind, erneut. Es war in Kiew am Flughafen, es war spät abends, und nur weil sie jetzt unabhängig waren, hatten die neuen ukrainischen Grenzbehörden ihre sowjetischen Methoden noch lange nicht geändert, sprich: Es war mühsam. Tina trug diesmal keinen Kranz Knoblauch, sondern hochhackige Stiefel bis übers Knie und trat gegenüber den postsowjetischen Hütern der neuen Staatlichkeit resolut und in fließendem Ukranisch auf. In fünf Minuten waren wir durch alle Formalitäten durchgewunken und standen vor der Ankunftshalle in der ebenso dunklen wie beißenden Kälte, in Verhandlungen mit mehreren Taxifahrern. „Wenn Du irgend etwas brauchst hier, ruf’ mich an“, sagte Tina und stieg in einen großen schwarzen Geländewagen mit verdunkelten Scheiben.

Nun will ich weder dem alten Bohdan, oder Bob, denn „Bochdan“, wie es korrekt ausgesprochen wird, konnte in Genf keiner aussprechen, außer vielleicht meiner Mutter und mir, also ich will weder Bob noch seinen Kindern unterstellen, mit der Mafia etwas zu tun zu haben, im Gegenteil, ich schätze Bob Hawrylyschyn als einen hoch korrekten Menschen ein, aber schließlich war er jahrelang Berater der ukrainischen Regierung und hat in Kiew eine Filiale der Schweizer Managementschule IMD aufgebaut, da ließ es sich wahrscheinlich nicht vermeiden, auch mit dieser Gesellschaftsschicht in Berührung zu kommen, und nur weil Tina Stiefel bis über die Knie trug, musste sie noch lange nicht dazugehören, schließlich lag tatsächlich ordentlich Schnee.

Es ist in der Ukraine eben vieles nicht so, wie es auf den ersten Blick erscheint. Nicht nur in jüngster Zeit, sondern seit je her.

Andere Völker sind älter

Wobei „von je her“ ein zeitlich dehnbarer Begriff ist. So gibt es Völker, die sind wirklich alt. Die Armenier, etwa, oder die Georgier, wenn wir jetzt einmal im Spektrum der ehemaligen UdSSR denken, aus deren Zerfall ja die Ukraine erst jüngst als eigenständiger Staat entstand. Aber die Ukrainer sind es nicht, jedenfalls nicht als Nation. Ukraine als eigenständige Nation ist eine Erfindung des 19. Jahrhundert, unter der Patronanz der Habsburger und mit Ablehnung durch das russische Zarenreich.

Nämlich weil das mit die Geschichte – also erstens ist es wie überall kompliziert, und zweitens haben wir das in der Schule ja nicht gelernt und daher hat kaum wer Ahnung davon. Wäre aber praktisch, denn es erklärt sehr viel von dem, was da gerade in der Ukraine abgeht.

Wobei man auch noch säuberlich zwischen Mythen und tatsächlicher Geschichte unterscheiden muss.

Die Wikinger – ja, tatsächlich, die – waren als ebenso unternehmungslustig wie reisefreudig bekannt, und das nicht nur nach Westen, wo ja Eric der Rote bis nach Neufundland kam, sondern auch nach Osten, sozusagen auf die andere Seite hin. Dort fuhren sie auf Flüssen wie Dnjestr und Dnjepr mit ihren Drachenschiffen von Skandinavien nach Südosten bis an das Schwarze Meer und begründeten dabei eine Reihe von Städten, als Handelsniederlassungen, respektive trieben mit den Städten, die sie schon vorfanden, Handel. Man nennt diese Wikinger auch Waräger, angeblich sind sie für die unpackbar blauen Augen sowie das leuchtende Strohblond der Ukrainerinnen verantwortlich, oder so ähnlich. So weit die Fakten.

Der Mythos erzählt von einem Stamm der Wikinger, der sich Rus nannte. Von denen gibt’s aber keine geschichtlichen Bezeugungen, also gibt es sie erst mal offiziell nicht. Was die Rus oder Waräger oder wen auch immer, nicht davon abhält, ab dem zehnten Jahrhundert als Kiewer Rus aufzutreten, als Großreich der Slawen so in etwa dort, wo die heutige Ukraine ist, wir wollen das jetzt im Detail nicht diskutieren.

Der Mythos des (russischen) Slawentums erzählt von den zehn weisen Männern, die in einem goldenen Boot den Dnjepr herunterkommen und in der Stadt Kiew an Land gehen, um dort auf den sieben Hügeln der Stadt das neue (orthodoxe a.k.a rechtgläubige) Rom zu gründen.

Die Geschichte wieder weiß, dass der warägische Großfürst Wladimir I. Swjatoslawitsch 899 in Kiew zum byzantinisch-orthodoxen Christentum konvertierte, weshalb ihn die Russen den Heiligen nennen und in Kiew die Wiege ihrer Nation sehen.

So weit, so verwirrend

1240 fiel Kiew, die Goldene Pforte, als letzte große Stadt im Zuge der mongolischen Invasion der Rus, und wurde völlig niedergebrannt, das ist auch das Ende des Kiewer Rus. Erst dreihundert Jahre später eroberte Iwan IV, Großfürst von Moskau, die tatarischen Khanate Kasan und Astrachan und legte damit den Grundstein zum modernen russischen Großreich. Die Geschichte dankte es ihm, indem sie ihn den „Schrecklichen“ nannte, wobei die Übersetzung fehlerhaft ist, denn die Russen nennen ihn groznyj, was der „Drohende“, der „Strenge“, „der Furchteinflößende“ bedeutet, wahrscheinlich ist das „schrecklich“ ein früher PR-Spin (katholischer) europäischer Fürstenhöfe, gegenüber dem neuen Mitspieler, der noch dazu die „falsche“ Religion hatte. However.

Jedenfalls versteht die russische Geschichtsschreibung Moskau seither als legitime Nachfolgerin der Kiever Rus, konsequenterweise nannten sich die Zaren seit Iwan „Herrscher aller Russen“ und meinten damit auch Kiew und Minsk, also die Ukraine und Weißrussland.

Und Kiew selber? Versank nach dem Tartarensturm in die Mittelmässigkeit und wurde erst eine Provinzstadt der litauischen Großfürsten und später eine ebensolche im Königreich Polen.

Die Polen waren katholisch, die lokalen Ruthenen und Russinen orthodox, das klingt nach Ärger, und so war es auch. Wobei die anti-polnischen Bewegungen nichts von Unabhängigkeit redeten, sondern von der Vereinigung mit dem russischen Mutterland. Das gelang auch unter dem Hetmann der Kosaken Bogdan Chmelnytzkyj, dieser besiegte in mehreren Schlachten diverse polnische Heere, meuchelte bei der Gelegenheit auch ein Fünftel der (damaligen) ukrainischen Juden, um schließlich 1654 den Zusammenschluss des neuen Kosakenstaates mit dem russischen Zarenreich zu feiern.

Seither ist Kiew „wieder“ russisch, denn Chmelnytzkyj verstand sich als Russe. Von „ukrainischem“ Nationalismus war da weit und breit noch nichts zu sehen.

Galizien als Schlüssel

Die Habsburgern erbten 1772 das Königreich Galizien, das reichte von Krakau über Lemberg bis Ivano-Frankowsk, grosso modo die heutige Westukraine und weite Teile Südpolens. Im so genannten Ausgleich“ von 1867 wurde Galizien cisleithanisch und de facto polnisch. (Dass uns Österreicher heute die Polen so mögen, beruht ja mehrheitlich darauf, dass Polnisch als Sprache (und Kultur) über hundert Jahre nur im österreichischen Galizien überlebte, die ersten polnischen Lehrbücher sind ebenso k.u.k.-Erzeugnisse wie das ruthenische aus meiner Bibliotheksauflösung.)

Egal. Die Polen im Westen Galiziens waren deutlich mehr als die Ruthenen im Osten, der polnische Adel beherrschte die Alltagspolitik. Den Ruthenen gefiel das nicht, im Nationalitätenstreit des 19. Jahrhunderts bedeutete das, dass sich ruthenische Unabhängigkeitsbestrebungen entwickelten, mit dem Zentrum in Lemberg, diese wurden jetzt auch auf Kiew ausgedehnt. Und jetzt erst entstehen – vor allem im europäischen Teil der Ukraine, also im österreichischen Ostgalizien –  nationale ukrainische Bestrebungen, die einen unabhängigen Staat als Endziel sehen und nicht die großrussische Lösung einer Vereinigung. Die Österreicher förderten, schon aus anti-russischen Überlegungen, die Entstehung einer autochthonen „kleinrussischen“ Unabhängigkeitsbewegung. So gab es im Ersten Weltkrieg sogar einen offiziellen Kronprätendenten für ein nach dem (möglichst gewonnenen) Krieg zu gründendes unabhängiges Königreich Ukraine, Wilhelm von Habsburg-Lothringen.

Was es so alles gab, in der Geschichte, wirklich erstaunlich.

Geschichte ist noch viel erstaunlicher

1917, nach der Russischen Revolution, entstand ein eigenständiger ukrainischer Staat mit Kiew als Hauptstadt. Ein Jahr später, mit dem Zerfall der Donaumonarchie, zerfiel auch Galizien, der Westteil wurde polnisch, das Gebiet um Lemberg schloss sich noch 1918 dem neuen Staat Ukraine an. Doch das Konstrukt hält nicht, im Vertrag von St. Germain geht die Westukraine an Polen, während der Ostteil sich unter Symon Petljura noch bis 1920 der Roten Armee widersetzt. Ach ja, bei der Gelegenheit werden von Herrn Petljura bei diversen Pogromen in der unabhängigen Ukraine bis zu 50.000 Juden ermordet.

Die Sowjets förderten die Ukrainisierung der neuen Sowjetrepublik, allerdings im Großrussischen Sinn, der die Einheit zwischen Schwarzrussen (Moskau), Weißrussen (Minsk) und Rotrussen (Kiew) in einem einzigen Herrschaftsgebiet postuliert. (Das mit den Farben stammt aus dem Mittelalter. Im byzantinisch-griechischen Verständnis war Kleinrussland das Gebiet um Kiew, Großrussland alles andere). Jedenfalls bekam die Ukraine erst unter den Sowjets eine eigene staatliche Struktur und eine einheitliche Staatssprache und -schrift. Dass heute in der Ukraine in allen bis auf zwei der Oblasti mehrheitlich Ukrainisch gesprochen wird, verdankt die Ukraine den Sowjets mindestens ebenso wie dem Vorgänger von Janukowitsch, Viktor Juschtschenko, der während seiner Amtszeit die Verbreitung des Ukranischen sehr vorantrieb.

Im Zweiten Weltkrieg kamen dann die Deutschen, komplett mit Plänen für einen ukrainischen Vasallenstaat. Noch vor dem Einmarsch regulärer deutscher Truppen im August 1941 rief Stepan Bandera in Lemberg eine unabhängige Republik Ukraine aus und massakrierte zur Feier des Tages 7000 Menschen, meist Juden oder Kommunisten (oder beides). Die Deutschen nahmen wenig später Kiew ein und – erraten: massakrierten aus diesem Anlass 30.000 Juden in Babi Yar. Stepan Bandera steckten sie zuerst ins Lager, denn eine unabhängige Ukraine stand nicht auf ihrem Programm, später organisierte Bandera für die Deutschen den antisowjetischen Partisanenkampf. Während Bandera 1946 nach München floh, gingen die Partisanenkämpfe bis in die Fünfzigerjahre weiter. (Bandera wurde übrigens 1959 im München von KGB-Agenten auf offener Strasse ermordet.)

Zuletzt gab’s noch die Krim

Stalin gab der Ukraine, vielleicht als Ausgleich für erlittenes Unbill, nach dem zweiten Weltkrieg das Gebiet um Lemberg zurück, das er den Polen wegnahm, sowie die Karpatoukraine, die er von der Tschechoslowakei abtrennte. Sein Nachfolger Chruschtschow schenkte Kiew 1954 auch noch die Krim, die bis dahin zur russischen SSR gehört hatte, zum Anlass des 300-Jahre Jubiläums der Unterzeichnung des Vertrages von Jaroslawl (Sie erinnern sich: Kosakenhetman Chmelnytzkyj, Anschluss an Moskau). Warum genau, weiß man bis heute nicht, vielleicht, weil Chruschtschow selber aus der Ukraine stammte, allerdings aus dem auch heute noch mehrheitlich russischen Donez. Vielleicht auch, weil es ja egal war, schließlich war ja alles Teil der Großen Union der Sozialistischen Republiken. Bei diesem feierlichen Anlass wurden übrigens keine Juden massakriert. Und auch eine unabhängige Ukraine war kein Thema.

Und dennoch gibt es diese Ukraine heute, fünfzig Jahre später. Man muss wirklich bewundern, mit welcher Zielstrebigkeit und welchem Einsatz die diversen exilukrainischen Organisationen, von München bis Kanada, von Lemberg ausgehend, anlässlich des Zerfalls der Großen Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken die Unabhängigkeit der Ukraine betrieben und tatsächlich erreichten.

Ich behaupte ja, dass diese Unabhängigkeit der Ukraine den Russen bei der Auflösung der Sowjetunion einfach passiert ist, aus Unaufmerksamkeit oder sonst was, und dass die russische Außenpolitik, nachdem sie sich von dem Schock erholt hat, seitdem alles tut, dieses Hoppala zu korrigieren.

Wladimir Putin, der Neue Zar in Moskau, kann gar nicht anders, als alles in seiner Macht stehende zu tun, diese Unabhängigkeit rückgängig zu machen.

Schon das Zarentum sah sich als Herrscher aller Russen, nicht umsonst nannte es sich Wse Rossijskaja Imperija, All-Russisches Imperium. Im Panslawismus erhob man sogar den Führungsanspruch auf alle slawischen Nationen. Die Sowjetunion übernahm diesen Anspruch nahtlos; Putin, der nicht umsonst den Zusammenbruch der UdSSR eine politische Katastrophe nennt, sieht sich als legitimer Erbe dieses Anspruchs. Ob bei seiner blöden Zollunion, oder was auch immer für ein Euphemismus für Russischen Imperialismus da verwendet wird, also ob bei der geplanten Zollunion Armenien dabei ist oder Kasachstan, kann ihm relativ egal sein, aber wenn die Ukraine nicht mitmacht, hat er seinen legitimen Anspruch als der Herrscher aller Russen verspielt.

Daher geht es jetzt in der Ukraine um die ganz fundamentale Frage: Ist dieser Jahrhunderte alte Herrschaftsanspruch, den Iwan der Schreckliche als Nachfolger der Kiever Rus erhob, der die Außenpolitik des Zarenreiches grundlegend prägte, und der nach dessen Zerfall nahtlos von der Sowjetunion übernommen wurde, und nach deren Zerfall von Wladimir Putin, hier und heute noch aufrecht zu halten, oder hat es Väterchen Wladimir tatsächlich vergeigt?

Unappetitliche Mitreisende

Bevor jetzt aber alle Europäer in euphorischen Jubel ausbrechen, weil in Kiew gerade die Guten siegen, sollten wir uns bewusst sein, dass da eine Reihe von eher unappetitlichen Mitreisenden mit im Zug sitzen, etwa die „Allukrainische Union – Svoboda“ (Freiheit), eine in der Rada vertretene offen rechtsnationale Partei, oder der so genannte „Rechte Sektor“, eine lose Vereinigung von Wehrsportgruppen und Fussball-Ultras. (Wobei man auch vorsichtig sein sollte, was da von der russischen Agitprop verbreitet wird und was tatsächlich stimmt.)

Natürlich hat es mir missfallen, dass der Nationalist und Sieger der orangen Revolution, Viktor Juschtschenko, 2005 am Grab von Symon Petljura am Pariser Friedhof Montparnasse Blumen niedergelegt hat, demonstrativ und in Begleitung seiner Frau und eines Rudels Photographen.

Natürlich hat es mir missfallen, dass Anhänger des Fußballklubs Karpaty Lwiw zur Fußball-Europameisterschaft ein Riesentransparent von Bandera in die Höhe hielten. (Bandera hat im westukrainischen Ternopil sogar ein eigenes Denkmal.)

Selbst Wilhelm Franz Habsburg-Lothringen, der ex-Thronprätendent, rückte in späteren Jahren immer deutlicher in die Nähe des Antisemitismus, bevor er im August 1947 am Wiener Südbahnhof von den Sowjets entführt und nach Kiew verschleppt wurde, wo er zwei Jahre später im Gulag starb. (Dafür wird heute auch Erzherzog Wilhelm Franz in der Ukraine als Held verehrt – nur wir Österreicher wissen halt nix mehr von der Weltgeschichte.)

Auch habe ich zur Kenntnis genommen, dass der russische Erbfeind Polen in der Ukraine derzeit laufend Sympatiepunkte sammelt. OK, erstens wollen die Ukrainer im Moment das Großrussische ja eher nicht, zweitens können sie im benachbarten Polen erste Reihe fußfrei zusehen, was es bringt, Mitglied der EU und des kapitalistischen Westens zu werden, und drittens hat Polens Außenminister Radek Sikorski in den letzten Wochen, zusammen mit Frank Walter Steinmeier, seinem deutschen Amtskollegen, einen wirklich erstklassigen Job gemacht. Dennoch: Nachdem sich Ruthenen und Polen sowie Litauer in den letzten vierhundert Jahren eigentlich nur in der Wolle gelegen sind, quer durch Galizien, die Bukowina und Wolhynien, ist es derzeit schon erstaunlich, was das „Friedensprojekt EU“ alles zuwege bringen kann. Das sollten wir, bei aller Kritik gegenüber Brüssel, nicht vergessen.

Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Noch kann Väterchen Putin ein Ass aus dem Ärmel ziehen, das wir uns nicht erwarten oder von dem wir noch nix nichts wissen. Und noch kann, was viel wahrscheinlicher ist, sich die Ukraine selbst ins Bein schießen und es irgendwie verschisteln, wie es ihr ja schon nach der orangen Revolution 2004 gelungen ist.

Wir leben in interessanten Zeiten.

Jo derfen’s denn des?

Seit Einführung des Euro ist das im Umlauf befindliche Bargeld um das vierfache im Wert gestiegen. Wo genau all diese Euro sind, weiß eigentlich niemand. Die EZB in Frankfurt vermutet, dass ein Teil davon außerhalb der Eurozone kursiert. Zum Beispiel im Kosovo und in Montenegro, wo der Euro ganz offiziell als Landeswährung verwendet wird, ohne dass es eine offizielle Erlaubnis dafür gäbe.

(Dieser Text erschien vor einem Jahr in CASH•FLOW. Mittlerweile ist Milo Đukanović wieder Ministerpräsident von Montenegro und soll sein Land in die EU führen. Der Artikel hat nichts an Aktualität verloren … )

Der jährliche Bericht der Europäischen Zentralbank (EZB) ist  zugegebenermaßen nicht jedermanns Vorstellung einer vergnüglichen Sonntagsnachmittagslektüre. Wer sich jedoch die Mühe macht, das Monster-pdf vom Presse-Download-Server in Frankfurt am Main durchzuforsten, kann ein paar interessante Details ausgraben.

Zum Beispiel die Sache mit den im Umlauf befindlichen Banknoten. Die werden nämlich immer mehr.

Eigentlich sollten sie ja immer weniger werden, schließlich tragen wir, dank stetig steigender Volumina der Kreditkarten-Transaktionen, sich rasant vermehrender Bankomatkassen und des ebenfalls per definitionem bargeldlosen Einkaufens im Internet, das ja angeblich auch stetig wächst, immer weniger Banknoten im Börserl herum. Möchte man annehmen.

Doch dem ist, wie schon erwähnt, offensichtlich nicht so,  denn sowohl die Anzahl als auch der Wert aller im Umlauf befindlichen Banknoten ist stetig steigend. 2002, als die ersten Eurobanknoten ausgegeben wurden, druckten die jeweiligen nationalen Notenbanken insgesamt rund acht Milliarden Stück Banknoten mit einer Gesamtnominale von knapp über 200 Mrd. Euro. Acht Jahre später, Ende 2010, waren vierzehn Milliarden Banknoten im Umlauf, mit einer Gesamtnominale von 840 Mrd. Euro. Das ist, bevor Sie nachrechnen, in etwa eine Verdoppelung der Stückzahl, bei einer Vervierfachung der Nominale. Womit sich die Frage stellt: Wo ist all dieses Bargeld?

Na ja, werden Sie jetzt einwenden, schließlich sind seit 2002 eine Reihe von Länder der Eurozone beigetreten, das hat sicher einiges verändert. Mag sein, erwidert der Statistiker der EZB, aber aus der Wachstumskurve ist das nicht ersichtlich, und eine Vervierfachung erklären die paar Beitritte auch nicht wirklich. Der einzige echte Blip in der sonst linearen Kurve ergab sich im Oktober 2008,  als anlässlich der Lehmann-Pleite der Wert der Noten im Umlauf innerhalb eines Monats um rund 40 Mrd. Euro anstieg: Offenbar hat die Krise einige dazu verleitet, wieder auf Bargeld unter der Matratze umzusteigen.

Und obwohl die Zahlen der EZB auch die Sichteinlagen bei den Banken beinhalten, dürfte das Gros dieses Blips tatsächlich unter diversen Matratzen und in verschiedensten Gurkengläsern zwischen Rovaniemi und  Palermo verschwunden sein, umso mehr, als die EZB in ihrem jüngsten Bericht anmerkt, dass die Mehrheit der damals ausgegebenen Scheine bis heute nicht zurückgekehrt sei, während die „Lebenszeit“ eines normal im Umlauf befindlichen Scheines, vor allem bei niedrigeren Nominalen, bei durchschnittlich achtzehn Monaten liegt.

Doch das erklärt nur einen, noch dazu relativ geringen, Teil des vervierfachten Wertvolumens, wie auch die EZB zugibt. Linear aufgeteilt auf alle Bürger der Eurostaaten ergäbe das einen Barbetrag von 2.300 € pro Bürger, von der Oma bis zum Kleinkind.  Und selbst wenn man die Bargeldbestände der einzelnen Zentralbanken berücksichtigt, schwappt da ziemlich viel Cash durch die Gegend.

Wo genau all dieses Bargeld herumgeistert, weiß im Grunde niemand. Die EZB vermutet, dass rund ein Viertel des Gesamtvolumens außerhalb der Eurozone in Umlauf ist. (Anderen Quellen zufolge ist das noch konservativ geschätzt.) Als Grund nennen die Eurobanker auf ihrer Website „steigenden Bedarf aus osteuropäischen Nicht-EU-Staaten“, deren Währung in der Finanzkrise „gegenüber dem Euro stark abgewertet“ hätten. Wobei unter „osteuropäischen“ Staaten hauptsächlich der Balkan gemeint sein dürfte, wo der Euro nahtlos das Erbe der Deutschen Mark angetreten hat.

Dabei verschweigt das eigene Kapitel „Der Euro außerhalb der Eurozone“ auf dem EZB-Server dezent, dass in zwei Ländern auf dem Balkan – Kosovo und Montenegro, beides Nachfolgestaaten des alten Jugoslawien – der Euro ganz offiziell nationales Zahlungsmittel ist, und es keine eigene nationale Währung gibt. Und zwar ohne dass die EZB oder sonst wie irgend jemand um Erlaubnis gefragt wurde.

Schon im alten Jugoslawien hielt man von der deutschen Währung mehr als vom eigenen Dinar, gespiegelt in dem klassischen Witz: „Frane hat von seinem Onkel in Amerika 50.000 Dollar geerbt.“ „Wie viel ist das in unserer Währung?“ „Na, in etwa hunderttausend D-Mark.“

Die Tradition hat sich bis heute erhalten, schließlich hat Slowenien der Euro schon eingeführt, während EU-Beitrittskandidat Kroatien seinen Bürgern ganz offiziell Bankkonten und Sparbücher in Euro anbietet, die diese auch fleißig nutzen. Größere Summen, etwa für einen Pkw oder eine Immobilie, werden selbst in offiziellen Ankündigungen in Euro angegeben.

In der kroatischen Zentralbank in Agram erklärt man dazu, das sei eine bewusste Maßnahme, um vor allem die Schattenwirtschaft, die sich vor und während des Bürgerkrieges ziemlich breit gemacht hatte, auszutrocknen, schließlich sei es zwar legal, Euro zu besitzen, aber illegal, sie selber in Kune zu tauschen, außerdem entziehe man so dem Schwarzmarkt größere Summen Bargeld, ohne die dieser nur schlecht funktionieren kann.

Genau das, vermuten Insider, habe die Regierungen in Podgorica und Priština bewogen, es anders zu machen. Sprich: Sich statt einer eigenen Währung gleich mit „The Real Thing“ – äh, Währung – zu begnügen.

Beim Kosovo ist das eher verständlich, ist doch die ehemals serbische Provinz heute eine Art Kolonie der Europäischen Union, komplett mit einem EU-Statthalter, der Hoher Kommissar genannt wird. In ihrer ersten Kolonie, Bosnien und Herzegowina, hatte die EU noch eine eigene Währung aufgelegt, die so genannte „Konvertible Mark“, im Kosovo hat man von Anfang an darauf verzichtet. Außerdem kommt die Mehrheit des Staatshaushalts sowieso direkt aus Brüssel, da spart man sich dann auch gleich das Umrechnen.

Im unabhängigen Staat Montenegro, der sich im übrigen friedlich von Serbien gelöst hat und auch mit seiner Anerkennung weltweit keinerlei Probleme hat, ist die Sachlage anders. Um das zu erklären, muss man ein wenig ausholen.

Montenegro ist nicht Italienisch für Schwarze Berge (sonst hieße es Monteneri), sondern Venezianisch, und nur eine Übersetzung des slawischen Crna Gora, das sowohl mit schwarze Berge als auch schwarzer Wald oder schwarz bewaldeter Berg übersetzt werden kann. Ungefähr so stellt sich das Land auch dar: Über der lieblichen Bucht von Kotor erhebt sich ein dunkles, steil aufragendes Bergmassiv, das ziemlich unfreundlich und ziemlich uneinnehmbar aussieht, die Venezianer jedenfalls haben es in sieben Jahrhunderten nicht probiert. Hier ist mit der Tara-Schlucht der tiefste Canyon Europas, während die Täler nur über schmale Bergpässe erreichbar sind. Die Gegend ist im europäischen Vergleich recht dünn besiedelt, Strassen gibt es kaum, und selbst die Einfahrt zur Bucht von Kotor muss man von der See aus in der tief zerklüfteten Küstenlandschaft der südöstlichen Adria erst einmal finden.

Ach ja, und wild romantisch und pittoresk ist es natürlich auch, die Bucht von Kotor gilt unbestritten als einer der hübschesten Orte im ganzen Mittelmeer.

Politisch ist es weniger romantisch, die Macht liegt in Wahrheit bei einer Reihe von Klan-Führern aus den jeweiligen Tälern und Poljes, und die Strukturen sind eher feudal. Dafür hat Montenegro als einziger Nachfolgestaat des alten Jugoslawien eine lange Tradition der Eigenstaatlichkeit und wird seit dem elften Jahrhundert abwechselnd von Königen, orthodoxen Fürstmetropoliten und türkischen Sandschaks regiert und wurde erst 1919 Teil des Königreichs Jugoslawien.

In den Wirren des zerfallenden Jugoslawiens, also in den 90ern des letzten Jahrhunderts, hat sich hier das Zentrum des internationalen Zigarettenschmuggels etabliert. Auch das steht in einer langen Tradition, von der schon Karl May in „Durch die Schluchten des Balkan“ schreibt. Schmuggeln gehört hier zum Alltag.

Es folgt der Auftritt des jugendlichen Herrn Milo Đukanović, 1962 in Nikšić geboren, der wurde 1991 mit nur 29 Jahren Premierminister und 1998 Staatspräsident der Teilrepublik Montenegro. Und 1999 wurde die D-Mark zur offiziellen Staatswährung des – damaligen – Teilstaates der Rest-Bundesstaates Jugoslawien erklärt. Gleichzeitig begann Đukanović, für die Eigenstaatlichkeit Montenegros zu werben.

Böse Zungen haben dafür folgende Erklärung: Đukanović, gegen den in Deutschland und Italien Untersuchungen wegen Zigarettenschmuggels laufen, habe in der Unabhängigkeit einen eleganten Ausweg gesehen: Als Staatsoberhaupt eines souveränen Staates wäre er ziemlich immun. Wegen dem bisserl Zigarettenschmuggel. Und das mit der D-Mark wäre auch einfach zu erklären, denn die emsigen Montenegriner zeigten wenig Lust, den ziemlich elenden Wirtschaftskurs des Slobodan Milošević und den damit verbundenen Fall des Dinar mit zu finanzieren, ausserdem kann man sich mit Dinar auf dem internationalen Schmugglerparkett allenfalls lächerlich machen, aber die D-Mark ist doch was Solides, und praktisch war es auch noch, weil ab da brauchte man nicht dauernd umrechnen.

Irgendwie nahm die Bundesrepublik Deutschland das damals wohlwollend zur Kenntnis, oder es ist einfach nicht weiter aufgefallen, jedenfalls ging es auch international klaglos über die Bühne.

Wie man aus der Geschichte weiß, wurde Montenegro am 3. Juni 2006 ein unabhängiger Staat, während Đukanović, der im Februar 2008 erneut Premierminister geworden war, diesmal eines unabhängigen Montenegro, sich im März 2008 einer Untersuchungskommission in Bari in Italien stellte, die zu einem Ergebnis kam, das nie veröffentlicht wurde.

Nach wie vor gibt es unappetitliche Gerüchte über den Schmuggel von Menschen, Waffen und Narkotika sowie ein paar Auftragsmorde, unter anderem an Duško Jovanović, Herausgeber der regierungskritischen Zeitung Dan. Egal. Seit 2010 jedenfalls ist Igor Lukšić Premierminister, und das ehemalige ZK-Mitglied der jugoslawischen Kommunisten, Milo Đukanović, ist in die politische Pension verschwunden, mit knapp fünfzig Jahren ruht er sich auf dem Lorbeer aus, Montenegro in die Unabhängigkeit geführt zu haben.

Ach ja, ich vergass es zu erwähnen: Als die D-Mark in den Euro aufging, nahm Montenegro selbstverständlich auch den Euro an. Und das ging ebenfalls ohne gröberen außenpolitischen Schluckauf über die Bühne.

Das würde, wenn man es konsequent durchdenkt, natürlich einen Großteil des physischen Verbleibs eines Viertels des Bargeldumlaufs der Eurozone erklären, und auch sein stetiges Wachsen: Offenbar gehen die Geschäfte gut. Inwieweit die kalabrische N’Drangheta, schließlich keine zweihundert Kilometer entfernt am anderen Ufer der Adria, mit von der Partie ist, will niemand sagen, außerdem gilt selbstverständlich für alle Beteiligten das Unwort dieses Jahrzehnts, nämlich die Unschuldsvermutung.

Mittlerweile verdient Montenegro sein BNP offiziell hauptsächlich aus dem Tourismus, schließlich ist es in Kotor ja wirklich hübsch. Die Mehrheit der Touristen besteht aus Russen, die die cyrillischen Aufschriften ebenso schätzen wie das orthodoxe Weltbild, alles wie zu Hause, nur das Wetter ist deutlich besser, und man zahlt alles in Euro, auch die eigenen Bankeinlagen. Die Mehrheit der besten Grundstücke entlang der pittoresken Küste ist längst fest in russischer Hand, heuer im Sommer ankerten vor Kotor schon die dicken Yachten, die so groß sind, dass sie nicht in der Marina anlegen können, sondern nur am Kai der Fähre. Und wo dann für die Dauer von zwei Stunden zehn finster blickende Matrosen Wacht halten, bis die 70-Meter-Yacht wieder auf Reede geht. Adriatischer Alltag 2011.

Selbstverständlich ist Montenegro längst offizieller Kandidat zur Aufnahme in die EU, auch um die entsprechende NATO-Mitgliedschaft ist man bemüht, sieht alles ganz rosig aus.

Und an der Grenze herrscht, vor allem für Touristen, ein strenges Regime: Alle Barmittel über 3.000 Euro müssen bei der Einreise angemeldet werden, ebenso alle Kredit- und Bankkarten, die zur Bargeldabhebung an den lokalen Bankomaten – in Euro, selbstverständlich, in was denn sonst – berechtigen. Weil sonst darf man weder Karten noch Bargeld wieder ausführen. Wäre ja noch schöner, hier.

Die Rückkehr der Pechtra Baba oder Die Kunst des Weglassens als Ausdruck des Kärntner Seins

 

Gestern Abend bin ich wieder einmal im Lehnsessel eingeschlafen und nicht, wie sich das für einen anständigen Bürger gehört, im Bett, möglichst ausgezogenerweise. Also mit einem züchtigen Schlafanzug, natürlich, weil das nackert schlafen gehört sich ja auch nicht. Das macht die Bettwäsche so schmutzig, hat schon meine Mami gesagt. Und außerdem: Es gehört sich einfach nicht.

Egal. Eingeschlafen bin ich, weil ich so angestrengt nachgedacht hatte, über das Wesen des Kärntner Seins. Oder, wie das bei Thomas von Aquin schon heißt, das Seiende an sich. (Oder war das bei Heidegger?) Egal, jedenfalls denke ich schon seit Langem darüber nach, was denn das ausmacht. Das Sein nämlich, das Kärntnerische. Oder, um es einfacher zu sagen: Was macht Kärnten eigentlich aus?

Ein Punkt ist ganz sicher das Weglassen.

Am Schönsten demonstriert sich die Kärntner Kunst des Weglassens in der Sprache. (Ich weiß, ich hab’ das schon mal geschrieben. Aber es stimmt noch immer.) Also Sprache. Zum Beispiel in: Muass Klognfuat foahn. (Man verzeihe mir, dass ich Fremdländer kein fließendes Kärntnerisch zusammenbringe.) Das hochdeutsche „Ich muss nach Klagenfurt fahren“ braucht fast doppelt so viele Worte.

Oder auch, in der besonderen Kombination von „ane“ als Bezeichnung für mehrere: Brauchts ane Untatatzalan oda tans Schalalan aa?

Irgendwie erinnert mich das immer an die berühmten Kinderfragen: Papa, deaf i Kaugummi? Ja, was jetzt? Haben? Werfen? Auf den Bauch picken?

Unlängst wieder im Supermarkt: „Mama, deaf i Kaassemmale?“

Dieses subtile Weglassen nicht wirklich benötigter Dinge, weil in Wirklichkeit ja eh’ jeder weiß, was gemeint ist, schließlich will das Kind die Kaassemmale erstens bekommen und zweitens essen, und zwar jetzt, was haben Sie sich denn sonst gedacht? Also diese feinfühligen Einsparungen von Dingen, die sowieso jeder weiß, hat die Kärntner Politik auch übernommen.

Zum Beispiel bei der Budgetkontrolle. Es weiß eh’ jeder, dass die Landesregierung alles, was sie tut, zum Wohle des Landes Kärnten tut, also wozu noch aufwendig kontrollieren, kost jo lei no mea Göld.

Oder so in etwa.

Das erklärt den Umgang mit den Landesfinanzen, wie er auch beim Scheiß-Dich-nicht-an-Birni-Prozess zu Tage kam.

Kein Wunder, dass da inquisitive Staatsanwälte ebenso wie naseweise Journalisten schlecht ins Bild passen bzw. als nestbeschmutzende Einmischung von außen empfunden werden. Zumindest von denen, die täglich alles nehmen – äh – geben, um dem Volk zu dienen. Oder so ähnlich.

Folgerichtig sagte Richter Manfred Herrnhofer bei der Urteilsverkündung so etwas wie die politische Schuld läge mehrheitlich bei dem, der vor seinem Tribunal nicht mehr verfolgt werden könne. So gesehen ist er nicht vom Himmel gefallen, sondern schwebt als schmierig grinsender Geist über all jenen Morasten und Sumpftümpel, in deren schlierigen Oberflächen er sich spiegelt.

Christian Rainer, diese fleischgewordene Apotheose der Selbstdarstellung, der Kollege von der Bobopostille profil, zweifelt in aller Öffentlichkeit an, dass Kärnten überhaupt reformierbar ist.

Und auch die Presse, wenngleich um vieles höflicher, zweifelt mit. „Mangels eines Gegenentwurfes“, so schreibt sie, sehe man keine Alternative.

So was ist alles nicht förderlich für einen gesunden Schlaf, selbst im besten aller Lehnsessel, also bin ich wieder aufgewacht.

Und da war sie wieder, die Perchtl, die Pechtra Baba, bei mir auf Besuch. Schiach wie ein Untersuchungsausschuss ist sie ja schon, die Baba. Aber ich fürcht’ mich da überhaupt nicht mehr.

„Baba“, sag’ ich, schon ganz vertraut, „was willst Du denn jetzt wieder?“

„Ich will Dich erschrecken.“

„Nach dem Birni-scheiß-dich-nicht-an-Prozess soll’ ich mich noch vor was schrecken?“

Sagt die Baba: „Es geht immer noch schlimmer.“

„Klar“, sag’ darauf ich, „zum Beispiel bei diesem Tillo …“

„Bei wem?“

„Na, dem Tillo Berlin.“

„Der hat nur ein l.“ Sagt jetzt die Baba.

„Bist Du da sicher?“ Sag ich.

Sagt sie: „Da bin ich mir ganz sicher.“

„Ich bin mir auch ganz sicher“, sag’ ich jetzt, „dass er als Vorstandsvorsitzender der Hypo Alpe Adria, so mit Prämien und allem, drei Millionen Euro bekommen hat.“

„Der war doch nur knapp zwei Jahre dort Chef?“

„Ja, genauer 23 Monate. Und wenn man das umlegt, so mit Montag bis Freitag und alle Feiertage, dann hat er pro Arbeitstag über 6.500 Euro bekommen.“

Die Baba pfeift anerkennend durch ihre schiefen Vorderzähne. „Das ist nicht schlecht. War der so gut?“

„Kommt drauf an. Für die Bank nicht. Die schrieb zu der Zeit hohe Verluste und musste vom Staat mit Kapitalzuschüssen unterstützt werden. Das hat den Herrn Berlin nicht daran gehindert, 600.000 Euro Bonus einzustreifen.“

Die Baba scheint beeindruckt.

„Das geht noch besser.“ Langsam gewinne ich die Oberhand. „Aber man darf nicht immer nur nach Kärnten schauen. Im schönen Oberösterreich sind sie auch nicht schlecht unterwegs. Dort hat die Stadt Linz zwei Bilder von Schiele und eine Klimt-Zeichnung verschlampt.“

„Was heißt verschlampt? Das sind ja Kunstwerke, die für viel Geld gehandelt werden.“

„Eh. Das hat die Stadt Linz, respektive die Neue Galerie, die der Stadt gehört, aber nicht wirklich gehindert. Die hat sich Schieles Aquarell „Junger Knabe“, das Ölgemälde „Tote Stadt“ sowie eine Klimt-Zeichnung mit dem Titel „Zwei Liegende“ 1951 von der damaligen Besitzerin ausgeborgt. Ganz legal, mit Übernahmebestätigung. Und heute sind die drei Werke einfach unauffindbar. Futsch. Gone. Disparu. Die Erben fordern rund 7 Mio. Euro. Und das könnte es die Stadt auch kosten. Steuergeld. Stell’ Dir vor, was man damit alles hätte machen können.“

„Ein teureres Birnbacher-Gutachten?“ schlägt die Baba vor.

„Geh’, Baba, sei ein bisserl ernster.“

„Dann schreck’ mich halt noch ein bisserl mehr.“

„OK“, sag’ ich jetzt, da kann ich noch einen drauf setzen. „Der Helmut Elstner will 1,8 Milliarden Dollar Schadenersatz.“

Jetzt ist es mir gelungen. Die Baba starrt mich sprachlos an.

Schließlich sagt sie: „Wie bitte? Von wem?“

„Von so ziemlich jedem, der ihm eingefallen ist. Elsner hat in New York eine Betrugsklage eingebracht gegen BAWAG-Eigentümer Cerberus, Ex-ÖGB-Chef Rudolf Hundstorfer, Ex-BAWAG-Chef Ewald Nowotny, Ex-BAWAG-Aufsichtsrat Erich Foglar, Ex-BAWAG-Vorstand Stephan Koren, den früherer BAWAG-Treasurer Thomas Hackl sowie die Ex-Refco-Chefs Phillip Bennett und Tone Grant und BAWAG-Anwalt Markus Fellner. Man habe ihn betrogen, und er fordere Schadenersatz.“

„In der Höhe von …“ Die Baba ist noch immer verduzt.

„Einskommaacht. Milliarden. Zwar nur US-Dollar, aber das ist dann auch schon wurscht.“

Und jetzt, so denk’ ich mir, geb’ ich ihr den Todesstoß. „Und der – äh – der Dingsbums …“

„Der wer … ?“

„Na, der Altherrenfaschist, aus Kanada, Du weißt schon …“

„Nicht“ schreit die Baba jetzt, „untersteh’ Dich und nenn’ seinen Namen. Das bringt Unglück.“

„Wurscht, er fällt mir eh nicht ein. Na, jedenfalls hat der seine neue Partei vorgestellt. Ohne jeden störenden Inhalt, aber mit sehr viel Pathos.“

„Ja, und? Die anderen Parteien sind inhaltsvoller?“

„Eh’ nicht. Aber am letzten Sonntag hat man ihn – in dieser Sendung Tick, Trick und Track interviewen Onkel Dagobert – gefragt, warum er so viele Politiker in seinem Unternehmen beschäftigt hat. Und da hat er gesagt – wörtlich – die seien eh’ nicht so schlimm, die müsse man nur umerziehen.“

Die Baba schweigt und schaut mich an.

„Umerziehen“, sag ich jetzt und schaue zurück. „Das hat so einen faulen Beigeschmack, das ranzelt so … wie soll ich sagen … “

„Und das ist keinem aufgefallen?“ unterbricht die Baba.

„Offenbar nicht, obwohl’s ja eigentlich eine Steilvorlage ist. Aber vielleicht braucht die keiner, weil wenn er so weitermacht, demontiert er sich eh’ selber.“

„Sag’ das nicht. Der könnte über zehn Prozent der Stimmen bekommen.“

„Was? Du glaubst wirklich, der – Dingsbums – na, ah ja, jetzt fällt er mir ein, der Stronach …“

Da stosst die Baba einen ganz schrillen Schrei aus und verschwindet in einer Wolke aus Ruß und Schwefel.

Und von dem Schrei bin ich dann wieder aufgewacht.

Schade.

Ich hätte sie noch so gerne gefragt, ob sie wirklich daran glaubt, dass der Herr – äh, Dingsbums aus Kanada, also ob der tatsächlich etwas reissen wird, bei den Auftritten, die er liefert.

Und ob sie auch glaubt, dass die Grünen in Kärnten Leute suchen, die bei der nächsten Landtagswahl ihre Infostände betreuen sollen. Gegen Geld. Also gegen Entgelt. Weil jetzt haben sie doch eh’ so viel Geld, nach der Erhöhung der Parteienföderung. Aber vielleicht ist das alles nur eine böse Unterstellung. Deshalb hab’ ich sie ja auch fragen wollen … jetzt ist sie weg. Und ich bin wieder allein.

Aber dass die Grünen in Kärnten, trotz  mehrmaliger Bitte, mit uns immer noch nicht reden, das kann ich bestätigen. Offenbar sind Piraten nicht satisfaktionsfähig, oder irgendwie so.

Der neue SPD-Spitzenkandidat in Deutschland – wie bitte? Ja, genau der, der die Schweiz mit der afrikanischen Stadt Ouagadougou verglichen hat, also der weltgewandte Herr Steinbrück, hat ja auch schon öffentlich angekündigt, egal wie die nächste Bundestagswahl ausgeht, mit den Piraten rede er nicht, „Die Piraten werden nicht regieren wollen – und könnten es auch nicht“, sagte er der „Welt am Sonntag“ am vergangenen Wochenende.

Ich denke mir, die sollten wir alle eines Besseren belehren.

 

PS: Haben Sie jetzt in Wikipedia unter Heidegger nachgeschaut, oder Thomas von Aquin? Ja, ja, das ewige Bildungsbürgertum. 🙂

Die Gruselgeschichte von der Pechtra Baba oder Man wird ja noch träumen dürfen

 

Gestern abend bin ich vor dem Fernseher eingeschlafen. Mit all der Aufregung über
U-Ausschuss wird abgedreht oder nicht, Kollegin Schramm, die fleischgewordene Peinlichkeit, steht im Shitstorm, Charlie Hébdo veröffentlicht neue Karikaturen des Propheten – äh – Dingsbums, EU-Anwärter Kroatien will den Euro möglichst bald einführen (san de deppat?) – kurzum, mich hat die Aufregung überwältigt, vielleicht auch das kleine Bier. Also eingeschlafen.

Wie ich wieder aufwache, sitzt eine neben mir, der tät’ ich im Dunklen nicht begegnen wollen, so hässlich ist die. Irgendwie denk ich mir – nach so einem Tag! – nix weiter dabei, schließlich hab’ ich öfters seltsame Gäste.

Sag’ ich dann doch zu ihr: „Wer bist Du denn?“ Sagt sie: „I bin die Pertchtl.“

Ich, Zuagroaster aus dem feindlichen Ausland (aka Bundeshauptstadt), hab’ natürlich keine Ahnung. Und sag’ das auch. Sagt sie: „Die Pechtra Baba, na slovensku …“

„Das kann ich auch nicht“, sage daraufhin, wahrheitsgemäß, ich. „Egal“, sagt die Baba jetzt, „ich bin gekommen, Dir eine Geschichte zu erzählen. Eine grausliche, denn Du sollst Dich fürchten vor mir …“

Und dann hat sie mir eine Geschichte erzählt, die Pechtra Baba.

Die Geschichte geht von den wackeren Kärntner Roten und der schönen Zeitung, die sie Jahrzehnte lang hatten, zu einer Zeit, in der sie noch kleine rote Papiermarkerln in die Parteibücher geklebt haben, als Nachweis des Mitgliedsbeitrages … „ja, Baba“ sag’ ich dann, „und der Kreisky ist auch schon lange tot. Komm’ zur Sache.“

Die Pechtra Baba schaut mich erbost an, weil ich so respeklos rede mit ihr, und lässt sich nicht beirren. Und erzählt weiter, wie der Fortschritt ins Land Einzug gehalten hat, und wie daraufhin die Roten die schöne Zeitung heruntergewirtschaftet haben, so dass am Ende sie keiner mehr lesen, geschweige denn abonnieren wollte, und daraufhin die Werbekunden … „Baba“, sag’ ich jetzt, „die Roten haben ihre Zeitungen alle an die Wand gefahren, überall, auch in Frankreich und in Deutschland. Also erzähl’ mir was Neues.“

Potschasne“, sagt die Baba jetzt, „es ist erst vorbei, wenn die dicke Dame singt.“ Und dann erzählt sie mir, dass die Roten am Ende so verzweifelt waren, dass sie sie verkauft haben, die schöne Zeitung, samt dem Verlagshaus und der Druckerei. An einen erfolgreichen Villacher Geschäftsmann, der in Werbung macht, und ein bisserl in Grundstücken, und so. „A gstondana Untanehma, holt“, sagt sie dann, und grinst mich an.

Und erzählt, wie der Betriebsrat und die Chefredaktion besorgt waren, dass die Blattlinie … eine linksliberale, also etwas in Kärnten sehr verbreitetes … und der erfolgreiche Unternehmer hat ganz viel versprochen, und es werde keine Änderungen geben.

Und dann hat er es noch präzisiert, der erfolgreiche Unternehmer, in einem Interview mit einer anderen Zeitung. Da hat er gesagt: „ Wenn ein Journalist Material hat, soll er wen abflaschen. Mir is’ das egal. Ich will, dass wir eine gute Zeitung machen und nicht unter der Gürtellinie angreifen – das ist meine Grenze. Aber die Redaktion macht ohnehin, was sie entscheidet. Nur mitdiskutieren darf ich als Eigentümer noch – oder?“

Also ganz die Position des verantwortungsbewussten, nachhaltigen Unternehmers. Und dann hat er seinen Vater noch zum Prokuristen gemacht, der erfolgreiche Unternehmer, damit er wenigstens ein bisserl noch die Kontrolle hat, oder?

Leider war die Zeitung zwei Jahre später schon wieder pleite. Und dann gab es so was Unanständiges wie einen Konkursantrag, noch dazu von der Gebietskrankenkasse, es war allen echt peinlich. Heuer, Anfang Juni, am Bezirksgericht Klagenfurt Stadt.

Der Antrag sei „völlig überraschend gekommen“ für ihn, hat er gesagt, der erfolgreiche Unternehmer. Und dann passierte Seltsames: Dann kam ein anderer erfolgreicher Unternehmer, diesmal aus dem Oberland, der macht sein Geld in – erraten – Immobilien, und auch in Spielgemeinschaften, und mit dem anderen erfolgreichen Geschäftsmann, dem Villacher, vertreibt er zusammen auch diese neuen elektrischen Zigaretten. Nicht fragen, Sie wollen’s nicht wissen. Jedenfalls der aus Oberkärnten hat die Schulden von der Tageszeitung bei der Gebietskrankenkasse gezahlt, und da war man dann allgemein froh.

Und noch eine Woche später – da hatte der erfolgreiche Villacher den anderen Zeitungen schon erzählt, der erfolgreiche Oberkärntner habe keinerlei Geschäftsbeziehung mit dem Verlag – da war der erfolgreiche Oberkärntnter Unternehmer auch schon Mehrheitsbesitzer an einem Tochterunternehmen der Zeitung, nämlich den – an sich nicht ganz so maroden – Bezirksblättern.

Wo all das schöne Geld herkam, darf gerätselt werden. Ich mein’, für Kärntner Verhältnisse sind 240.000 Eumels ein Waukerl, da scheißt sich selbst der Birni nicht an, aber so auf die Schnelle, jetzt, hier, in bar … auch nicht so wenig, dass es aus der Portokasse genommen werden könnte. Aus den Bilanzen der Zeitung jedenfalls auch nicht, deren letzte aus 2010 weist 922.698,86 Euro Verbindlichkeiten, einen Bilanzverlust von 524.302 Euro und 371.586,53 Euro negatives Eigenkapital aus, also nicht wirklich berauschend.

„Aber da gibt es noch einen“, sagt die Pechtra Baba jetzt und grinst ganz hinterhältig, „der hat viel Geld, sehr viel Geld, und der will jetzt bei der kommenden Landtagswahl mitspielen, und da wäre eine Zeitung doch gerade recht … möglichst ohne eine offene Übernahme, von wegen dem Wirbel und der Medienbehörde warat’s, die in solchen Fällen ja mitreden will … und das bisserl Widerstand aus der Redaktion, das kriegen wir auch noch hin, schließlich sitzt das Herz links, aber das Geldbörserl sitzt rechts.“

„Ach ja“, sag’ ich. Und: „Das sind doch alles nur Spekulationen.“ Sag’ ich. Und: „Du hast absolut keine Beweise.“

„Ach“, sagt die Pechtra Baba dann, „und dass jetzt der Vater des erfolgreichen Unternehmers aus Villach – der mit der Prokura im Verlag – jetzt sein Wahlkampfleiter geworden ist, ist ein Zufall, ja?“

„Nein, was es doch für Zufälle gibt, sagt sie noch, und jetzt grinst sie direkt diabolisch. „Und, stell’ dir vor, er macht es ehrenamtlich. Was für eine Ehre. Und seine Prokura hat er selbstverständlich zurück gelegt.“

„Was“, sag’ ich jetzt, erstaunt, „der Alte ist jetzt Wahlkampfleiter beim … “

„Nicht!“ schreit die Baba jetzt, „nicht sag’ seinen Namen, „den darf man nicht aussprechen, sonst … “ zu spät.

„Frank Stronach“, sag’ ich jetzt, und die Baba schreit ganz fürchterlich laut, und es stinkt nach Schwefel, davon bin ich wieder aufgewacht. Und was dann passiert, werden wir nie erfahren. Weil: es is eh‘ nix passiert.

Und dann war gottseidank alles wieder normal. Der U-Ausschuss wird nicht eingestellt. Charlie Hébdo ist nicht abgefackelt worden, Frau Schramm ist noch immer eine blöde Kuh, und selbstverständlich ist die KTZ eine linksliberale Zeitung geblieben. *muhahahaha* Und alles Andere ist nur geträumt. Da hab’ ich nix versäumt.

Und das von der Hypo Alpe Adria Bank, die jetzt vom Staat Schadenersatz einklagen möchte, weil sie bei der Notverstaatlichung um vermögensrelevante Werte gebracht worden sein will, das habe ich natürlich auch nur geträumt. Gottseidank.

Äh – nein?

Ganz lange Pause.

Hallo, Nobelpreis-Komitee? Haben Sie auch einen Nobelpreis für Chuzpe? Also, ich möchte da einen Vorschlag machen …

 

Ergänzung am Di. 13.11.2012:

http://derstandard.at/1350261198868/Kaerntner-Team-Stronach-trennte-sich-von-Wahlkampfleiter

Ging eigentlich erstaunlich schnell.