Zeit, das Geschehene aufzuarbeiten.
Erstens: Warum haben wir in Kärnten verloren?
Im Grund genommen weil wir auf die Frage des Wählers „Warum soll ich ausgerechnet die Piraten wählen?“ keine ausreichende bzw. überzeugende Antwort gegeben haben.
Der Wähler geht mit seiner Stimme erstaunlich sorgsam um. Selbst der Protestwähler wählt nicht einfach $irgendetwas, sondern das, was das derzeitige System am besten „aufmischt“. Um ihn zu überzeugen, gerade die Piraten zu wählen, wo doch genau dort die Chance, dass seine Stimme verloren geht, besonders hoch ist, muss es einen verdammt guten Grund geben dafür, dass er’s dann doch riskiert.
Das mit den Protestwählern wäre hübsch gewesen, für die hätte es nicht einmal ein Programm gebraucht, leider hat da Zwerg Bumsti eindeutig mehr Geld. Gut, dann also mit Inhalten.
Die, die wir öffentlich angeboten haben, waren es nicht. Schön, Transparenz ist sehr piratig. Aber das Thema hatten fast alle, die Grünen wie die SP, selbst die Schwarzen. Was konnten wir da bieten, was die anderen nicht geboten haben, außer einem treuherzigeren Augenaufschlag mit dem Charme der reinen Amateure? Nicht wirklich viel. Schön, man attestiert uns sicher Sauberkeit, aber so die Überkompetenz in Sachen Durchblick wird uns nicht zugeordnet. Warum auch? Nur, weil wir das gerne hätten? Außerdem führt die schwarzrotgrüne Koalition in Kärnten gerade vor, wie das alles ohne Piraten auch geht, und das – bislang – recht beeindruckend.
Thema Wohnen – haben inzwischen auch schon alle. Und auch hier: Was sollen gerade wir da besser, anders, überzeugender können? Selbst wenn wir es tatsächlich könnten …
Fahrscheinlose Öffis hatten die anderen nicht, war aber offenbar in Kärnten auch nicht so der große Aufreger. Eher ein urbanes Thema, für Wien vielleicht … für Graz war’s eines. Aber Graz ist nicht Kärnten. Andrerseits zeigt es, dass wir mit eher „ausgefallenen“ Ideen eher Chancen haben. Ausgefallen in dem Sinn, dass sie die anderen nicht haben. Entweder, weil es keinen interessiert, oder weil keiner davon was versteht.
Sicher, wir haben auch in der Exekution schwere Fehler gemacht, die Plakataktion etwa ging voll daneben, weil wir offenbar einen – äh – nicht verlässlichen Geschäftspartner hatten, sprich: Er hat uns Stellen verkauft, die es nicht gab. Auch sonst waren wir zuwenig Leute, waren einfach nicht präsent, die Mehrheit der Wähler ist uns zum ersten Mal auf dem Wahlzettel begegnet, das war zu spät. Aber selbst wenn wir sonst alles richtig gemacht hätten und halb Kärnten von uns gesprochen hätte – fünf Prozent wären es auch nicht geworden. Nicht mit diesen Themen.
Fazit: Falscher Ansatz, schlecht exekutiert. Dafür sind ein Prozent ganz beachtlich. Offenbar unsere Hardcore-Basis – da sollten wir anknüpfen.
Zweitens: Was bedeutet das für die Nationalratswahl?
So wie ich das einschätze, müssen wir uns schleunigst auf eine eindeutige Themenführerschaft einigen und die dann in der Öffentlichkeit erarbeiten, komplett samt Kompetenz und pipapo. Wenn wir im Herbst den p.t. Wählern keinen echten Grund geben, uns zu wählen, wird das nix.
In der kurzen Zeit wird es uns allerdings nicht gelingen, nur mit Kompetenz und klugen Bemerkungen bundesweit überhaupt bekannt zu werden, geschweige denn zur echt wählbaren Alternative, da wird man ein wenig nachhelfen müssen. Wie man das macht, mit oder ohne Geld, Öffentlichkeit kaufen oder irgendwie sonst organisieren, diese Diskussion steht aus. Aber nur weil wir das jetzt wirklich wollen, wird es nicht gelingen, da muss schon etwas echtes Können plus ein wenig Professionalität dazu kommen. Der Charme des Amateurs ist bei den Piraten schnell abgelaufen, wir müssen jetzt leider auch Handfestes bieten.
Vielleicht könnten wir uns ja darauf einigen, dass wir nur dort etwas sagen, wovon wir wirklich etwas verstehen. Und das wird dort, wo wir glauben, etwas sagen zu müssen, zuerst vorher unsere Hausaufgaben machen. Beim Urheberrecht, zum Beispiel. *duck*
Ich weiß, der Shitstorm ist vorprogrammiert. Egal, es ist meine Meinung. Und damit kommen wir zu
Drittens: Was bedeutet das für mich persönlich?
Die Debatte um die Rückerstattung von Spesen für gewählte Organe der Partei hat mich dann doch schwer verstört. Auch wenn die Abstimmung am Ende anders ausging, alleine die Tatsache, dass die Forderung „Soll sich jeder selber zahlen“ nicht nur erhoben, sondern auch unterstützt wurde, fand ich zutiefst undemokratisch, weil dann können es sich nur noch die Zwerg Bumstis dieser Welt leisten, in die Politik zu gehen und dort eine eigene Meinung zu haben. Dafür bin ich leider nicht zu haben. Und da ich bislang mindestens drei Flocken (hab’s bislang noch nicht so genau nachgerechnet, weil dann würde ich mich ärgern) meines Privatgeldes in die Parteiarbeit gesteckt habe und die offenbar niemals wiedersehen werde, muss ich hier & jetzt erklären: Das kann ich mir nicht (mehr) leisten. Und will es auch nicht mehr.
Ich löse diese Diskussion bewusst aus, jetzt & hier, und stelle folgende Hypothesen in den Raum:
Primo: Wir können weder als Linkspartei 2.0 noch als we2-Partei noch als „noch-so-eine-Partei“ erfolgreich sein, egal wie honorig unsere Ansätze. Wir müssen einen (oder mehrere) „unique voting point(s)“ bieten.
Secundo: Wir müssen deutlich (!) professioneller werden. Alle. Von unserer Parteiarbeit über unsere Außenkommunikation zu unseren Stellungnahmen und Presseaussendungen bis hin zu den verwackelten Handvideos vom Frosti. Wobei: Hätten alle Frosti’s Engagement, hätten wir ein Problem weniger …
Tertio: Zeit ist für jeden von uns kostbar & jeder hat gleich viel: sein Leben. Zeit können wir, zumindest derzeit, von jedem gratis fordern, so viel eben jeder hat. Aber der Aufwand, die Spesen, das Reisen, die Bahntickets, die zugigen Gasthauszimmer mit den klammen Betten und das hastig hinuntergewürgte Gulasch im Bahnhofbüffet – das muss ersetzt werden. Wenn einer sagt: „Danke, ich hab’ genug, ich lad’ euch drauf ein“ umso besser. Aber wenn demokratische Gleichheit für alle herrschen soll, dann muss es denen, die sich das nicht leisten können, ersetzt werden. Das Geld dafür ist aufzutreiben, „wir haben keins“ wird nicht anerkannt. Wer kein Geld hat, soll nicht in den Prater gehen.1)
Quarto: Der basisdemokratische Ansatz führt (nicht nur bei uns) dazu, dass sich alle für alles zuständig fühlen. Das ist Teil des Charmes der Amateure, aber organisatorisch ist es einfach Scheiße, und funktionieren tut es auch nicht. Entweder wir vertrauen einander, und der eine macht dies und der andere das, und wir stellen nicht ununterbrochen alles in Frage, nur weil wir es können, oder wir lassen es gleich bleiben. Das Ziel heißt Einzug in den Nationalrat, nicht öffentliches Haltungsturnen mit Extrapunkten für den schönsten Sterbenden Schwan mit der reinsten Haltung.
Quinto: Zu guter Letzt muss auch noch diese absurde Diskussion um online versus offline aufhören. Wir sind eine Partei, die im und aus dem Internet geboren wurde, das Internet ist unsere – derzeit einzige – Kompetenz, und natürlich sind Piraten online. Punkt. Und wer nicht online ist, aus welchem Grund auch immer, ist schnellstens dorthin zu bringen. Und wer partout nicht will – auch gut. Aber der ist als Pirat eher ein Misfit. In etwa so, als wolle man der Wasserballmannschaft beitreten und hat eine Allergie auf Wasser, oder ist wasserscheu. Das kann einfach nicht funktionieren.
Alle diese fünf Punkte laufen für mich unter „conditio sine qua non“, will heißen, wenn sie nicht erfüllt werden, dann sehe ich für die Nationalratswahl von vornherein schwarz. Ich meine, jeder wie er kann, möchte und glaubt zu müssen. Aber ich bin es leid, politische Partei zu spielen. Ich wäre gerne in der Realität angekommen.
Wie gesagt: YMMV, dies ist mein Blog & meine Meinung.
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1) Wir haben uns entschlossen, innerhalb des parlamentarischen Systems zu bleiben, dort eine Partei zu gründen und mit dieser, nach geltenden parlamentarischen Spielregeln, die Welt zu verändern. Man kann alle Regeln natürlich auch in Frage stellen, aber irgendwann stellt sich die Frage, was man denn überhaupt noch im System verloren hat. Am Beispiel der 5-Sterne-Bewegung der Grillisten in Italien kann man das sehr hübsch beobachten. Und ähnlich sehe ich das auch mit dem Ansatz „wir machen das alles ganz anders und ersetzen Geld grundsätzlich mit Gutem Willen und ordentlich Cornflakes jeden Morgen“. Wer eine Partei haben will, der muss auch eine betreiben. Und was passiert, wenn alles nur auf Goodwill beruht, kann man immer wieder bei den Piraten beobachten: Es geht schief. Wo der Punkt genau liegt, an dem auch wir uns den grundlegenden Spielregeln unterwerfen müssen, und wie viele Regeln wir brechen können, ohne dass es schief geht, ist eine getrennte Diskussion. Aber die „grundsätzlich überhaupt nie“-Verweigerungshaltung wird nicht funktionieren.