Die Grundsatzrede

Am 2. Feber 2013 haben Christopher Clay (c3o) & ich, anlässlich der Eröffnung der Bundesgeneralversammlung der Piraten in Klagenfurt, gemeinsam eine Grundsatzrede gehalten zum Thema „Wer sind wir & wer wollen wir sein“.

Hiermit der Wortlaut des Manusriptes. Geschrieben haben die Rede Werner Reiter (verquer) & ich, Christopher hat dann seinen Teil so umformuliert, dass es „zu seinem wurde“.

Es gilt selbstverständlich das gesprochene Wort, das hier war & ist nur das Manus.

Wer lieber die Rede hören will, so wie sie gehalten wurde, klickt hier (youtube).

Rede zur Eröffnung der Bundesgeneralversammlung Klagenfurt 2.–3. Februar 2013

(Christopher Clay):

Jede und jeder von uns mag im Detail unterschiedliche Gründe haben, heute hier zu sein. Aber ich bin mir sicher, dass uns so manches eint. Die gemeinsamen Grundwerte, etwa, die wir letztes Mal in Graz beschlossen haben. Und dann das, was sich in unserem Slogan „Klarmachen zum Ändern“ ausdrückt. Wir sind hier, weil wir in diesem Land und in dieser Gesellschaft etwas zum Positiven verändern wollen.

Dafür haben wir heuer ein paar große Chancen.

Aber eines muss uns dabei bewusst sein: „Klarmachen zum Ändern“ enthält auch: Wir müssen uns klarmachen für diese Aufgabe. In der Seemannssprache bedeutet klarmachen, dass alles am Schiff für die große Reise bereit gestellt ist, dass jedem Mitglied der Besatzung bewusst ist, was man beiträgt und beitragen kann, und dass wir uns zumindest mal so grob einig sind wohin die Reise denn geht.

Im herkömmlichen Sinne heißt klarmachen „deutlich machen, vor Augen führen“.

Ich glaube, wir sollten die Gelegenheit an diesem Wochenende nützen, uns selbst und allen, die uns zum ersten Mal zuhören, vor Augen zu führen, was uns als Piraten einzigartig macht, was wir erreichen können und wollen, und vor allem warum es dazu gerade uns braucht.

Wir werden oft eine Netzpartei genannt, und dabei schwingt manchmal etwas abschätziges mit – in der ZIB wurde mir gesagt: “Sie haben doch ihr ganzes Leben vor dem Bildschirm verbracht, was wissen denn sie schon?”. Aber ich plädiere dafür, diesen Begriff der Netzpartei uns ganz selbstbewusst zuzuschreiben. Ohne Netz könnten wir nicht so funktionieren, wie wir es tun, ohne Netz hätten wir nicht die gesellschaftlichen Ziele und Visionen entwickelt, die wir haben – ohne Netz gäb’s uns nicht.

Selbstverständlich sind wir auch auf der Straße präsent und nicht nur hinterm Bildschirm, und natürlich wollen wir uns jenen, die bislang keinen so starken Zugang haben – entweder überhaupt zum Netz oder zu unseren Methoden – nicht verschließen und  müssen ihnen helfen, möglichst schnell und möglichst barrierefrei online zu gehen und mitmachen zu können.

Aber wir sind eine Netzpartei, so sehr, dass wir sogar unsere Strukturen aus dem Internet mit übernommen haben. Das Fehlen einer zentralen Stelle, die peer-to-peer-Struktur – also dass alle mit allen verbunden sind –, dieses flache, hierarchiearme, emanzipierende Grundkonzept, das die Struktur des Internets ausmacht – vieles von dem ist auch unsere eigene Kernstruktur. Und wir berufen uns darauf, dass wir so im Netz agieren und so auch in der Realität leben und uns organisieren wollen.

Das Internet prägt aber nicht nur unsere Organisationsstrukturen, sondern beeinflusst auch stark unsere Inhalte. Und das auf zwei – ganz wesentliche – Weisen.

Erstens sind wir die, die auf die ganz konkreten Bedrohungen unserer demokratischen Grundordnung und unserer Bürgerrechte im Informationszeitalter hinweisen, die aufstehen und sagten “Halt, da verlieren wir gerade im digitalen Raum Rechte, an denen sich offline niemand trauen würde, zu rütteln”, und zweitens bedingen auch unsere Lösungsansätze dieselbe Technologie – nur eben in der Hand der Menschen, der Bürger, als Ansatz zur Lösung von gesellschaftlichen Herausforderungen.

Dieselbe Technologie also, die unsere Rechte bedroht, ist auch der Schlüssel zur Lösung, wenn wir sie uns selber bemächtigen, wenn wir sicherstellen, dass die Verfügungsgewalt darüber in unser aller Händen liegt. Das unterscheidet uns auch ganz klar von den Grünen, mit denen wir ja sonst durchaus so manche inhaltliche Überschneidung haben.

Wir sind die, die genau verstehen, wie sehr das Internet und die Digitale Revolution – bzw. unserer Ansicht nach: deren Missbrauch durch Mächtige – von ACTA und Vorratsdatenspeicherung bis hin zu Datenverknüpfung, Rasterfahndung, Gesichtserkennung usw., unsere Menschenrechte in Gefahr bringen können. Und wir haben das Wissen und die Kompetenz, Lösungen vorzuschlagen, die genau das verhindern können und werden.

Und das ist nicht irgendwie abgehobenes, theoretisches Geschwafel – das betrifft tatsächlich heutzutage alle Menschen ganz konkret, auch wenn es vielleicht noch nicht alle mitbekommen haben.

Wir fordern, als einzige, bislang, dass die unverletzbare Integrität der Person, wie sie in den Menschenrechten definiert wird (ihr wisst schon: Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit, und so weiter…), auch die digitale Sphäre umfassen muss. Wir sind die Netzpartei, die erkannt hat, dass Deine Daten Teil Deiner Person sind und daher auch so angesehen werden müssen – als untrennbarer Bestandteil Deiner Rechte, so wie diese Rechte vor zweihundert Jahren als Teil der bürgerlichen Revolution definiert wurden.

Und dann begreifen wir auch ganz intuitiv die Möglichkeiten, die die Vernetzung für Menschen bietet, diese einmalige Chance für ein empowerment aller Einzelnen in einem bisher ungeahnten Ausmaß.

Dass Information, Wissen, Kunst – unser gesamter Kulturschatz – allen zugänglich gemacht werden kann, ohne dass dadurch nennenswerte Kosten entstehen

Dass wir uns im Netz ohne Zugangsbeschränkungen bilden können.

Dass wir uns in Sekundenschnelle quer über den Globus austauschen können.

Dass wir unsere Meinung publizieren können, egal ob das jemandem passt oder nicht – und dabei zumindest theoretisch eine gleich laute Stimme haben können wie jemand mit mehr Macht oder Geld und Privilegien.

Dass Tausende Menschen online zusammenarbeiten, um etwas zu schaffen, das uns allen zugute kommt und dafür kein Geld verlangen – Wikipedia, open source software, usw.

Dass wir zuvor schlicht unmögliche Methoden der Mitbestimmung und Transparenz umsetzen können – (siehe Liquid Democracy, undenkbar auf dem Papier!).

All das, die Chancen wie auch die Gefahren – das sind Neuerungen, die die existierenden Parteien noch nicht in ihr Weltbild integriert haben. Da sind sie wie der sprichwörtliche Frosch im Kochtopf, der nicht bemerkt dass um ihn herum das Wasser immer heißer wird bis es zu spät ist.

Und deshalb braucht Kärnten – braucht Österreich – braucht die Welt uns, die Piraten.

(Pause) (ab hier hab‘ ich die Rede weitergeführt)

Und weil wir eine Internetpartei sind, sind wir auch eine liberale Partei, denn das Internet ist ein Ort, an dem es so wenig Regeln wir nur möglich gibt, und zwar als Grundprinzip. Das ist eine zutiefst liberale Haltung, und auch das haben wir aus dem Internet mitgebracht: Wir sind in allem und jedem eine liberale Partei. Mit allem, was das impliziert. Denn selbst wenn wir das bestehende Parteienspektrum von links bis rechts als überholt ansehen, so müssen wir es uns dennoch gefallen lassen, in der Öffentlichkeit im Rahmen dieses Spektrums klassifiziert zu werden, und da müssen wir dort sein, wo der Bürger ist: In der Mitte, die Hände in alle Richtungen?? offen ausgestreckt.

Weil’s g’rad so schön aktuell ist: Was wir nicht sind, ist eine Linkspartei 2.0. Deshalb haben wir ja auch in Niedersachsen in Deutschland gerade verloren.

Was übrigens in Niedersachsen auch noch schön heraus kam, und hier auch nicht unerwähnt bleiben soll: Wir sind eine kleine Truppe, von der in der breiten Öffentlichkeit zwei Dinge bekannt sind: Erstens, dass wir für ein freies Netz stehen. Das ist uns sozusagen in die DNA eingeschrieben. Das ist gut. Damit können wir arbeiten. Andere Parteien geben viel Geld dafür aus, sich so einen „Markenkern“ von teuren Agenturen entwickeln zu lassen.

Und zweitens sind wir bekannt als zerstrittener Haufen. Das müssen wir ändern. Vielleicht nicht ganz, aber zumindest in das Bild eines streitenden Haufens. Die internen Diskussionen, das Ringen um Strukturen, Positionen und Kompromisse sind das Abbild dessen, wie wir mal Politik im Großen machen werden. Politik wird immer ein Streiten sein. Das muss so sein. Wir müssen uns aber immer wieder vor Augen führen, dass mit Zerstritten-Sein gar keine Politik gemacht werden kann. Da werden wir keinen Wahlkampf hinbekommen, dafür werden wir nicht gewählt und damit können wir nichts ändern.

Eigentlich steht das eh’ schon alles im Codex und im Programm und auf dem website, aber es hilft, sich die Details von Zeit zu Zeit ins Bewusstsein zu rufen: Wir sind eine basisdemokratische, liberale Bürgerpartei.

Hier fehlen dann noch der freie Zugang zu Bildung, etwa, oder gleich freier Zugang zu Information, möglichst aller vorhandenen, die Forderung nach einem Zugang zum Internet als Menschenrecht, die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen und – selbstverständlich – die absolute Transparenz in allem und überall – aber ich denke mir, so im Groben haben wir das Bild des Piraten schon entworfen.

Ich spüre schon den Unmut unter euch, wenn der eine oder andere jetzt sagt, alles schön und gut, aber wir haben nun einmal regen Zulauf von vielen Leuten, die mitmachen wollen und die bei weitem nicht dem hier entworfenen Idealbild entsprechen.

Die Piraten sind eine ganz breite Bewegung, und wir freuen uns über jeden, der ein Stück des Weges mit uns mitgeht und unsere Überzeugungen und Werte mit trägt, zumindest eben ein Stück des Weges. Denn die Auswirkungen unseres Weltbildes – Transparenz und Mitbestimmung und freie Entfaltung für alle – dass ist schließlich ein leicht verständliches Ziel, das viele, viele Menschen teilen.

Und, ja natürlich, eine Bewegung wie die unsere zieht ein breites Protestpotential an, und wir wären töricht und arrogant, würden wir dieses Potential nicht so breit ausschöpfen, wie es nur irgendwie geht.  Und selbstverständlich werden wir uns bei jedem einzelnen bemühen, ihn für unsere Werte und Überzeugungen zu gewinnen, ihn mit unseren Werkzeugen und Umgangsformen für eine digitale Demokratie vertraut zu machen. Das müssen wir tun, das sind wir jedem, der zu uns kommt und mitmachen will, einfach schuldig.

Aber am Ende des Tages werden wir immer wieder Entscheidungen treffen müssen, mit wem wir das nächste Stück Weg noch gemeinsam gehen, und mit wem nicht, und die Entscheidung wird immer schwer sein, und wir werden es dabei niemals – niemals! – allen Recht machen können.

So weit der vorprogrammierte Shitstorm, der systemimmanente.

Und so weit meine Definition, was ein Pirat sein soll, ich denke mir, wir haben jetzt zwei Tage Zeit, darüber zu diskutieren. Aber weil wir gerade im Wahlkampf sind, und neben der Theorie eben auch die Praxis steht, lasst mich euch bitte noch eines in die nächsten zwei Tage und in dieses Jahr der Wahlkämpfe mitgeben.

Seit 2007 kann in Österreich ab dem vollendeten 16. Lebensjahr gewählt werden, also seit sechs Jahren. Geändert hat sich dadurch nicht viel: Mehr als zwei Drittel der 16 bis 22 jährigen gehen noch immer nicht wählen und interessieren sich offensichtlich Nüsse für die Politik.

Und ich sage euch: Das stimmt nicht. Es stimmt deshalb nicht, weil es bisher keine Partei gab, die diese Wähler dort abgeholt hat, wo sie heute sind. Diese Kids wachsen heute auf in einer vernetzten, digitalen Welt, die ihre Eltern schon von der Technologie her nicht mehr verstehen, in einer Welt, in der sie sich ihre eigenen Kulturtechniken gestalten müssen, denn in der Schule werden sie nicht gelehrt. In einer Welt, in der es zwar eine Ausbildung gibt, aber keine Jobs, wo man zwar ausziehen könnte von zu Hause, es sich aber nicht mehr leisten kann, und in der Zwischenzeit zerfrisst die Korruption diesen Staat und zerstört damit jegliche Glaubwürdigkeit in alle Institutionen, so dass es sich nicht mehr lohnt, öffentlich für irgend etwas einzutreten außer die eigenen Interessen. Es droht ein neues Biedermeier, und mit ihm ein neuer Vormärz, der noch viel repressiver sein wird als alles, was wir bislang kennen und uns vorstellen können.

Das ist der Punkt, an dem wir ansetzen: Wir sind die Partei der Jugend, wir haben als einzige vernünftige Lösungsansätze, die die Jugend verstehen und mittragen kann. Denn natürlich interessieren sie sich für die Dinge, die um sie herum geschehen, und natürlich besteht auch ein Gestaltungswille an ihrer Umwelt und ihrer Zukunft. Aber nicht mit dem System, das ihnen bisher angeboten wird.

Dabei sind – natürlich – die Kids nicht unsere einzige Kernzielgruppe. Wir wenden uns in weiterer Folge auch an die, die schon im Leben stehen und bereit sind, Veränderungen mit uns mitzutragen : An die Ein-Personen-Unternehmen, die Ich-AG’s, die Generation Trainee, die in der derzeitigen Gesellschaft keinen oder nur einen schlechten Platz finden; aber auch an die, die schon Bereitschaft gezeigt haben, diese Gesellschaft in ihrem Sinn verändern zu wollen, an Jungunternehmer, an Künstler und an Kreative.

Und wir wenden uns auch an die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Initiativen in den Bereichen Netzpolitik und Transparenz, wo Piraten als Partner, Teilnehmer, Multiplikatoren und Moderatoren mit wirken und unsere Ideen in die Gesellschaft hineintragen sollen.

Ich weiß schon, das klingt jetzt ein bisserl seltsam, wenn ich alter Sack hier stehe und was von Jugend fasel. Aber als Post-68er sage ich euch: So wie wir damals die Zukunft waren und die Welt verändert haben, wenigstens ein Stück, so seid Ihr heute die Zukunft, und es ist eure Zukunft. Ihr müsst sie selbst in die Hand nehmen. Wir alle gemeinsam haben die Kompetenz, das Wissen und schlussendlich auch die Macht, unsere Zukunft zu gestalten. Wir müssen uns nur das Recht dazu nehmen – bevor es uns genommen wird.

Und zum Abschluss noch der Satz, den ich mir ganz groß auf’s Auto hab’ picken lassen:

Wenn alle mitmachen, ist es keine Utopie!

(Pause)

Ja. Wir können!

(Pause)

Ich danke Euch für Eure Geduld und Aufmerksamkeit.