Warum ich dann doch noch nicht ausgetreten bin.

Soifz. (© Vilintril)

Also, da sind noch einige Fragen offen, die beantwortet gehören.

Vorab möchte ich jedoch mal was Grundsätzliches äußern, um das Gesamtbild in’s (für mich) rechte Lot zu rücken.

Jeder von uns – aber wirklich Jeder und Jede, den/die wir da draußen treffen – hat einen Plan, wie die Welt ausschauen soll, damit sie gerechter, besser & edler wäre.

Der ist meist bestechend, für den jeweiligen völlig logisch und würde – ganz sicher – perfekt funktionieren, wenn nicht die blöde Welt dauernd die störende Eigenschaft hätte, anders zu sein, als wie wir uns das jeweils von ihr erwarten.

Meine (aber wirklich nur meine private) Vorstellung von „weise“ wäre, das alles zu erkennen und daraus den Schluss zu ziehen, dass es offenbar so einen Plan gar nicht geben kann, und dass es jedem einzelnen von uns gut zu Gesicht stünde, etwas weniger intellektuellen Dünkel und etwas mehr Demut vor der Schöpfung zu haben. Und dass wir weiters zugeben, erst mal jeder für sich und nur vor sich selber, dass dieser unser jeweiliger Plan – höchstwahrscheinlich – ziemlich unzulänglich ist. Und dass es – höchstwahrscheinlich – einen ganzen Haufen Dinge gibt, von denen wir nix wissen, und/oder die wir nicht verstehen, und/oder die wir aus welchen Gründen auch immer übersehen haben.

So gesehen ist das ja auch nur ein Plan, und zwar meiner, also funktioniert er auch nicht. Aber er wäre hübsch.

Und nun zu den Piraten.

Auch da gibt es einen Plan.

Wenn ich den (siehe oben) richtig verstanden habe, ist es der, die Welt eine bessere und gerechtere zu machen, so wie im Detail in der Satzung beschrieben, und um das alles durchzusetzen, eine parlamentarische Mehrheit dafür innerhalb des bürgerlich-demokratischen politischen Systems zu bekommen.

Für mich ist das unheimlich wichtig. Ich habe mich in meinem Leben oft genug in politisch deutlich unappetitlicheren Systemen bewegt, um nicht genau zu wissen, wovon ich rede. Ein grundsätzliches Bekenntnis zur Demokratie (in der bei uns üblichen Geschmacksrichtung bürgerlich-liberal) ist für mich eine conditio sine qua non, oder auch: Wenn diese Bedingung nicht erfüllt wird, bin ich raus.

Wenn man das Programm der Piratenpartei liest, passt eh’ alles: Wir sind eine liberale Partei, wir vertreten bedingungslos die Menschenrechte sowie die individuellen Freiheiten der bürgerlich-liberalen Gesellschaft, im Netz ebenso wie im wirklichen Leben; Wonne, Waschtrog, Eierkuchen.

Die Tücke lauert, wie üblich, im Detail.

Denn es ist nun mal so, das was dem Einen noch nicht liberal genug ist, dem Anderen schon viel zu liberal ist, weshalb die Götter den politischen Kompromiss erfanden, immer leicht nach verrauchten Hinterzimmern riechend, immer mit dem Hautgoût des Packelns behaftet, weil man Kompromisse bekanntlich nicht mit Schreiduellen im Plenum, sondern nur mit ruhigen Gesprächen im Klubzimmer erreichen kann.

Bestes Beispiel dafür ist wohl die Große Strafrechtsreform der zweiten Regierung Kreisky. OK, am Ende gab’s 1974 einen Beharrungsbeschluss der absoluten SP-Mehrheit, aber das war wohl nur wegen der Fristenlösung, ansonst wurde im generellen Konsens das StGB, das in seiner Grundform noch aus 1803 stammte, an die Postmoderne des ausgehenden Jahrhunderts angepasst. Ich bin überzeugt, dass in einhundert Jahren kein Mensch mehr von Zwentendorf, UNO-City oder Konferenzzentrum mehr reden wird, oder was uns der Alte sonst noch so alles hinterlassen hat – aber seine Strafrechtsreform, zusammen mit Christian Broda, damit wird er in die Geschichtsbücher eingehen.

Damit einmal klar ist, was so meine Vorbilder sind.

In diesem Zusammenhang verstehe ich halt dann auch ein bisserl was von Öffentlichkeit & Pressearbeit und so, nicht weil ich mich für so einen Superjournalisten halte (was ich nicht tue, ich denke mir, ich bin eher so Durchschnitt), sondern weil man einfach nicht 40 Jahre lang eine Hacke machen kann, ohne dabei $irgendetwas zu lernen. Und das, was ich da gelernt habe, sagt mir, dass die Partei, also wir, die PPAT, da ein großes Problem hat.

Das stößt mir nicht erst mit Fisimas Aktion in Sachen Bettelverbot auf, das geht tiefer.

Ich habe mit der PPAT echt eine kognitive Dissonanz. Weil einerseits sind wir anders als die Anderen, wir sind basisdemokratisch und transparent, weit über jede Schmerzgrenze hinaus. Super. Nur wenn es dann hart auf hart geht, sind auch wir Piraten plötzlich wie die Anderen, und sondern genau dasselbe Politgeschwurbel aus unseren Gesichtsöffnungen ab wie die anderen Lemuren auch.

Zum Beispiel bei meinem Ö1-Interview. Das war nicht so schlau (ich hätte es wahrscheinlich ablehnen sollen, bloß: Wie?), aber ich habe die Wahrheit gesagt und muss mich nicht für eine einzige Aussage genieren. Was dann als Aussage von anderen Piraten kam, bis hin zur offenen Aufforderung, ich hätte doch einfach aufmunternd lüge^W ein paar Sätze aus der Marketingabteilung sagen … Freunde: dafür bin ich nicht Pirat geworden.

Da kriege ich dann besagte Dissonanz. Weil: was jetzt? Wir lügen nicht, aber dann doch, wenn es wirklich wichtig ist? Da hätte ich ja gleich der jungen ÖVP beitreten können.

Dasselbe gilt jetzt für Fisimas Aktion. Ich will ihm gerne glauben, er habe es in lauterster Absicht getan (jftr: ich tu’s sogar), aber es ist völlig wurscht, der PR-SuperGAU ist es allemal. Und das bockige sich-eingraben-ich-hab-ja-nix-Böses-getan ist genau das Falsche, frisch aus dem Lehrbuch, und wir verspielen gerade den kläglichen Rest unserer Glaubwürdigkeit.

Und weil ich für das, was ich für richtig halte, auch einstehe, hab ich das laut gesagt, auch mit ein bisserl Getöse, und das natürlich öffentlich. Weil: Wie denn hätte ich es machen sollen? Sind wir nicht basisdemokratisch? Kann nicht jeder hören, wenn wir verschiedener Meinung sind? Was jetzt? Ach, öffentlich streiten ist dem Image unbekömmlich, ja? Aber so ausschauen, als würden wir dem Bettelverbot zustimmen, und sich dann der Realität verweigern, das ist OK, ja?

Pfui Deibl. Ich muss mal kurz mein Mitagessen los werden …

Ach ja, à propos Kreisky und die Broda’sche Strafrechtsreform: Mit der kam auch die so genannte Tagsatzregelung. Sprich: (Geld)Strafrahmen werden nicht in absoluten Zahlen, sondern in Tagsätzen angegeben, und für jeden Straftäter wird dann, nach seinen finanziellen Verhältnissen, die Höhe des für ihn gültigen Tagsatzes festgelegt, auf dass (Geld)strafen möglichst demokratisch allen gleich weh tun, dem Armen wie dem Reichen.

Ein geniales Konzept, dass dann bei uns in Liquid als blöd und undemokratisch hingestellt wird, zusammen mit einer Reihe von skurrilen Reformvorschlägen, die alle eher unausgereift sind, dem Rest des StGB zuwider laufen oder gleich verfassungsrechtlich daneben sind. Und wenn ich das anmerke, krieg’ ich Shitstorm im Forum. Gottseidank lese ich dort nicht.

Auch habe ich meine Probleme mit der bei manchen verbreiteten Ansicht, der Bundesvorstand bei den Piraten soll so eine Art erweiterter Grüßaugust sein und sonst nichts weiter. Weil den Rest bestimmt sowieso die Basis. Dem kann und will ich nicht beipflichten, der Bundesvorstand führt durch eigenes Beispiel, durch Vorschläge, durch Kommunikation, durch Thematisierung bestimmter Inhalte, durchaus im Rahmen von Programm und Satzung. Weil um nur monoton zu wiederholen, was die Basis beschlossen hat, richten wir einen Bot ein, der ist billiger, hat kein Gewissen bzw. eine eigene Meinung, läuft 24 Stunden durch und tritt auch nicht zurück.

Keine Angst: Ich bin schon zurückgetreten.

Der Vergleich mit Salsabor ist auch falsch: Salsa wollte Schiff wechseln, möglichst unauffällig, der glaubt nicht (mehr) ans Piratentum. Ich will weder wechseln noch abheuern, ich will für die Dinge einstehen, von denen ich überzeugt bin. Außerdem kann ich nicht einmal im Ansatz so gut tanzen wie Salsa …

Ganz abgesehen davon, dass auch eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge, sei sie auch noch so empfindlich, uns nicht einmal in die Nähe jener Beträge bringen wird, die es brauchen würde, um bei der kommenden Europawahl auch nur den Funken einer reellen Chance zu haben. Ich bin überzeugt davon, wir werden auch das ganz gezielt an die Wand fahren, und das Resultat wird noch deutlich schmerzhafter sein als das bei der NRW.

Und zu schlechter Letzt: was die Kummerln betrifft – das ist dann sowieso nur mehr die Kirsche auf dem Schlagobers. Ihr meint doch nicht ernsthaft, dass uns $irgendwer das mit dem liberal und so abnimmt, nachdem wir hier mit der Einheitsliste ins Bett gestiegen sind? Oder? Selbst wenn sie eine reformierte Linkspartei wären, was sie eindeutig nicht sind, ist es unser politischer Selbstmord. YMMV.

Offenbar hat der ganze Zinnober sowieso nix genutzt, schon heute tun alle so, als wäre eh’ alles leiwand. Ich werde dennoch nicht austreten, sondern meine Stimme delegieren und mir die Entwicklung anschauen, austreten kann ich später immer noch.

Und wenn wir uns in zehn Jahren, so wir dann noch leben, daran zurück erinnern, wann die Sache anfing, ernsthaft auseinanderzufallen, dann erinnert euch: Ihr habt es hier zum ersten Mal gelesen.

Warum ich zurücktrete. Und überlege, auszutreten.

Diese Art von Postings sind immer scheisse.

Aber dennoch: Ich bin vor wenigen Minuten von allen meinen Funktionen in der Piratenpartei (Mitglied im Vorstand, Mediensprecher) zurückgetreten und überlege ernsthaft meinen Austritt. Und das will, es hilft alles nichts, öffentlich argumentiert werden.

Eigentlich wollte ich ja bei der kommenden Bundesgeneralversammlung in Graz im Jänner einfach nicht mehr zum Bundesvorstand kandidieren, und gut wär’s gewesen. Aber so einen stillen Abgang will man mir nicht gönnen.

Bis vor wenigen Tagen war die Bilanz des abgelaufenen Jahres zwar durchwachsen, aber teilweise auch positiv. Immerhin hat der derzeitige Bundesvorstand fast komplett ein ganzes Jahr durchgehalten, hat die Partei beruhigt & geeint und hat sie zum bundesweiten Antreten bei der NRW geführt, was ja auch nicht selbstverständlich war.

Hätten wir bei der NRW mehr als ein Prozent (und damit etwas Geld) erreicht, wären meine Ziele sogar halbwegs erreicht gewesen.

Doch leider läuft jetzt ziemlich alles aus dem Ruder.

Erstens haben wir nicht einmal bundesweit ein Prozent erreicht, also gibt es null Kohle und relativ wenig Zukunftsaussichten.

Ich habe immer wieder gesagt, ganz ohne Geld werden wir es nicht schaffen, einfach weil wir uns ohne Geld nicht den Bekanntheitsgrad „kaufen“ können, ohne den es halt nicht geht. Ich bin nach wie vor überzeugt davon, die Mehrheit hat keine Ahnung, dass es uns überhaupt gibt, geschweige denn wofür wir einstehen.

Und statt nach der verlorenen Wahl einzusehen, dass es ohne Geld nicht geht, nimmt die Mehrheit jetzt so eine Art Trotzhaltung ein, frei nach dem Motto „Jetzt erst recht“.

Ja, was jetzt erst recht? Wir zwingen die Realität? Wir schaffen uns unsere eigene? Wir halten uns an den Händen und singen alle „Ohm“ und dann klappt’s auch mit den Wählern?

Hmmm.

Stattdessen wird die Zahl der letzten Vernünftigen immer weniger. Wir haben keine Experten, wir haben nur lauter Möchtegerne. Egal was, BGE, Basisdemokratie, you name it: Es wird auf dem Niveau einer Sekte argumentiert. Zum Beispiel BGE: Kein Aas bei uns weiß, wie das Staatsbudget wirklich ausschaut (woher auch, das Ding hat 500 Seiten), wir argumentieren aus dem Bauch und werden überall gnadenlos aufgemacht. Dabei gäbe es kluge Leute, Wirtschaftsexperten, Uniprofessoren, die dazu was zu sagen hätten – aber die bekommen wir alle nicht, aus welchem Grund auch immer.

Dafür kommt wenigstens zur PK, Thema BGE, „nur“ eine Praktikantin.

Hmmm.

Im Liquid werden Anträge gestellt, die jeder Logik spotten, auch von bisher „vernünftigen“ Mitgliedern, kein Aas schert sich dabei um Verfassung, herrschende Gesetze etc.pp., es wird einfach alles und sein Gegenteil gefordert, möglichst im selben Antrag, unüberlegt, nicht einmal die Rechtschreibung stimmt …

Von Geld redet immer noch niemand. Dafür verbrüdern wir uns mit den Kommunisten.

Hmmm.

Und jetzt die Sache mit Fisima und dem Bettelverbot in Graz.

Ihr könnt alle sagen und argumentieren, was und wie ihr wollt: Es ist der absolute PR-GAU. Das Desaster schlechthin. Und Fisima … ach, lassen wir das. Wenn er’s nicht einsehen will, so ist das seine Sache.

Ich jedenfalls will damit eigentlich echt nix mehr zu tun haben. Wenn die Mehrheit meiner Partei politisch Selbstmord begehen will, bitte. Aber ich bin dann mal weg.

Vielleicht rüttelt dieser mein Rücktritt ja noch jemanden auf, vielleicht kann man noch einmal … ich glaub’s ja nicht. Ich warte jetzt noch zwei Tage, ob in Graz Einsicht eintritt, und dann trete ich auch aus der Partei aus.

Schade.

Ich bin sehr, sehr traurig und sehr, sehr enttäuscht.

Ich glaube nach wie vor an die Idee des (politischen) Piratentums. Aber das, was die PPAT da derzeit bietet, hat damit aber schon absolut nix mehr zu tun …