Felsőr ist der ungarische Name für Oberwart im Burgenland. So etwas erfährt man allerdings nur, wenn man dort hinfährt, denn es steht auf den zweisprachigen Ortstafeln. Denen von Oberwart. Und weil da sonst niemand ein Aufheben davon macht, wird das auch normalerweise nicht erwähnt, so dass man es eben nur erfährt, wenn man dort auch hinfährt.
Und wer, bitte, fährt schon nach Oberwart im Burgenland?
Ich, vor ein paar Monaten, um mich dort im Krankenhaus einer Niere zu entledigen, die man als irgendwie kaputt identifiziert hat. Und weil mein Arzt und guter Freund im steirischen Hartberg lebt, das gleich über der Landesgrenze auf der steirischen Seite liegt, und der kennt den Primar am benachbarten Landeskrankenhaus … so kommt ein Wiener nach Felsőr.
Die Bewohner von Oberwart/Felsőr mögen mir verzeihen, ihre ist eine hübsche Stadt, und in Wirklichkeit sogar dreisprachig, weil die burgenländischen Kroaten dort auch sind, zumindest war es mein Bettnachbar, da konnte ich gleich meine Kenntnisse von naš jezik, meinem kümmerlichen Serbokroatisch, ausprobieren.
Außerdem, und alleine dafür gehört Oberwart/Felsőr hiermit vor den Vorhang gebeten, schaffen sie seit mehr als dreißig Jahren etwas, was man in Kärnten, selbes Land, nämlich Österreich, aber keine zweihundert Kilometer weiter südlich, bis heute nicht auf die Reihe bekommt: Das friedliche Nebeneinander verschiedener Sprachkulturen, komplett mit Ortstafeln und Wegbeschriftungen.
Nun ist es aber einmal so, dass die beste aller Ehefrauen aus Kärnten kommt, somit komme ich nicht umhin, mich mit diesem Thema auseinander zu setzen.
Und immer wieder werde ich von meinen Freunden gefragt (so diese selbst keine Kärntner sind): „Sag’ einmal, wie hältst Du es dort aus?“ Sehr beliebt als Kommentar, wenn ich meinen Aufenthalt im südlichsten Bundesland Österreichs bekannt gebe, ist auch: „Also das in Kärnten, das verstehe ich einfach nicht.“
Hinzugekommen zum klassischen Ortstafelthema ist in jüngster Zeit die Thematik der Hypo Alpe Adria, jener biederen Provinzbank, die sich vor ein paar Jahren plötzlich einbildete, sie müsse jetzt bei den Großen mitspielen, was bekanntlich in einem Desaster endete und die Republik mehrere Milliarden Geld gekostet hat. Was zur Beliebtheit der Kärntner nicht beigetragen hat, komplett mit all dem, was man jetzt so um Jörg Haider ausgräbt, im Zuge der Ermittlungen, wie es so schön heißt. Und schon wird in allen Medien die Kärntner Seele beschworen, was immer das denn auch sein mag. Doch davon später.
Ich füge, wenn ich bekannt gebe, unser Wohnsitz in Österreich werde in Zukunft in Kärnten sein, immer hinzu, „aber bei den Windischen, in Unterkärnten“, was zumindest bei der Mehrheit meiner Freunde zu deutlich erleichtertem Aufatmen führt, aber das erklärt jetzt auch nicht, wieso das mit den Kärntnern so ist, wie es ist.
Ich glaube, man muss das in mehrere Teilbereiche zerlegen.
Wer mich kennt, weiß dass jetzt ein historischer Diskurs folgen muss. Keine Angst, er wird nicht lange, aber es ist nun einmal ein Faktum, dass auf dem Gebiet, das wir heute als Bundesland Kärnten kennen, seit mehr als viertausend Jahre Menschen leben. Und natürlich haben sich die Grenzen dieses „Kärnten“ in dieser Zeit mehrfach verschoben.
Vielleicht sollte man erwähnen, dass es – bis auf die letzten zweihundert Jahre – dabei immer völlig wurscht war, was für eine Sprache gesprochen wurde. Und das mit der Nation – alles später.
Erstmal kommen die Römer, die kommen in Europa fast immer, da finden sie schon das blühende keltische Königreich der Noriker vor, mit dem Hauptort auf dem Magdalensberg, und einer Ausdehnung im Norden bis an die Donau, und im Süden bis an die Adria, schließlich trieb man nachweislich mit den Etruskern Handel.
In österreichischen Lesebüchern, vor allem denen der zweiten Republik, wird dieses keltische Königreich Norikum gerne als die Keimzelle Österreichs bezeichnet, wenn man so will, sind also die Kärntner die ersten Österreicher, das lässt eine Reihe von Schlüssen zu, die verschieben wir jetzt auch auf später.
Erst kommen noch die Germanen, und dann die Slawen. Das hat ganz allgemein mit der Völkerwanderung zu tun, wie wir aus der Schule wissen, und führte zum Untergang des römischen Reiches, der Gote Odoaker setzt 476 nach Christus den letzen römischen Kaiser ab, das war’s. (Im Osten geht die Sache noch mal tausend Jahre weiter, bis zum Fall von Konstantinopel, aber was Kärnten betrifft, ist das wurscht.)
Besagte Völkerwanderung spült nicht nur die Germanen nach Mittel- und Südeuropa, sondern kurz darauf auch die Slawen, die – ihrerseits von den Awaren aus dem Osten bedrängt – um 600 die Drau entlang nach Westen vorstoßen. Bei Lienz bekommen sie 610 von den Bayern, die ihrerseits das Pustertal heraufziehen, ordentlich eins drauf, das stoppt den slawischen Expansionsdrang. Und im Süden ist es auch nicht besser, da bekommen die Slawen von den Langobarden im Friaul Saures.
Und schon ist unser historisches Sittenbild fertig: Deutsch aus dem Westen, Italienisch (na ja, was man in Udine so dafür hält) aus dem Südwesten, und Slowenisch aus dem Südosten, Kreuzungspunkt ist Kärnten – da hat sich bis heute nicht viel daran geändert.
Die Slawen jedenfalls, in ihrem Expansionsdrang nach Westen und Süden gestoppt, siedeln sich in den fruchtbaren Tälern von Drau, Mur und Save an und bilden mit der keltoromanischen Bevölkerung, ein neue Einheit: Das slawische Fürstentum Karantanien. Zentrum war das Zollfeld, wo auch der berühmte Fürstenstein steht, die umgedrehte Basis einer römischen Säule, auf der die jeweiligen Herrscher rituell eingesetzt wurden.
Dieser Brauch wird auch von den Bayern übernommen, die hundert Jahre später die Slawen im südöstlichen Europa missionieren, man darf annehmen, dass das alles nicht sehr friedlich von Statten ging, hundert Jahre später jedenfalls gehört Karantanien zu Bayern. Und noch einmal hundert Jahre später besiegt Karl der Große die Bayern und kassiert bei der Gelegenheit auch Karantanien. Der Name gefällt ihm, das mit dem Herzogstuhl auch, also errichtet er die Mark Karantanien, die reicht im Süden bis Spoleto und umfasst auch die Lombardei, dazu gehören noch Bayern sowie die Gebiete des ehemaligen Norikum bis zur Donau und sogar darüber hinaus.
So gesehen haben die Kärntner eine mächtige Geschichte. Doch die war nicht sehr nett mit ihnen, denn aus der Mark Karantanien wurde später die Steiermark, und auch der Rest kam bald wieder abhanden, so dass die Habsburger schließlich, gegen Ende des Mittelalters, ein stark geschrumpftes Kärnten übernehmen. Als feine Ironie der Geschichte bekommen die Habsburger Kärnten vom Kaiser Ludwig IV, der bayerische Wittelsbacher träumt von einer Erbkaiserwürde für Bayern, legt aber mit dem Lehen die Basis für Macht des Hauses Habsburg im nächsten halben Jahrtausend und den gleichzeitigen Niedergang Bayerns als Kolonialmacht in Südosteuropa.
Genug Geschichte. Jedenfalls lernen wir daraus, dass Kärnten, seitdem das slawische Herzogtum Karantanien von bayerischen Kriegsmissionaren überrannt wurde, stets fremddefiniert war. Die lange Kette fränkischer Könige nach Karl dem Großen vergab Kärnten immer wieder an andere Herrscher als Lehen, schon 1270 wird mit Graf Ulrich von Heunburg zum ersten Mal ein Kärntner Landeshauptmann berufen, da kann sich Onkel Pröll noch was abschneiden.
Na ja, egal. Wichtiger ist die Erkenntnis, dass es – man wäre geneigt zu sagen, selbstverständlich – auch immer lokale Aufstände gegen die diversen Fremdherrschaften in Kärnten gegeben hat, man erspare mir hier die Aufzählungen. Aus jener Zeit stammt etwa die Beziehung zur fränkischen Stadt Bamberg: Das erst 1007 gegründete Bistum Bamberg erhielt von diversen Frankenkönigen reichhaltige Besitztümer im heutigen Kärnten, wohl auch, weil man so versuchte, die Bildung einer selbständigen Erbherrschaft im Herzogtum zu verhindern.
Und das wäre in meinen Augen die erste Lektion: Kärnten hat eine tausendjährige Geschichte der Rebellion gegen eine Herrschaft von „außen“, wie immer man das jetzt definieren mag. Und es stimmt schon: Das habsburgische Kernland umfasste schließlich die ewig kaisertreuen Tiroler, die entweder den Bayern oder den böhmischen Pšemisliden abgenommenen Länder ober und nieder der Enns, die Steiermark und eben das ewig rebellische Herzogtum Kärnten.
Und das war, und das wäre Lektion zwei, grundsätzlich nicht „deutschsprachig“, wobei man da jetzt streiten kann, wie weit. Denn damals gab es den Begriff der Nation nicht, wichtig war allenfalls der Stand, Herrschaftssprache im Mittelalter war sowieso Lateinisch, und was für eine Sprache der jeweilige Bauer irgendwo sprach, war sowas von egal. Wobei hier gleich mit dem Idealbild des „Multikulti im Mittelalter“ aufgeräumt werden muss, denn die einzelnen Volksgruppen lebten nebeneinander, ohne sich zu vermischen.
Und jetzt müssen wir leider noch einmal die Geschichte bemühen, in Form der französischen Revolution, denn diese erfindet die Nation, diese neue Idee von „ein Volk, ein Staat“, das irgendwie zwingend mit „einer Kultur und einer Sprache“ zusammenhängt. Im zentralistischen Frankreich ließ sich das auch noch relativ einfach umsetzen (obwohl die Korsen das bis heute noch nicht ganz eingesehen haben), aber dort, wo sich die Deutschen mit den Slawen vermischen, in einem breiten Gürtel von der Ostsee herunter bis zur Adria, hat das in den vergangenen zweihundert Jahren zu großen Problemen geführt. Weil mit dem nebeneinander auf ein und demselben Territorium, damit war jetzt nix mehr, weil die Parole „ein Volk“ nicht nur zu „einer Sprache“, sondern auch zu „ein Land“ führt, so kommt Europa zu seinen Nationalstaaten.
Nur die Habsburger haben in den letzten hundert Jahren ihrer Regentschaft dieses Nationenprinzip wütend bekämpft, weil es implizit den gleichzeitigen Zerfall des vielsprachigen und damit polykulturellen Habsburgerreichs bedeutete. Und konsequenterweise haben die Siegermächte im Ersten Weltkrieg – allesamt Nationalstaaten – dafür gesorgt, dass genau das passiert ist.
Und die gemischtsprachigen oder, wenn man so will, gemischt kulturellen Gebiete, wurden dabei halt dem einen oder anderen Volk zugeschlagen. Und weil Deutschland, und damit „die Deutschen“ gerade besiegt worden waren und so nicht mit fürchterlich viel Sympathie rechnen durften, wurden gemischtsprachige Gebiete im Zweifelsfalle immer dem neuen Nationalstaat zugeschlagen.
Nur im Gebiet des heutigen Kärnten ist das Konzept nicht aufgegangen, der Rest zählt zum österreichischen Nationalmythos, über den, ganz besonders in Kärnten, keine Witze gemacht werden dürfen, und schon gar keine Fragen gestellt.
Im Abstimmungsgebiet waren aber, laut letzter amtlicher Feststellung der k.k.Verwaltung von 1911, rund 70 Prozent der Bevölkerung slowenisch, trotzdem stimmten, bei einer hohen Wahlbeteiligung, 59,04 der Wahlberechtigten für den Verbleib bei Österreich. Warum sie das getan haben, ist bis heute eines der ganz großen Enigmen, ich habe darauf keine Antwort, nur Vermutungen.
Vielleicht waren sie dem altvertrauten Karantanien, ihrem Koroška, einfach näher als dem diffusen neuen „Königreich der Serben und Kroaten“, in dessen Namen die Slowenen erst einmal gar nicht vorkamen. Vielleicht waren sie auch einfach konservative Bauern, die mit der neumodischen Idee einer slowenischen Nation, die von den jungen Stadtfräcken aus Laibach, mit nicht sehr viel Verständnis für das Kärntner Landleben, verkündet wurden, nichts anzufangen wussten oder damit nichts zu tun haben wollten. Wir werden es wahrscheinlich nie erfahren, und Gespräche darüber sind, bislang zumindest, in diesem Land tabu, ich habe jedenfalls noch kein ernsthaftes führen können, weder mit windischen noch mit deutschen Kärntnern.
Den Windischen, wie deutsche Kärntner ihre slowenischen Landsleute nennen (das alte mittelhochdeutsche Wort für Fremde, auch als Welsche oder Walser bekannt), hat ihr Bekenntnis zu Österreich nix gebracht. Entweder fielen sie dem Assimilationsdruck zum Opfer oder den Nazis, die sie offen verfolgten und deportierten. Von den über siebzig Prozent im damaligen Abstimmungsgebiet sind es heute, je nach Lesart, nur mehr zwei bis fünfzehn Prozent, der Streit ist noch anhängig.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ging es anderen Minderheiten in ähnlichen Situationen auch nicht besser. Von der Vertreibung der deutschsprachigen Minderheit aus der Südsteiermark weiß man eher weniger, wohl weil es auch nicht so viele waren, aber nähere Recherchen ergeben, dass es ihnen nicht besser ging, im Gegenteil. Und was die Spannungen zwischen Slowenen und Italiener betrifft, so liegt es wohl daran, dass weder Slowenisch noch der harte friulanische Dialekt zum Sprachschatz der Österreicher gehören. Taucht man dennoch etwas ein in die Geschichte, so kommen lauter unerfreuliche Dinge zum Vorschein. Zum Beispiel die Geschichte von der zugemauerten Höhle im slowenischen Istrien, in der man über zweihundert Leichen fand, alle mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen. Aber das ist keine Entschuldigung.
Es ist auch keine Entschuldigung, anzuführen, dass die Irredentisten im slowenischen Parlament, einem außerordentlich hässlichen Gebäude in Laibach, mindestens ebenso übel sind wie die Mitglieder des Kärntner Heimatbundes. So gab es einen Antrag zu einer Resolution (sie ging nicht durch), im Zuge der neu gewonnen Eigenstaatlichkeit erneut einen politischen Anspruch auf die ehemals slowenischsprachigen Gebiete in Kärnten zu erheben. Man kann das als pubertäres Gedöns eines jungen Staates abtun, man kann es aber auch als das nehmen, was es ist, nämlich brauner Gestank. Halt von der Maschikseite. Ändert aber nichts an der Braunheit.
Bei der Volksabstimmung über den Vertrag mit Kroatien über die Beilegung des Konflikts über die Bucht von Piran, die im Sommer 2010 über die Bühne ging, fielen Sätze, die nur deshalb keiner kennt, weil wir ja alle nicht Slowenisch können. Zum Beispiel der: „Jetzt haben wir vor hundert Jahren um ein paar Stimmen Kärnten verloren, und vor fünfzig Jahren um ein paar Stimmen Triest – wenn wir jetzt nachgeben, verlieren wir auch noch den Zugang zu unserem Meer“. Er hat tatsächlich naše more gesagt, sein Name sei hier schamhaft verschwiegen, ich will solchen Leuten keine Öffentlichkeit bieten, nicht einmal in meinem Blog.
Dazu kommt, dass die Slowenen im ganzen ehemaligen Jugoslawien ziemlich unbeliebt sind. Ich weiß das, ich lebe dort, und so gut ist mein Serbokratisch schon, dass mir das auffällt. Sie galten schon im alten Jugoslawien als besserwisserisch, überheblich und eingebildet, sie selbst sehen sich gerne als Musterknaben, wer’s nicht glaubt, der lese den Wikipediaeintrag zu Slowenien.
Vielleicht sollte man noch erwähnen, dass es knapp zwei Millionen Einwohner der Republik Slowenien gibt, aber nur 559.404 Einwohner des Bundeslandes Kärnten, soviel zu Kärnten deutsch und ungeteilt, aber vielleicht meinen sie mit Kärnten nicht Karantanien oder Koroška, so genau muss ich das jetzt nicht wissen.
Dann gibt es auch noch einen (Kärntner) Landeshauptmann, der so strunzdumm ist, dass er nicht gleichzeitig gehen und Kaugummi kauen kann (beobachten Sie ihn einmal, wenn er stehen bleibt, dann fängt er gerne wieder zu kauen an). Der verbreitet dann so Schwachsinn wie die Kärntner Bevölkerung sei besorgt über das Wiederaufflammen der so genannten Ortstafeldiskussion. Die Kärntner sind über viele Dinge besorgt, zum Beispiel über ihre Schulden (jeder Wiener hat Schulden von 1500 Euro, jeder Kärntner von 6500 Euro, wenn man die jeweilige Landesschuld auf die Bevölkerung umlegt), zum Beispiel, oder über ihre Jobs (im August 2010 lag die gesamtösterreichische Abeitslosenquote bei 5,9 Prozent, in Kärnten bei 6,6), aber die Ortstafeln von Bleiburg oder Ebersdorf sind ihnen ziemlich egal.
Derselbe Landeshauptmann entblödete sich diesen Sommer auch nicht, im ORF zu behaupten, in den 70er Jahren hätte es konkrete jugoslawische Pläne zur Besetzung Unterkärntens gegeben, und nur das Verhandlungsgeschick des damaligen Kanzler Kreisky bei Marschall Tito persönlich habe Schlimmeres verhindert.
Das hat er tatsächlich gesagt. Ernsthaft. In Radio Kärnten.
Meine kroatischen Freunde sind, als ich es ihnen erzählt habe, vor Lachen fast gestorben. Jugoslawien hätte, so meinten sie dann, nachdem sie sich wieder erholt hatten, nie – niemals – für einen obskuren Sprachenstreit der höchst unbeliebten Slowenen irgendetwas riskiert, schon gar nicht so was. Aber in Kärnten kann man mit so was heute noch Politik machen.
Ach ja, die Kärntner Seele, wir wollten doch eingangs die Frage nach ihr stellen. Bislang haben wir folgende Teilergebnisse:
Erstens: Die Kärntner Seele besteht aus einem deutschen und einem slowenischen Teil. Das ist zwar historisch fundiert, dennoch leugnet jeweils die eine Volksgruppe die Existenz der anderen. Besonders hübsches Beispiel: Auf den ersten Tolarnoten des neuen Staates Slowenien gab es eine Abbildung des (eingangs erwähnten) Herzogstuhls. Teilweise verstehen die Slowenen die darauf folgende Aufregung in Kärnten bis heute nicht. In der Zwischenzeit haben sie eh’ den Euro, damit ist das Thema wieder vom Tisch.
Zweitens: Die Kärntner Seele ist traditionell rebellisch und der fernen Zentralgewalt gegenüber (in diesem Fall Wien) eher feindlich gesinnt.
Drittens ist etwas komplexer: Kärnten war einmal ein sehr reiches Land, der Bergbau, zum Beispiel, machte im Hochmittelalter aus Friesach die wichtigste Stadt zwischen Wien und Venedig, der silberne Friesacher Pfennig war Jahrhunderte lang eine hochsolide Währung. Wer genau schaut, vor allem in der Architektur von Städten wie St. Veit oder Völkermarkt, der kann auch heute noch Spuren davon finden, aber grosso modo ist Kärnten heute ein armes Land, der Bergbau und die damit verbundene Eisenindustrie des Vormärz von der Industrialisierung hinweggefegt. Ich habe einen Freund aus Friesach, er ist etwas jünger als ich, wenn ich dem das mit dem Pfennig erzähle, schüttelt er nur den Kopf. Heute sei seine Heimatstadt, meint er, so perspektivlos wie eine Sandmanufaktur in der Sahara, er selbst habe am Tag nach seiner Matura seine Heimatstadt fluchtartig verlassen und es seither nicht ein einziges Mal bereut.
Solche Sätze kann man oft hören, von Kärntnern, die nicht (mehr) in Kärnten leben. Und so leiten wir das dritte Ergebnis über die Kärntner Seele ab: Sie hat einen Minderwertigkeitskomplex. Und zwar einen doppelten: Einerseits den aller Österreicher („Wir waren einmal groß und mächtig, heute sind wir die Wurstel Mitteleuropas“) und andererseits noch einmal speziell als Kärntner (Sie erinnern sich: von Mailand und Bamberg bis Wien und Ungarn, Kärnten als Mittelpunkt der Welt). Und dieser doppelte Minderwertigkeitskomplex ist es, der uns direkt zum nächsten Thema führt, das ich ebenfalls schon zu Eingang angeführt habe: Der Murks um die Hypo Alpe Adria.
Nur so ist zu verstehen, warum eine kleine, unbedeutende Provinzbank, deren primäre Aufgabe die ordentliche Abwicklung des Landesbudgets war sowie die unspektakuläre Vergabe von Hypothekarkrediten im lokalen Bereich, eines Tages plötzlich hypertroph zu wachsen begann wie ein Krebsgeschwür, in fünf Jahren ihre Bilanzsumme verdreissigfachte (sic!) und mit einem protzigen Neubau der Klagenfurter Zentrale sozusagen auch architektonisch verkündete, man wolle jetzt bei den großen Buben mitspielen. Und – das ist der springende Punkt – keiner hat dagegen protestiert. Niemand. Es fanden vielleicht nicht alle so schlau, aber gesagt hat das keiner öffentlich. Im Gegenteil, die Politik in Form von Landeshauptmann Haider jubilierte und fand, endlich habe Kärnten wieder einen Teil jener Größe zurückbekommen („Wir sind ab heute reich“), die ihm historisch seit je her (oder zumindest seit Karl dem Großen, was ja fast dasselbe ist), zustünde.
In Wirklichkeit haben sich unsere biederen Bauernbuben auf dem Balkan über den Tisch ziehen lassen, und wenn nur die Hälfte der Geschichten stimmt, die man sich in Kroatien und Montenegro über die Hypo erzählt, dann waren sie noch viel dümmer, als wir es uns in unseren ärgsten Albträumen vorgestellt hatten.
Ganz erklärt ist dieses Phänomen dieser abartigen provinziellen Dummheit, gepaart mit spießiger Großmannssucht, noch nicht ganz durch diesen Minderwertigkeitskomplex, aber es ist ein erster Ansatz. Erweiternd könnte man noch ein wenig altmodischen Neid sowie den „Das-wollen-wir-auch-einmal-dürfen“-Komplex hinzufügen oder das, was ich das Velden-Pörtschach-Syndrom nenne.
Nämlich: Seit der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts macht die große Welt Sommerferien in Kärnten, genauer gesagt am Wörther See. Sie sind zwar nicht so prunkvoll und auch nicht so zahlreich wie ihre Verwandten am Comer See, am Lac Leman oder am Zürisee, aber sie stammen aus derselben Zeit, die feudalen Villen des Großbürgertums, das so seinen neu erworbenen Reichtum auch zur Schau stellen wollte, wie das Walter Benjamin so treffend analysiert hat. Ich will jetzt keine Diskussion darüber auslösen, wie reich die Sommergäste in Velden und Pörtschach heute tatsächlich sind, und wie viel von dem ganzen Talmi nur Staffage für das Trauerspiel Wörthersee ist und wie viel tatsächlich mit Geld hinterlegt. Schließlich sitzt hier die Flick-Stiftung, und gleichzeitig ist das Schlosshotel Velden gerade wieder einmal – halt, nein, es gehört ja jetzt der Hypo Alpe Adria. Und sucht einen neuen Besitzer. Sei’s drum, eine Wohnung beim Werzer in Velden steht derzeit mit 1,3 Mio Euro zum Verkauf an. Und das ist dann auch nur eine doofe Ferienwohnung in Österreich: Es ist schon noch immer so, dass dem kleinen Kärntner Bauernbuben bei seinem Ferienjob in Pörtschach oder Krumpendorf die Augen herausfallen, wenn er sieht, wie viel Geld andere Leute tatsächlich haben können. Und mit wie viel Macht das dann verbunden ist.
Von dort bis zu der Erkenntnis: Das will ich auch haben, ist es nicht so weit, wie manche denken mögen, und in der provinziellen Einfältigkeit kann es schon einmal passieren, dass so ein Bub glaubt, wenn er nur gut aussehen und einen dicken Wagen fahren kann, dann sei das schon die halbe Miete auf dem Weg zu Reichtum und Ruhm. Sie kennen die Geschichte vom Buben eines Veldener Autohändler, der recht fesch war und dann viel ererbtes Geld geheiratet hat, nachdem er kurz Finanzminister … lassen wir das, die Verfahren sind anhängig, sonst werde ich noch geklagt. Aber eine Zeit lang hat diese Kärntner Provinzfeschheit, dieses leicht schmierige, braungebrannte Blonde, dieses Vorstadtstrizzi-auf-dummdreister-Bauernbub irgendwo zwischen sportlich und blöd, sogar Einzug in die gesamtösterreichische Politik gefunden.
Das hat weniger mit Kärnten zu tun und mehr mit Jörg Haider, der bekanntlich aus Oberösterreich stammt und sich nur dort niedergelassen hat, wo er die besten Bedingungen für seine Art der populistischen Politik fand. Inzwischen ist die Blase geplatzt, die Sonne vom Himmel gefallen, die Kärntner sind im Rest von Österreich deutlich unbeliebter als vorher, und die Kärntner Seele hat eine weitere Schramme.
Ich will mich jetzt nicht zum Phänomen Haider äußern, das sollen Befugtere machen und tun es auch, wir gewinnen dafür die nächste Erkenntnis zur Kärnter Seele: Sie ist der tiefen Überzeugung, dass Kärnten und den Kärntnern in dieser Welt nur Ungerechtigkeit widerfährt. So wie in „Wir sind für die Anderen immer nur die Dummen“. Das könnte jetzt auch anders herum interpretiert werden, aber Sie verstehen schon, was ich meine. In Wien nennt man das „ang’rührt“: Die Kärnter Seele ist leicht ang’rührt und kommt gerne zu kurz. Oder so ähnlich. Ein Engländer würde jetzt sagen: They carry a chip on both their shoulders. Aber Englisch kann er ja nicht, unser Landeshauptmann. Macht nix, der deutsche Außenminister auch nicht. (Igler, du schweifst ab. Ja, Frau Chefin.) Also: Ang’rührt.
Die Mischung klingt ziemlich spießig, und das ist sie auch. Die Nazis, diese Inkarnation des wild gewordenen Kleinbürgertums, fanden bei den deutschen Kärntnern denn auch fruchtbaren Boden, es hat keinen Sinn, es zu leugnen, und genau so wie im Rest des Landes wird auch hier dieser Teil der Vergangenheit nicht aufgearbeitet. Wozu auch, is’ eh’ oll’s supa, ned?
Das klingt böse? Das soll es auch.
Natürlich sind nicht alle Kärntner so. Viele unserer Kärntner Freunde stehen ebenso fassungslos wie unsereiner vor dieser aus dem Ruder gelaufenen Provinzposse. Das heimtückische dabei ist ja, dass Kärnten ein von Gott speziell mit Schönheit gesegnetes Fleckchen Erde ist und die Kärntner an und für sich irrsinnig nette Menschen sind; ich kann gut verstehen, wie man als Kärntner feuchte Augen bekommen kann, wenn man an seine Heimat denkt. Und dass es ganz schwer ist, die Grenze zwischen volkstümlich und volkstümelnd zu ziehen.
Und natürlich haben uns die Bauern, ob windisch oder nicht, hier alle ganz herzlich willkommen geheißen, haben uns geholfen mit Rat und Tat, uns hilflosen Stadtmenschen im Kärntner Unterland, ich kann über die Menschen hier nur Gutes sagen, sie sind alle ganz freundlich, und keiner nimmt mir meinen Wiener Zungenschlag übel, oder meine kroatischen Nummerntaferln am Auto.
Ach ja, die Kärntner Seele? Na, so wie die aller anderen Österreicher. Nur noch ein bisserl mehr so. Irgendwo zwischen gemütlich und hinterfotzig, halt. Aber das wussten wir ja schon vorher, oder?