Heute Vormittag – ich sitze gerade an der Tastatur und arbeite still und bescheiden vor mich hin – stürmt die beste aller Ehefrauen, sichtlich erbost, in mein Arbeitszimmer und hält mir anklagend ihr Mobiltelefon hin. Es sei, so schäumt sie, eine unfassbare Frechheit des Erzeugers ihres Handys, dass besagtes Gerät Telefonnummern, die sie ganz sicher richtig eingegeben habe, einfach nicht speichere. Oder nicht mehr hergebe. Jedenfalls habe sie ganz, ganz sicher Norberts Nummer eingespeichert, und nun sei sie nicht mehr da. Oder einfach weg. Und ich sei im Hause doch der Technikexperte, und ich solle jetzt etwas tun.
Wenn Sie wissen wollen, was ich denke, fragen Sie am besten meine Frau. Also nehme ich ihr Samsung und sehe pflichtgemäß nach. Man kann dort auf die SIM speichern oder ins Gerät selber. Norbert gibt es keinen, weder noch. Computer sind furchtbar logisch und ganz emotionslos, bei Frauen ist das anders. Wer weiß, wo Norbert wirklich hingeraten ist.
„Hast Du ein Backup gemacht?
„Du weißt, dass das mit diesem Handy nicht geht, ich hab‘ kein Datenkabel.“
„Du könntest ja einfach parallel noch ein Telefonbuch auf Papier führen.“
„Nein, wozu? Ich hab’ ja mein Handy.“
*seufz*
Dabei ist die beste aller Ehefrauen da in guter Gesellschaft. Die überwiegende Mehrheit der Nutzer von digitalen Geräten hat das Konzept von Daten und deren Nutzung und wieso das bei analog anders ist als bei digital, noch nicht verstanden. Und wenn es um die Sicherung dieser Daten geht, ist es endgültig aus mit dem Verständnis.
Dass dabei der Begriff „Sicherheit“ bei digitalen Daten in distinktiv unterschiedliche Bereiche zerfällt, verwirrt dann keinen Laien mehr, so weit kommt er erst gar nicht.
Der (damalige) Vorsitzende der deutschen Piratenpartei hat in der ZEIT 44/2009 unter anderem auch zu diesem Thema ein Interview gegeben. Jens Seipenbusch sieht überhaupt nicht wie ein Nerd aus, sagt aber recht kluge Sachen. Zum Beispiel, dass dem durchschnittlichen User völlig das Verständnis dafür fehlt, wie Daten heute gehandhabt werden.
Die Piraten sind überhaupt wert, dass man sich das genauer anhört, was sie so sagen. Die fordern ja nicht nur das freie Filesharing, obwohl sich da die Medien darauf aufhängen, sondern zuerst und vor allem die Umkehrung des Prinzips „gläserner Mensch“ zum Konzept „gläserner Staat“. Will heißen, jeder von uns sollte ein reales Problembewusstsein haben dafür, was für Daten über ihn oder sie genau wo gespeichert sind, und unter welchen Umständen sie vernetzt werden können. Und dafür sollen auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Weil zum Beispiel die Schufa über Sie Daten sammeln kann, die die Einstellung Ihrer Bank zu Ihrer Kreditfähigkeit deutlich beeinflussen, aber Sie haben deshalb noch lange kein Recht, in diese Daten Einsicht zu nehmen und etwa allfällige – horribile dictu! – Fehler zu korrigieren.
Was würden Sie sagen, zum Beispiel, wenn Ihnen beim nächsten Bankbesuch Ihr Betreuer mitteilt, man habe Ihren Überzeihungsrahmen deutlich gekürzt? Ihr Betreuer wird etwas von Krise murmeln und Basel Zwei und dass Kreditrichtlinien jetzt strenger gehandhabt würden. Aber in Wirklichkeit hat eine Software einfach Daten über sie gesammelt. Zum Beispiel, dass Sie Ihre Gas- und Stromrechnung immer erst am letzten Stichtag oder ein paar Tage später einzahlen (weil da das Mahnprogramm nicht so schnell greift, machen wir doch alle). Daneben weiß die Software noch, dass Sie viel bei Hofer einkaufen und das noch eher billig, dass Ihre Leberwerte schlecht sind, dass Sie Steuerschulden haben und dass gegen Sie zwei Mahnklagen laufen. Dass die Steuerschulden ordentlich gestundet sind und dass Sie die Mahnklagen höchstwahrscheinlich gewinnen werden, weil sie völlig ungerechtfertigt sind, weiß es nicht, das Programm, so schlau hat es der Programmierer nicht machen können. Egal: Es reicht, Sie um eine Risikoklasse höher zu stufen, und schon ist der Überziehungsrahmen futsch.
Und sie können überhaupt nix tun. *BTDTBT*
Ja, solche Programme gibt es schon, und sie werden auch eingesetzt. Und das ist ja nur ein Beispiel dafür, wo alles Daten über uns liegen, und was man alles damit anstellen kann, Unerfreuliches. Bislang war so etwas nur Background für Hollywoodthriller, aber was nicht schon jetzt möglich ist, wird es spätestens in ein paar Jahren sein.
Es ist schon bezeichnend, dass die Grünen, die es immerhin geschafft haben, ökologische Fakten und daraus resultierende Notwendigkeiten ins politische Bewusstsein zu bringen, bei der Problematik der IT völlig versagen. Sie sind ja in Wirklichkeit doch nur arrivierte Apo-Opas, die genau so verspießern wie alle anderen auch. Oder kennen Sie einen bekennenden Nerd in einer europäischen grünen Partei? Na eben. Die deutschen Parteispitzen Claudia Roth und Cem Özdemir haben zwar im Bundestagswahlkampf fleissig getwittert, geblogt und sich auf Facebook ausgebreitet, aber auch nur deshalb, weil Barack Obama es auch so gemacht hat. „Wir müssen ins Internet.“ „Wieso?“ „Weiß ich nicht. Aber alle anderen machen es auch.“ Na bitte. Vor allem manche Twittermeldungen waren richtig süß peinlich.
Von Frau Glawischiwaschi wollen wir hier erst gar nicht reden.
Was mein Kollege Martin Blumenau vom Sender FM4 in seinem Blog, etwa hier oder hier, über das Bewusstsein in Österreich zum Thema Daten, Vernetzung und Schöne Neue Digitale Welt schim^W berichtet, kann nahtlos auf ganz Europa übertragen werden. Es herrscht absolut Null Bewusstsein (geschweige denn detaillierte Kenntnis) in der gesamten politischen Klasse darüber, was die Digitalisierung aller unserer Daten tatsächlich für unsere Gesellschaft in der näheren und weiteren Zukunft bringen wird und bringen könnte, und welche politischen Aktionen daraus resultieren sollten.
Dass sich die Nerds da zu einer eigenen Partei zusammenschließen, ist irgendwie verständlich, niemand weiß schließlich besser als sie, was wirklich abgeht. Dass sie kaum wer tatsächlich versteht (und sich alle daher am einzigen Programmpunkt, den sie zu verstehen glauben, nämlich dem Filesharing, aufhängen), steht auf einem anderen Blatt. Ungeschickt, wie Nerds nun einmal sind, bringen sie es auch nur sehr schwer rüber.
Dabei hat das Seipenbusch in seinem ZEIT-Interview wunderbar herausgearbeitet. Digitale Daten sind nämlich nicht nur überall und vernetzt, sondern auch flüchtig. So wie bei der besten aller Ehefrauen: Erst war Norbert noch da, schon ist er weg. Spurlos.
Ich weiss, die digitale Forensik kann viel, das kann man sogar studieren *staun*, aber wenn die Daten futsch sind, sind sie futsch. Zum Beispiel gelöscht und dann mit was anderem überschrieben. Oder einfach nur falsch abgespeichert.
Die alte, schon deutlich vergilbte Photographie meines Urgroßvaters wurde vor dem ersten Weltkrieg gemacht und ist damit rund hundert Jahre alt, aber abgesehen davon dass sie schwarzweiß ist, kann sie alles, was so ein Bild können muss. Was man zum Beispiel von den Bildern meiner Kinder auf meiner Festplatte nicht sagen kann. In so einer .jpg-Dateien lagern ja nur Formeln, nach denen dann das Bildprogramm erst das Bild errechnet. Das heisst, die Daten müssen nicht nur per se gesichert sein (Sie wissen ja: klassisches Datenbackup, mehrfach, physisch getrennte Träger, verschiedene Orte, mit system restore und inkrementeller history, blahfasel), ich muß auch noch das entsprechende Programm dazu mitsichern, denn wer weiß schon, wie lange der .jpg-Standard backward compatible bleibt, also ab wann man alte .jpg-Bilder nicht mehr so ohne Weiteres mit jedem Reader wird öffnen können. Und auch gleich noch das Betriebssystem, unter dem der Reader läuft. Und auch die Hardware, weil wer weiß wie lange klassische 16-bit-Software noch auf gängigen Umgebungen laufen wird.
Und das ganze auch noch hundert Jahre lang, ohne weitere Investitionen, bitte, einfach in den Kasten legen und fertig. Na, ich bin ja neugierig, was meine Erben in hundert Jahren mit meinem Stick und den darauf gespeicherten Bildern von (dann) Opa und Oma in der Kindheit anfangen werden, aber so einfach wie beim Bild von meinem Uropa selig wird’s nicht werden, das trau’ ich mich jetzt einmal zu behaupten.
Das Bewusstsein, wie flüchtig elektronische Daten sind, ist (wenn überhaupt möglich) noch geringer als jenes darüber, was mit Daten alles für Schweinereien getrieben werden können. Deshalb fordert Piratenvorsitzender Leng auch deutlich ein (ich zitier’ jetzt noch einmal aus dem Gedächtnis) „völlig neues Bewusstsein“ bei „der grossen Mehrheit der Bevölkerung“ über die tatsächliche Bedeutung von Vernetzung und damit ubiquitärem Zugriff sowie der tatsächlichen Volatilität digitaler Daten, sowohl was Missbrauch als auch Flüchtigkeit oder einfach nur menschliche Schlamperei betrifft, und was das für den demokratischen Staat im 21. Jahrhundert bedeutet.
Mmh. Sehr schön. Beeindruckt richtig ich war. Wie das zustande kommen soll, wollte oder konnte allerdings auch Herr Leng nicht sagen, vielleicht hat das auch der ZEIT-Redakteur zu fragen vergessen. Ist ja egal, so wie’s aussieht werden wir noch öfters die Gelegenheit haben, über dieses Thema nachzudenken. Und das mit dem Bewusstsein wird halt noch ein bisserl dauern.
Zum Beispiel darüber, dass es nicht ausreicht, alle Telefonnummern in seinem Mobiltelefon gespeichert zu haben, selbst wenn sie dann auch tatsächlich drin sind, weil das blöde Ding ja nicht nur verloren gehen oder geklaut werden kann, sondern auch einfach eines Tages seinen Geist aufgeben wird. (Ja, ich weiß, die Dinger leben meist viel länger als ihr marketingtechnischer Produktzyklus. Aber tragfähige Backupstrategie ist das trotzdem keine.)
Derzeit ist eher die Gegenbewegung im Gang, denn die DAU dieser Welt gehen mit ihren Daten um, als gäbe es kein Morgen. Man speichert seine Daten zur Gänze *schüttel* in irgendeiner digitalen Wolke, sprich $irgendwo auf $irgendeinem Server. Und wer da noch Zugriff drauf hat oder haben könnte, schert sowieso keinen.
Zum Beispiel die US-Regierung, wenn der Server in den USA steht, was bei iDisk & Co eher die Regel als die Ausnahme sein dürfte. Also wundern Sie sich bitte nicht, wenn bei Ihrem nächsten USA-Besuch der Beamte der Einwanderungsbehörde Sie besonders kritisch mustert, weil Sie Emails aus arabischen Ländern bekommen, zum Beispiel.
Nicht lachen: Meine Schwester ist in Ägypten verheiratet. Ihr Sohn aus erster Ehe mit einem Franzosen ist Assistent für digitale Kryptographie an der NYU und lehrt derzeit in Tokio. Fragen Sie mal den, was ihm die US-Einwanderungsbehörde, trotz EU-Pass‘, jedes Mal für Schwierigkeiten macht, und warum. (OK, der Junge ist nicht nur ein Nerd, er sieht auch noch so aus und benimmt sich auch so, aber er trägt nicht einmal einen Bart. Ägypten reicht schon. Und seine Mutter hat ihm von dort auch noch regelmäßig Geld geschickt, für’s Studium. Höchst verdächtig.)
Aber das ist den Leuten offenbar alles völlig wurscht. Dabei sind diese Cloud Computing Arrangements ja nicht einmal per se „sicher“, sprich: Die Daten können auch so einfach hops gehen. Schönes Detail am Rande: Das Unternehmen, an das Mickeysoft das Cloud Computing Service „Sidekick“ für US-Kunden des Timob ausgelagert hat, heisst Danger. Das sind die Jungs, von denen es eine Zeit lang hieß, sie hätten alle Daten ihrer Kunden einfach versenkt. Inzwischen ist angeblich davon wieder was aufgetaucht (sprich: Der admin hat ein tape gefunden) aber ein recover bleibt weiterhin höchst fraglich (sprich: Das tape lässt sich bislang nicht initialisieren.)
Und bevor die Apple Fanboys pöppelwitzig werden: In Cupertino kann man das auch. Und zwar gleich per Betriebssystem. Wer’s nicht glaubt, kann es ja hier nachlesen.
Man könnte sich noch weiter alterieren. Zum Beispiel darüber, wie man der supranationalen Vernetzung mit supranationalen politischen Initiativen gerecht werden könnte. Oder wie man sowas in nationales Recht umsetzen könnte, und ob das überhaupt geht. Und wie weit eine Familienministerin davon überhaupt etwas verstehen muss, bevor sie bescheuerte Gesetzesanträge vorlegen darf. Zum Beispiel. Aber Onkel Schwesterwelle wird das ja jetzt alles richten, zumindest steht das so in seinem Parteiprogramm. Ach so, er kann nicht Englisch. Wurscht, muss man ja heutzutage nicht.
Ich schweife ab, ich bitte um Verzeihung, aber manchmal geht es mit mir durch.
Man könnte auch einfach darüber nachdenken, wie lange persönliche Daten im Netz gespeichert werden, zum Beispiel, und was das für Folgen haben könnte. Wer weiß schon, wie peinlich es unseren Kindern einmal sein wird, wenn sie dreißig Jahre später immer noch nachlesen können, auf wen sie mit fünfzehn soooo gestanden sind, und was da alles an scheinbaren Intimas hervorquoll. Vielleicht wird es ihnen auch nicht peinlich sein. Vielleicht wird die Gesellschaft gelernt haben, mit der digitalen Revolution ebenso umzugehen wie mit der weltweiten Veröffentlichung privater Tagebücher, wird sich neue politische, juristische und gesellschaftliche Regeln erstellt haben, um mit dem Paradigmenwechsel demokratisch umgehen zu können. Vielleicht färbt ja die digitale Basisdemokratie der Nerds tatsächlich ab. *aufwach*
In der Zwischenzeit werde ich, glaube ich, der besten aller Ehefrauen einen Eierfön kaufen. Und selber für das entsprechende rsync sorgen.