Ahoi, Kameraden oder Warum ich jetzt Bezirksparteiobmann geworden bin

 

Ich bin nicht mehr der Jüngste, darüber brauchen wir erst gar nicht diskutieren.

Ich habe viel erreicht und habe oft versagt, ich habe viel gesehen und viel gelernt, und manchmal kommen so Augenblicke, da hat man das Gefühl, jetzt sei wieder einmal eine Zwischenbilanz notwendig.

In all diesen Jahren hab’ ich an vielen verschiedenen Orten auf diesem Globus gelebt, daneben aber immer wieder in einem Land, in dem es tatsächlich einen funktionierenden Gesellschaftsvertrag gab, einen halbwegs erträglichen, und das mich als Mitglied akzeptiert. Von wegen Gnade der Geburt und so, ich bin halt da geboren. Und da hat man mich zwölf Jahre in die Schule gehen und dann auch noch studieren lassen, zehn Jahre lang, und das für lau, das kann auch nicht jeder von sich sagen. Später durfte ich dann den Beruf ausüben, den ich mir ausgesucht hab, ich hab’ hier Kinder in die Welt gesetzt und sie erwachsen werden gesehen – kurzum: Meine Heimat Österreich war immer so eine Art sicherer Schutzhafen, wo man mich versichert und krankheitsmäßig immer (wieder) ordentlich zusammengeflickt hat, wo ich immer zurück kommen konnte, egal aus welchem Winkel dieser Erde, so was ist an den deprimierenderen Orten dieser Welt höchst tröstlich. Und überhaupt.

Und manchmal überkommt mich so das Gefühl, ich sollte vielleicht jetzt noch was zurück geben, dieser Gesellschaft, die ihren Teil des Vertrages bisher ganz anständig erfüllt hat. Weil sehr viel später als jetzt ist leicht möglich, dass nix mehr wird, um es auf Kärntnerisch auszudrücken. Das also erstens.

Und kärntnerisch wohl auch, weil die beste aller Ehefrauen … und jetzt lebe ich eben in Kärnten.

Ja, das ist nicht immer so einfach. Und hat eigentlich eher wenig damit zu tun, dass ich Wiener bin oder zumindest dort geboren, was man an meinem Zungenschlag, zumindest in Deutsch, bis an mein Lebensende hören wird. Na ja, egal, Karntn eben, schön guttural hinten aussprechen, aber nicht so weit hinten wie die Tiroler … egal. Wird eh’ nix.

Die Sprache ist nicht das einzige Gewöhnungsbedürftige, in Österreich südlichstem Bundesland. Obwohl sie echt interessante Aspekte hat, zum Beispiel die des Auslassens. So wie in: Weasd dånn Klågenfuad gehn? Jo, lei no kamod Mahd mochn. Für mich, des lokalen Zungenschlags nicht so mächtig, ist so was eine echte Kommunikationshürde.

Den politischen Alltag, also den in Kärnten, wollen wir – wenn wir schon von gewöhnungsbedürftig reden – erst gar nicht erwähnen, schon von wegen gar nicht so viel essen können wie kotzen wollen. Das also zweitens, die Details erspare ich dem geneigten Leser und mir hier, weil unappetitlich und überhaupt und außerdem weiß eh’ jeder.

Übrigens und außerdem wird mir dafür erst jetzt so langsam klar, dass ich meine nächste Landtagswahlstimme nicht mehr in Wien, sondern in Kärnten abgeben werde, weshalb sich mir eine ganz konkrete Frage stellt, abseits aller Schriftstellereien und fröhlichem Wortgeschmiede. Nämlich: Wen, oder von mir auch auch was, wählen?

Da werden Luft ebenso wie Schmäh sehr schnell sehr dünn.

Gehen wir es einmal ganz pragmatisch von oben herunter: Die *spuck* Blauen kann man erstmal streichen, ebenso das orangene Pendant. Die Schwarzen? Are you kidding? Die Roten? In Kärnten? Die mit dem Landeshauptmann Wagner den Grundstein gelegt haben für das ganze hier, Jahrzehnte lang? Und die heute noch mit packeln? Sorry, Genossen, no way.

Dabei, nur so als extempore: Ich bin ja mit dem Seppi Cap in die Volksschule gegangen, gemeinsam ministriert hamma auch, beim Studieren haben wir uns wieder getroffen, er beim – damals noch wilden – VSSTÖ, und ich gebe zu, ich habe ihn damals auch gewählt. Und wenn ich mir anschau‘, heute … es ist echt ein Jammer. Soviel zu den Sozis.

Den Stronach? Really? Are you serious? Ah ja, eh‘ nicht.

Und dann?

Dann bleiben noch die Grünen.

Lange Pause.

Jetzt schaun s’ ned so betreten, ich mag die eh’ auch nicht. Aus verschiedenen Gründen, wahrscheinlich andere als die Ihren, aber Gedanken sind bekanntlich frei.

Hauptsächlich kann ich mit den Grünen deshalb so schwer, weil mich ihre grundsätzliche Technophobie stört. Ich bin ein alter Hippie, für uns war Technologie immer ein Teil der Lösung, nicht ein Teil des Problems. Das Problem lag immer in der Anwendung. Doch dann kam Three Mile Island, und dann kam Tschernobyl, und seither ist Technik eher etwas Unanständiges geworden.

Oder, wie ein Kollege jüngst gepostet hat: „Früher standen die Grünen für Doors hören und dogmatisch sein. Heute haben sie das mit den Doors halt aufgegeben.”

Das hat sicher auch etwas mit diesem neuen Biedermeier zu tun, dieser Landleben-Euphorie, der ich, obwohl ich jetzt bei den Bauern im Kärnter Unterland lebe, nicht sehr viel abgewinnen kann. Eigentlich gar nichts, denn es ist so fake, dass es schmerzt. Aber den Leuten gefällt’s. Egal: Ich glaube nicht daran. Die Hälfte der Menschheit lebt schon heute in Städten, das ist ein langfristiger Trend, wo der aufhören wird, weiß man nicht so recht, aber ohne High-tech wird das nicht abgehen, so weit ist das heute schon klar.

Und wir werden daher die Probleme dieser Zukunft nicht mit silofreien Milka-Kühen auf glücklichen Bio-Wiesen lösen (Nur mit Kuhscheiße gedüngt? Ja natürlich!), auch nicht gentechnikfrei, was immer das genau bedeuten mag. Egal, darüber ließe sich noch diskutieren, aber über diese kategorische Ablehnungshaltung eben leider nicht. Oder, um es kurz zu fassen: Mit der Müslifaschisten-Fraktion bei den Grünen kann ich echt nicht. Sorry, Freunde, ich respektiere eure Meinung respektive Haltung, aber mitmachen? Nein, danke.

Dann könnte man noch argumentieren, so einer wie Du sollte die Realo-Fraktion unterstützen, genau solche wie Dich brauchen wir.

Also gut, schauen wir uns die Kärntner Grünen an.

Die sitzen schon seit zwei Legislaturperioden im Landtag. Und nu, Oskar? Viel bewegt haben die dort nicht. Mir ist jedenfalls keiner aufgefallen.

Dafür haben sie jetzt den Herrn Holub recycled, der tritt jetzt als der nächste große Aufdecker auf, sozusagen als Peter Pilz von Kärnten, als Johanna von Orléans für Arme (aka die Steuerzahler), oder lieber als die Heilige Johanna der Schlachthöfe? (Oder doch Johanna die Wahnsinnige?) Jedenfalls will er „jedes Dokument, dass die Brüder Scheuch nicht geschreddert haben, nachprüfen.“ Wenn ich mir so die Arbeit der Korruptionsstaatsanwalt anschau’, wird der Herr Holub dafür mehr als eine Legislaturperiode brauchen, um zum regieren wird er auch nicht viel kommen, obwohl er in die Landesregierung will. Und dort wäre einiges zu machen, die Schulden des Landes Kärnten etwa, die in den letzten fünf Jahren um 100 Prozent gestiegen sind – man liest richtig, sie haben sich verdoppelt. Aber Wirtschaftskompetenz ist traditionell bei den Grünen nicht wirklich zu verorten, würde mein alter Professor sagen, aka davon haben sie nicht so viel Ahnung. Oder es ist ihnen wurscht. Und außerdem: Kapitalismuskritik ist viel lustiger, und schick isses auch noch, also was jetzt?

Mmh.

Ich bin dann doch Wirtschaftsjournalist, wenngleich ein eher linker. Also diese seltene, weil gern unterdrückte Spezies von einem Sozi, der auch was von Wirtschaft …

Hab’ ich schon gesagt, dass ich die Grünen dann doch auch nicht … ?

Und nu?

Hier wird’s eng.

Die meisten der Freunde, die mir bis hier gefolgt sind, gingen anschließend in die innere Emigration. Das wollte ich nicht.

Bleibt nur: Selber was machen. Oder hat wer einen anderen Vorschlag?

Und dann gibt es eben die Piraten. (Jetzt isses raus. Egal, dass ich die mag, hab’ ich hier schon geblogged, also darf das nicht so überraschen.)

Also gut, schauen wir uns die Piraten an.

Wie gesagt, ich schrub das hier schon: Hoffentlich gelingt den Piraten mit der digitalen Revolution, was den Grünen mit der Ökologie geschafft haben, nämlich im politischen Mainstream anzukommen. Weil das eine ebenso wichtig ist wie das andere. Und dabei /müssen/ die so sein, wie sie sind, weil sonst kann das nicht funktionieren.

Daneben fordern sie noch ein paar Dinge, mit denen ich gut kann. Die Entkriminalisierung von Drogen etwa, das fordert auch der britische Economist, weil nur das der weltweiten (und immer bedrohlicher werdenden) Drogenkriminalität die Existenzgrundlage entzieht, im Grunde eine alte Forderung, muss man immer wieder stellen. Nur wer Süchtige als Kranke sieht, hat eine Chance, der Situation Herr zu werden.

Und dieses bedingungslose Grundeinkommen, häh? Das ist doch pure Sozialromantik, ist das. *börp*

Nein, ist es nicht. In Wirklichkeit gibt es so etwas Ähnliches schon, es heißt Grundsicherung. Aber es ist kein Recht, sondern eine Gnade. Eine soziale Gnade Deiner Heimatgemeinde.

Würde man alle diese Gelder, die man da heute ausgibt, zusammenfassen, wäre das durchaus finanzierbar. Und als Denkansatz ist es politisch interessant: Sozial Handeln als Rechtsprinzip, nicht als Gnadenprinzip, das gefiele mir.

Kurzum: Ich kann mich mit dem Piratenkodex durchaus identifizieren.

Und dann gibt es noch ein paar Aspkte, zum Beispiel die Arbeitsgruppe KMU, oder der Einsatz für freie Mitarbeiter, vor allem in den Medien, und noch ein paar so Sachen.

(Kommen Sie doch öfter hier vorbei, dann können Sie noch viel mehr darüber erfahren. </Werbung>)

Und deshalb bin ich den Piraten beigetreten.

Eigentlich war das schon im Oktober 2010, und damit bin ich wahrscheinlich der dienstälteste Pirat in Kärnten, aber irgendwie war das mit den Piraten in Österreich nicht so, wie es sein sollte, und deshalb war da eine Zeitlang nix.

Doch jetzt gab es den konstituierenden Landesparteitag, und seither bin ich aktiv. Und zum Bezirksobmann Kärnten Unterland gewählt worden. Und mache erstmal die Pressearbeit. Und, wenn wir schon dabei sind: Das heisst jetzt Landesgeneralversammlung. Damit es sich von den anderen Parteien abhebt.

Irgendwie würde mir ja gefallen, wenn bei der nächsten Landtagswahl /sowohl/ die Piraten als auch die Grünen in den Landtag kämen. Obwohl, sicher ist das beileibe nicht. Aber möglich wäre es. Vielleicht könnte man dann tatsächlich etwas bewegen *träum*

Ich sagte ja schon, ich bin ein alter Hippie.

Habe ich schon erwähnt, dass die Grünen bei der exorbitanten Erhöhung der Parteienförderung in Kärnten  im Landtag mitgestimmt haben? Dafür, nämlich. Die Unschuld haben sie damit jedenfalls verloren, meine grünen Freunde. Mal schauen, ob sie bei der (dann doch) geplanten Rücknahme auch mit Ja stimmen werden.

Ach ja, Rolf Holub, Spitzenkandidat der Grünen, verweigert im Moment den Piraten den Dialog. Sprich: Früher hat man gerne und viel miteinander geredet, und mehr. Aber jetzt laufen die Piraten auf seiner Sekretärin (sic!) auf. Ein Schelm, wer Schlechtes davon denkt.

Na ja, hoffen wir, dass das noch was wird.

Ich werde berichten.

Die Regierenden sind zu alt oder Warum es nicht reichen wird, nur dagegen zu sein

Können Sie sich noch erinnern, als die Grünen zum ersten Mal in ein Landesparlament einzogen? Es war 1979, vor genau 32 Jahren, da schaffte sie es in Bremen erstmals in eine Legislative.

Die müssen sich damals ähnlich gefühlt haben wie die Jungs von der Piratenpartei, die unlängst in Berlin staunend und mit großen, aufgeregten Kinderaugen durch das Rote Rathaus gingen, in dem sie jetzt Sitz und Stimme haben.

Mittlerweile hat es der einst Bullen verprügelnde Joschka Fischer ja zum Elder Statesman gebracht, und die Grünen zum langweiligen Politalltag einer etablierten Partei. Die Rolle der Spaßpartei hat jetzt wer anderer. Und der ist gerade in den Berliner Senat gewählt worden. Paradigmenwechsel erkennt man meist nicht, wenn sie geschehen, sondern später, wenn es nicht mehr zu übersehen ist. Doch der aufmerksame Gartenzwerg kann schon jetzt das Knistern im Gebälk hören.

Mit dem Tod von Steve Jobs (btw: RIP) ist erst einmal die Generation Garage endgültig von Bord gegangen. Sie erinnern sich: Die kalifornischen Stanford-Absolventen Bill Hewlett und David Packard bastelten 1939 einen Tonfrequenzgenerator für Disney in einer Garage in Palo Alto, damit war Silicon Valley geboren, die Garage steht heute noch und ist das Allerheiligste der Nerds dieser Welt: Dort hat es angefangen, der wilde Ritt durch die Technologie, bei der es jedes halbe Jahr einen neuen Durchbruch gab.  PC, Handies, Notebooks, Tablets – denken Sie einmal 32 Jahre zurück, dann verstehen Sie sicher, was ich meine. Und diese wilde Entwicklung ist heute erst einmal abgeschlossen.

Die nächste Revolution wird nicht mehr bei der Hardware, sondern softwareseitig passieren, und bei sich dadurch ergebenden neuen Kulturtechniken, von denen wir heute noch gar nicht wissen, wie sie aussehen und funktionieren werden.

Zwar kursieren Gerüchte, Steve Jobs habe vor seinem Abgang noch das „nächste große Projekt“ vorbereitet, einen Fernseher, der unsere Art, Video zu konsumieren, so verändern soll wie iPod und iTunes es bei Musik geschafft haben, aber ein iTV wird nur mehr die konsequente Weiterführung des Konzepts sein, digitaler zu konsumieren, so wie sich Apple das vorstellt, an den Grundvoraussetzungen wird das nichts mehr ändern.

Dafür wird selbst Microsoft in seiner nächsten Inkarnation als Windows 8 nicht mehr tastatur- bzw. mausgesteuert sein, sondern per Touchscreen, und auf allen möglichen und unmöglichen Devices laufen, überall dieselbe Oberfläche, stationär oder mobil, wir werden demnächst tatsächlich immer online sein können, in realtime, auf Geräten, die wir uns heute nur so ungefähr vorstellen können.

Ob uns das gefallen wird, ist eine andere Diskussion, die wir jetzt nicht führen, mir gefällt das ja auch nicht, aber hier geht’s um Grundsätzlicheres.

Wo lässt der Deutsche Intellektuelle denken? Richtig, bei Tante Zeit. Dort stand, dementsprechend, schon vor zwei Jahren ein kluges Interview <http://www.zeit.de/2009/44/Interview-Piratenpartei> mit dem damaligen Chef der deutschen Piratenpartei, Jens Seipenbusch, das ich hier schon einmal kommentiert habe (Siehe: Warum das mit den Daten so kompliziert ist).

Da ging es um die Umkehrung des Prinzips „Gläserner Staatsbürger“ zum Prinzip „Gläserner Staat“, was soviel heißt wie jeder Staatsbürger sollte ein Problembewusstsein haben darüber, was für Daten über ihn gespeichert sind, und wo, und unter welchen Umständen sie vernetzt werden können. Und wozu das alles führen kann und es schon tut.

Beim nächsten Bankbesuch, zum Beispiel, teilt Ihnen Ihr Betreuer mit, man habe Ihren Überziehungsrahmen deutlich gekürzt. Er wird etwas von Krise murmeln und Basel Zwei und dass Kreditrichtlinien jetzt strenger gehandhabt würden. Aber in Wirklichkeit hat eine Software einfach Daten über Sie gesammelt. Etwa dass Sie Ihre Stromrechnung immer erst am Stichtag oder ein paar Tage später einzahlen (weil da das Mahnprogramm nicht so schnell greift, machen wir doch alle). Daneben weiß die Software noch, dass Sie bei Hofer einkaufen, dass Ihre Leberwerte schlecht sind, dass Sie Steuerschulden haben und dass gegen Sie zwei Mahnklagen laufen. Dass die Steuerschulden ordentlich gestundet sind und dass Sie die Mahnklagen gewinnen werden, weil sie völlig ungerechtfertigt sind, weiß es nicht, das Programm, so schlau hat es der Programmierer nicht gemacht. Egal: Es reicht, Sie um eine Risikoklasse höher zu stufen, und schon schrumpft der Rahmen.

Solche Programme werden schon eingesetzt. Und auch noch andere, die noch ganz andere Sachen können. Und wenn wir nicht schleunigst die Medienkompetenz erwerben, um uns wehren zu können, sowie die rechtlichen Voraussetzungen, es auch zu dürfen, dann schaut es eher schlecht aus um den bürgerlichen Staat so wie wir ihn kennen.

Auch das habe ich hier schon vor zwei Jahren geschrieben: Es ist schon bezeichnend, dass die Grünen, die es immerhin geschafft haben, die Ökologie ins politische Bewusstsein zu bringen, bei IT völlig versagen. Sie sind ja in Wirklichkeit nur arrivierte Apo-Opas, die genau so verspießern wie alle anderen auch. Oder kennen Sie einen bekennenden Nerd in einer europäischen grünen Partei? Na eben.

Dass sich die Nerds da zu einer eigenen Partei zusammenschließen, ist irgendwie verständlich, schließlich weiß niemand besser als sie, was wirklich abgeht. Dass sie kaum wer tatsächlich versteht (und sich alle daher am einzigen Programmpunkt, den sie zu verstehen glauben, nämlich dem freien Internet, aka Filesharing, aufhängen), steht auf einem anderen Blatt. Ungeschickt, wie Nerds nun einmal sind, bringen sie es auch nur sehr schwer rüber.

In Wirklichkeit könnte das jetzt auch der nächste Entwicklungsschritt werden. Dereinst wurde der demokratische Diskurs auf der Agora geführt, dann ermöglichte der Buchdruck ihn über geographische Grenzen hinweg, wenngleich nur für eine Elite und Anfangs noch sehr langsam. Dennoch: ohne Buchdruck weder Aufklärung noch bürgerlicher Staat.

Heute wird der Diskurs nicht nur ubiquitär, sondern auch in realtime und barrierefrei geführt. Ubiquitär, weil jederzeit, überall und weltweit. Und barrierefrei, weil die Technologie billig und weltweit verfügbar ist, wie etwa Mobiltelefone.

Was das bedeuten könnte, haben der arabische Frühling ebenso vorgeführt wie die soziale Entwicklungen in Schwarzafrika oder die Grüne Revolution im Iran. Und schon ist die Gegenbewegung ebenso da, steigen Zensur und Regulation im Internet, nicht nur in totalitären Staaten, sondern auch bei uns, es fällt Ihnen nur nicht auf, weil Sie halt kein Nerd sind.

So gesehen sind die Piraten wichtig, völlig egal, wie das in Berlin jetzt weitergeht, wie sehr sie unter sich streiten, wie sehr sie erst einmal politisch unbeholfen agieren und alles, was dazu gehört. Und selbstverständlich haben weder Medien noch Politiker wirklich eine Ahnung, wie sie mit den Neuen umgehen sollen, weil ihnen, wie wir schon festgestellt haben, einfach das Problembewusstsein dafür generell fehlt.

Oder, wie es Jens Seipenbusch schon vor zwei Jahren elegant formulierte: „Da muss man einfach realistisch bleiben: Politiker, die jetzt 50, 60, 70 Jahre alt sind, sind weit davon entfernt, diese Problematik überhaupt zu durchdenken. Die Regierenden sind zu alt.“

Na na na na na na oder Warum das mit der Musikindustrie möglicherweise so ist, wie es ist.

Im vergangenen November las ich in wired magazine (cooler site!) einen Artikel zum Thema Musikdownloads. Darin argumentiert Autor Paul Boutin, dass es ab sofort eigentlich unmoralisch wäre, weiterhin Musik gratis aus dem Netz herunter zu laden. Als Begründung gab er an, wir hätten gewonnen. Den Krieg mit der Musikindustrie, nämlich. Schließlich gäbe es heute jede Musik zum Kaufen, billigst, 99 Cent per Song, bei Apple oder Amazon, ganz ohne DRM oder sonstigen digitalen Eiterbeulen, damit finanziert sich kein Musikboss mehr den neuen Jaguar. Und es sei eigentlich unmoralisch, so Boutin, nicht einmal einen lumpigen Dollar für einen Song zu bezahlen, der einem so gefällt, dass man ihn tatsächlich aus dem Netz ziehen und auf seinen iPod laden will, schließlich wolle so ein Künstler oder eine Künstlerin auch was verdienen. Und wir wären doch, als der große Downloadboom aus dem Netz begann, ja nur erbost auf die Herren in den dunklen Anzügen in den oberen Etagen gewesen, „the boys upstairs“, wie sie Tom Petty in „The Last DJ“ nennt. Und da wir diese ja nun besiegt hätten und es überall billigst DRM-freie Musik zum legalen Download gäbe, sei Klauen, auch in digitaler Form, eigentlich pfui.

So was trifft mich, schließlich schreibe ich Bücher und beziehe dafür auch Tantiemen. Gewissen und professionelle Selbstachtung mahnen zur Solidarität, also nahm ich mir die Angelegenheit zu Herzen und erwerbe seither meine Downloads im iStore, oder wie das Dingens heisst.

So etwas kann einem das warme Gefühl geben, wieder einmal das Richtige zu tun und damit im Einklang mit sich und der Welt im Hier und Jetzt zu sein.

Wenn es denn so einfach wäre.

Ich habe einen eklektischen Geschmack und stehe auf die Steve Miller Band, ein kalifornischer Haufen aus den späten Sechzigern, der eine Reihe von klassischen Pop-Rock-Gasssenhauern – egal, ich muss hier nicht meinen Musikgeschmack argumentieren. Ich will also eine bestimmte LP von denen erwerben.

Mein iTunes Store hat diese LP nicht. Er hat zwar jede Menge von der Steve Miller Band, aber just das, was ich will, hat er nicht. Und Amazon hat es auch nicht im Download.

Tante Gurgel, die allwissende Müllhalde, die ich daraufhin mit „Steve Miller Band“ und dem Titel der LP sowie dem magischen Wort „download“ füttere, belehrt mich, dass es diese LP sehr wohl als Download gibt, bei iTunes ebenso wie bei Amazon. Nur,  wie ich nach wenigen Klicks erfahren darf, nur in den USA. „This title is not available in your country“. Nicht mal „leider“ steht dort. Und eine Begründung schon gar nicht. Schmecks.

Ich habe eine volle Woche damit verbracht, diese „§$%&/()! LP legal per Download zu erwerben, aber das einzige, was ich fand, war ein obskurer Website, der als Impressum nur einen .ru-eMail-Kontakt anbot, dafür aber nicht einmal Paypal hatte, dort wollte ich meine Kreditkartendetails dann doch nicht lassen. Und das war’s dann. Gegen 39 Eumels bot mir Amazon eine echte LP an (vielleicht zum selber digitalisieren, per Audacity?) und für 29 Eumels eine CD, Lieferzeit irgendwann. Nein, das war es nicht, was ich wollte. *grmbl*

Heute Nachmittag habe ich entnervt BitTorrent angeworfen und innerhalb von zehn Minuten das gewünschte auf die Festplatte bekomme, in 320Kbps-Qualität und ohne weitere Probleme.  Und natürlich für lau.

Lieber Herr Steve Miller (den gibt’s, der heißt tatsächlich so), Sie sollten mal mit Ihrem Management reden, die haben offenbar bis heute nicht wirklich gerafft, was tatsächlich abgeht.

Oder so ähnlich.

Und denen von wired magazine sollte man eigentlich auch ein erbostes Lesermail schreiben, allerdings ist das jetzt auch schon wieder eine Weile her, außerdem „Who Wants Yesterday’s Papers?“ Also wird man auch das bleiben lassen.

Und wieder nix mit gutem Gefühl und Einklang mit dem Karma.

Aber warum es der Musikindustrie nicht so gut geht, das ist mir schon klar.

 

Willkommen in Felsőr oder Warum das mit den Kärntnern so ist, wie es ist.

Felsőr ist der ungarische Name für Oberwart im Burgenland. So etwas erfährt man allerdings nur, wenn man dort hinfährt, denn es steht auf den zweisprachigen Ortstafeln. Denen von Oberwart. Und weil da sonst niemand ein Aufheben davon macht, wird das auch normalerweise nicht erwähnt, so dass man es eben nur erfährt, wenn man dort auch hinfährt.

Und wer, bitte, fährt schon nach Oberwart im Burgenland?

Ich, vor ein paar Monaten, um mich dort im Krankenhaus einer Niere zu entledigen, die man als irgendwie kaputt identifiziert hat. Und weil mein Arzt und guter Freund im steirischen Hartberg lebt, das gleich über der Landesgrenze auf der steirischen Seite liegt, und der kennt den Primar am benachbarten Landeskrankenhaus … so kommt ein Wiener nach Felsőr.

Die Bewohner von Oberwart/Felsőr mögen mir verzeihen, ihre ist eine hübsche Stadt, und in Wirklichkeit sogar dreisprachig, weil die burgenländischen Kroaten dort auch sind, zumindest war es mein Bettnachbar, da konnte ich gleich meine Kenntnisse von naš jezik, meinem kümmerlichen Serbokroatisch, ausprobieren.

Außerdem, und alleine dafür gehört Oberwart/Felsőr hiermit vor den Vorhang gebeten, schaffen sie seit mehr als dreißig Jahren etwas, was man in Kärnten, selbes Land, nämlich Österreich, aber keine zweihundert Kilometer weiter südlich, bis heute nicht auf die Reihe bekommt: Das friedliche Nebeneinander verschiedener Sprachkulturen, komplett mit Ortstafeln und Wegbeschriftungen.

Nun ist es aber einmal so, dass die beste aller Ehefrauen aus Kärnten kommt, somit komme ich nicht umhin, mich mit diesem Thema auseinander zu setzen.

Und immer wieder werde ich von meinen Freunden gefragt (so diese selbst keine Kärntner sind): „Sag’ einmal, wie hältst Du es dort aus?“  Sehr beliebt als Kommentar, wenn ich meinen Aufenthalt im südlichsten Bundesland Österreichs bekannt gebe, ist auch: „Also das in Kärnten, das verstehe ich einfach nicht.“

Hinzugekommen zum klassischen Ortstafelthema ist in jüngster Zeit die Thematik der Hypo Alpe Adria, jener biederen Provinzbank, die sich vor ein paar Jahren plötzlich einbildete, sie müsse jetzt bei den Großen mitspielen, was bekanntlich in einem Desaster endete und die Republik mehrere Milliarden Geld gekostet hat. Was zur Beliebtheit der Kärntner nicht beigetragen hat, komplett mit all dem, was man jetzt so um Jörg Haider ausgräbt, im Zuge der Ermittlungen, wie es so schön heißt. Und schon wird in allen Medien die Kärntner Seele beschworen, was immer das denn auch sein mag.  Doch davon später.

Ich füge, wenn ich bekannt gebe, unser Wohnsitz in Österreich werde in Zukunft in Kärnten sein, immer hinzu, „aber bei den Windischen, in Unterkärnten“, was zumindest bei der Mehrheit meiner Freunde zu deutlich erleichtertem Aufatmen führt, aber das erklärt jetzt auch nicht, wieso das mit den Kärntnern so ist, wie es ist.

Ich glaube, man muss das in mehrere Teilbereiche zerlegen.

Wer mich kennt, weiß dass jetzt ein historischer Diskurs folgen muss. Keine Angst, er wird nicht lange, aber es ist nun einmal ein Faktum, dass auf dem Gebiet, das wir heute als Bundesland Kärnten kennen, seit mehr als viertausend Jahre Menschen leben. Und natürlich haben sich die Grenzen dieses „Kärnten“ in dieser Zeit mehrfach verschoben.

Vielleicht sollte man erwähnen, dass es – bis auf die letzten zweihundert Jahre – dabei immer völlig wurscht war, was für eine Sprache gesprochen wurde. Und das mit der Nation – alles später.

Erstmal kommen die Römer, die kommen in Europa fast immer, da finden sie schon das blühende keltische Königreich der Noriker vor, mit dem Hauptort auf dem Magdalensberg, und einer Ausdehnung im Norden bis an die Donau, und im Süden bis  an die Adria, schließlich trieb man nachweislich mit den Etruskern Handel.

In österreichischen Lesebüchern, vor allem denen der zweiten Republik, wird dieses keltische Königreich Norikum gerne als die Keimzelle Österreichs bezeichnet, wenn man so will, sind also die Kärntner die ersten Österreicher, das lässt eine Reihe von Schlüssen zu, die verschieben wir jetzt auch auf später.

Erst kommen noch die Germanen, und dann die Slawen. Das hat ganz allgemein mit der Völkerwanderung zu tun, wie wir aus der Schule wissen, und führte zum Untergang des römischen Reiches, der Gote Odoaker setzt 476 nach Christus den letzen römischen Kaiser ab, das war’s. (Im Osten geht die Sache noch mal tausend Jahre weiter, bis zum Fall von Konstantinopel, aber was Kärnten betrifft, ist das wurscht.)

Besagte Völkerwanderung spült nicht nur die Germanen nach Mittel- und Südeuropa, sondern kurz darauf auch die Slawen, die – ihrerseits von den Awaren aus dem Osten bedrängt – um 600 die Drau entlang nach Westen vorstoßen. Bei Lienz bekommen sie 610 von den Bayern, die ihrerseits das Pustertal heraufziehen, ordentlich eins drauf, das stoppt den slawischen Expansionsdrang. Und im Süden ist es auch nicht besser, da bekommen die Slawen von den Langobarden im Friaul Saures.

Und schon ist unser historisches Sittenbild fertig: Deutsch aus dem Westen, Italienisch (na ja, was man in Udine so dafür hält) aus dem Südwesten, und Slowenisch aus dem Südosten, Kreuzungspunkt ist Kärnten – da hat sich bis heute nicht viel daran geändert.

Die Slawen jedenfalls, in ihrem Expansionsdrang nach Westen und Süden gestoppt, siedeln sich in den fruchtbaren Tälern von Drau, Mur und Save an und bilden mit der keltoromanischen Bevölkerung, ein neue Einheit: Das slawische Fürstentum Karantanien. Zentrum war das Zollfeld, wo auch der berühmte Fürstenstein steht, die umgedrehte Basis einer römischen Säule, auf der die jeweiligen Herrscher rituell eingesetzt wurden.

Dieser Brauch wird auch von den Bayern übernommen, die hundert Jahre später die Slawen im südöstlichen Europa missionieren, man darf annehmen, dass das alles nicht sehr friedlich von Statten ging, hundert Jahre später jedenfalls gehört Karantanien zu Bayern. Und noch einmal hundert Jahre später besiegt Karl der Große die Bayern und kassiert bei der Gelegenheit auch Karantanien. Der Name gefällt ihm, das mit dem Herzogstuhl auch, also errichtet er die Mark Karantanien, die reicht im Süden bis Spoleto und umfasst auch die Lombardei, dazu gehören noch Bayern sowie die Gebiete des ehemaligen Norikum bis zur Donau und sogar darüber hinaus.

So gesehen haben die Kärntner eine mächtige Geschichte. Doch die war nicht sehr nett mit ihnen, denn aus der Mark Karantanien wurde später die Steiermark, und auch der Rest kam bald wieder abhanden, so dass die Habsburger schließlich, gegen Ende des Mittelalters, ein stark geschrumpftes Kärnten übernehmen. Als feine Ironie der Geschichte bekommen die Habsburger Kärnten vom Kaiser Ludwig IV, der bayerische Wittelsbacher träumt von einer Erbkaiserwürde für Bayern, legt aber mit dem Lehen die Basis für Macht des Hauses Habsburg im nächsten halben Jahrtausend und den gleichzeitigen Niedergang Bayerns als Kolonialmacht in Südosteuropa.

Genug Geschichte. Jedenfalls lernen wir daraus, dass Kärnten, seitdem das slawische Herzogtum Karantanien von bayerischen Kriegsmissionaren überrannt wurde, stets fremddefiniert war. Die lange Kette fränkischer Könige nach Karl dem Großen vergab Kärnten immer wieder an andere Herrscher als Lehen, schon 1270 wird mit Graf Ulrich von Heunburg zum ersten Mal ein Kärntner Landeshauptmann berufen, da kann sich Onkel Pröll noch was abschneiden.

Na ja, egal. Wichtiger ist die Erkenntnis, dass es – man wäre geneigt zu sagen, selbstverständlich – auch immer lokale Aufstände gegen die diversen Fremdherrschaften in Kärnten gegeben hat, man erspare mir hier die Aufzählungen. Aus jener Zeit stammt etwa die Beziehung zur fränkischen Stadt Bamberg: Das erst 1007 gegründete Bistum Bamberg erhielt von diversen Frankenkönigen reichhaltige Besitztümer im heutigen Kärnten, wohl auch, weil man so versuchte, die Bildung einer selbständigen Erbherrschaft im Herzogtum zu verhindern.

Und das wäre in meinen Augen die erste Lektion: Kärnten hat eine tausendjährige Geschichte der Rebellion gegen eine Herrschaft von „außen“, wie immer man das jetzt definieren mag. Und es stimmt schon: Das habsburgische Kernland umfasste schließlich die ewig kaisertreuen Tiroler, die entweder den Bayern oder den böhmischen Pšemisliden abgenommenen Länder ober und nieder der Enns, die Steiermark und eben das ewig rebellische Herzogtum Kärnten.

Und das war, und das wäre Lektion zwei, grundsätzlich nicht „deutschsprachig“, wobei man da jetzt streiten kann, wie weit. Denn damals gab es den Begriff der Nation nicht, wichtig war allenfalls der Stand, Herrschaftssprache im Mittelalter war sowieso Lateinisch, und was für eine Sprache der jeweilige Bauer irgendwo sprach, war sowas von egal. Wobei hier gleich mit dem Idealbild des „Multikulti im Mittelalter“ aufgeräumt werden muss, denn die einzelnen Volksgruppen lebten nebeneinander, ohne sich zu vermischen.

Und jetzt müssen wir leider noch einmal die Geschichte bemühen, in Form der französischen Revolution, denn diese erfindet die Nation, diese neue Idee von „ein Volk, ein Staat“, das irgendwie zwingend mit „einer Kultur und einer Sprache“ zusammenhängt. Im zentralistischen Frankreich ließ sich das auch noch relativ einfach umsetzen (obwohl die Korsen das bis heute noch nicht ganz eingesehen haben), aber dort, wo sich die Deutschen mit den Slawen vermischen, in einem breiten Gürtel von der Ostsee herunter bis zur Adria, hat das in den vergangenen zweihundert Jahren zu großen Problemen geführt. Weil mit dem nebeneinander auf ein und demselben Territorium, damit war jetzt nix mehr, weil die Parole „ein Volk“ nicht nur zu „einer Sprache“, sondern auch zu „ein Land“ führt, so kommt Europa zu seinen Nationalstaaten.

Nur die Habsburger haben in den letzten hundert Jahren ihrer Regentschaft dieses Nationenprinzip wütend bekämpft, weil es implizit den gleichzeitigen Zerfall des vielsprachigen und damit polykulturellen Habsburgerreichs bedeutete. Und konsequenterweise haben die Siegermächte im Ersten Weltkrieg – allesamt Nationalstaaten – dafür gesorgt, dass genau das passiert ist.

Und die gemischtsprachigen oder, wenn man so will, gemischt kulturellen Gebiete, wurden dabei halt dem einen oder anderen Volk zugeschlagen. Und weil Deutschland, und damit „die Deutschen“ gerade besiegt worden waren und so nicht mit fürchterlich viel Sympathie rechnen durften, wurden gemischtsprachige Gebiete im Zweifelsfalle immer dem neuen Nationalstaat zugeschlagen.

Nur im Gebiet des heutigen Kärnten ist das Konzept nicht aufgegangen, der Rest zählt zum österreichischen Nationalmythos, über den, ganz besonders in Kärnten, keine Witze gemacht werden dürfen, und schon gar keine Fragen gestellt.

Im Abstimmungsgebiet waren aber, laut letzter amtlicher Feststellung der k.k.Verwaltung von 1911, rund 70 Prozent der Bevölkerung slowenisch, trotzdem stimmten, bei einer hohen Wahlbeteiligung, 59,04 der Wahlberechtigten für den Verbleib bei Österreich. Warum sie das getan haben, ist bis heute eines der ganz großen Enigmen, ich habe darauf keine Antwort, nur Vermutungen.

Vielleicht waren sie dem altvertrauten Karantanien, ihrem Koroška, einfach näher als dem diffusen neuen „Königreich der Serben und Kroaten“, in dessen Namen die Slowenen erst einmal gar nicht vorkamen. Vielleicht waren sie auch einfach konservative Bauern, die mit der neumodischen Idee einer slowenischen Nation, die von den jungen Stadtfräcken aus Laibach, mit nicht sehr viel Verständnis für das Kärntner Landleben, verkündet wurden, nichts anzufangen wussten oder damit nichts zu tun haben wollten. Wir werden es wahrscheinlich nie erfahren, und Gespräche darüber sind, bislang zumindest, in diesem Land tabu, ich habe jedenfalls noch kein ernsthaftes führen können, weder mit windischen noch mit deutschen Kärntnern.

Den Windischen, wie deutsche Kärntner ihre slowenischen Landsleute nennen (das alte mittelhochdeutsche Wort für Fremde, auch als Welsche oder Walser bekannt), hat ihr Bekenntnis zu Österreich nix gebracht.  Entweder fielen sie dem Assimilationsdruck zum Opfer oder den Nazis, die sie offen verfolgten und deportierten. Von den über siebzig Prozent im damaligen Abstimmungsgebiet sind es heute, je nach Lesart, nur mehr zwei bis fünfzehn Prozent, der Streit ist noch anhängig.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ging es anderen Minderheiten in ähnlichen Situationen auch nicht besser. Von der Vertreibung der deutschsprachigen Minderheit aus der Südsteiermark weiß man eher weniger, wohl weil es auch nicht so viele waren, aber nähere Recherchen ergeben, dass es ihnen nicht besser ging, im Gegenteil. Und was die Spannungen zwischen Slowenen und Italiener betrifft, so liegt es wohl daran, dass weder Slowenisch noch der harte friulanische Dialekt zum Sprachschatz der Österreicher gehören. Taucht man dennoch etwas ein in die Geschichte, so kommen lauter unerfreuliche Dinge zum Vorschein. Zum Beispiel die Geschichte von der zugemauerten Höhle im slowenischen Istrien, in der man über zweihundert Leichen fand, alle mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen. Aber das ist keine Entschuldigung.

Es ist auch keine Entschuldigung, anzuführen, dass die Irredentisten im slowenischen Parlament, einem außerordentlich hässlichen Gebäude in Laibach, mindestens ebenso übel sind wie die Mitglieder des Kärntner Heimatbundes. So gab es einen Antrag zu einer Resolution (sie ging nicht durch), im Zuge der neu gewonnen Eigenstaatlichkeit erneut einen politischen Anspruch auf die ehemals slowenischsprachigen Gebiete in Kärnten zu erheben. Man kann das als pubertäres Gedöns eines jungen Staates abtun, man kann es aber auch als das nehmen, was es ist, nämlich brauner Gestank. Halt von der Maschikseite. Ändert aber nichts an der Braunheit.

Bei der Volksabstimmung über den Vertrag mit Kroatien über die Beilegung des Konflikts über die Bucht von Piran, die im Sommer 2010 über die Bühne ging, fielen Sätze, die nur deshalb keiner kennt, weil wir ja alle nicht Slowenisch können. Zum Beispiel der: „Jetzt haben wir vor hundert Jahren um ein paar Stimmen Kärnten verloren, und vor fünfzig Jahren um ein paar Stimmen Triest – wenn wir jetzt nachgeben, verlieren wir auch noch den Zugang zu unserem Meer“. Er hat tatsächlich naše more gesagt, sein Name sei hier schamhaft verschwiegen, ich will solchen Leuten keine Öffentlichkeit bieten, nicht einmal in meinem Blog.

Dazu kommt, dass die Slowenen im ganzen ehemaligen Jugoslawien ziemlich unbeliebt sind. Ich weiß das, ich lebe dort, und so gut ist mein Serbokratisch schon, dass mir das auffällt. Sie galten schon im alten Jugoslawien als besserwisserisch, überheblich und eingebildet, sie selbst sehen sich gerne als Musterknaben, wer’s nicht glaubt, der lese den Wikipediaeintrag zu Slowenien.

Vielleicht sollte man noch erwähnen, dass es knapp zwei Millionen Einwohner der Republik Slowenien gibt, aber nur 559.404 Einwohner des Bundeslandes Kärnten, soviel zu Kärnten deutsch und ungeteilt, aber vielleicht meinen sie mit Kärnten nicht Karantanien oder Koroška, so genau muss ich das jetzt nicht wissen.

Dann gibt es auch noch einen (Kärntner) Landeshauptmann, der so strunzdumm ist, dass er nicht gleichzeitig gehen und Kaugummi kauen kann (beobachten Sie ihn einmal, wenn er stehen bleibt, dann fängt er gerne wieder zu kauen an). Der verbreitet dann so Schwachsinn wie die Kärntner Bevölkerung sei besorgt über das Wiederaufflammen der so genannten Ortstafeldiskussion. Die Kärntner sind über viele Dinge besorgt, zum Beispiel über ihre Schulden (jeder Wiener hat Schulden von 1500 Euro, jeder Kärntner von 6500 Euro, wenn man die jeweilige Landesschuld auf die Bevölkerung umlegt), zum Beispiel, oder über ihre Jobs (im August 2010 lag die gesamtösterreichische Abeitslosenquote bei 5,9 Prozent, in Kärnten bei 6,6), aber die Ortstafeln von Bleiburg oder Ebersdorf sind ihnen ziemlich egal.

Derselbe Landeshauptmann entblödete sich diesen Sommer auch nicht, im ORF zu behaupten, in den 70er Jahren hätte es konkrete jugoslawische Pläne zur Besetzung Unterkärntens gegeben, und nur das Verhandlungsgeschick des damaligen Kanzler Kreisky bei Marschall Tito persönlich habe Schlimmeres verhindert.

Das hat er tatsächlich gesagt. Ernsthaft. In Radio Kärnten.

Meine kroatischen Freunde sind, als ich es ihnen erzählt habe, vor Lachen fast gestorben. Jugoslawien hätte, so meinten sie dann, nachdem sie sich wieder erholt hatten, nie – niemals – für einen obskuren Sprachenstreit der höchst unbeliebten Slowenen irgendetwas riskiert, schon gar nicht so was. Aber in Kärnten kann man mit so was heute noch Politik machen.

Ach ja, die Kärntner Seele, wir wollten doch eingangs die Frage nach ihr stellen. Bislang haben wir folgende Teilergebnisse:

Erstens: Die Kärntner Seele besteht aus einem deutschen und einem slowenischen Teil. Das ist zwar historisch fundiert, dennoch leugnet jeweils die eine Volksgruppe die Existenz der anderen. Besonders hübsches Beispiel: Auf den ersten Tolarnoten des neuen Staates Slowenien gab es eine Abbildung des (eingangs erwähnten) Herzogstuhls. Teilweise verstehen die Slowenen die darauf folgende Aufregung in Kärnten bis heute nicht. In der Zwischenzeit haben sie eh’ den Euro, damit ist das Thema wieder vom Tisch.

Zweitens: Die Kärntner Seele ist traditionell rebellisch und der fernen Zentralgewalt gegenüber (in diesem Fall Wien) eher feindlich gesinnt.

Drittens ist etwas komplexer: Kärnten war einmal ein sehr reiches Land, der Bergbau, zum Beispiel, machte im Hochmittelalter aus Friesach die wichtigste Stadt zwischen Wien und Venedig, der silberne Friesacher Pfennig war Jahrhunderte lang eine hochsolide Währung. Wer genau schaut, vor allem in der Architektur von Städten wie St. Veit oder Völkermarkt, der kann auch heute noch Spuren davon finden, aber grosso modo ist Kärnten heute ein armes Land, der Bergbau und die damit verbundene Eisenindustrie des Vormärz von der Industrialisierung hinweggefegt. Ich habe einen Freund aus Friesach, er ist etwas jünger als ich, wenn ich dem das mit dem Pfennig erzähle, schüttelt er nur den Kopf. Heute sei seine Heimatstadt, meint er, so perspektivlos wie eine Sandmanufaktur in der Sahara, er selbst habe am Tag nach seiner Matura seine Heimatstadt fluchtartig verlassen und es seither nicht ein einziges Mal bereut.

Solche Sätze kann man oft hören, von Kärntnern, die nicht (mehr) in Kärnten leben. Und so leiten wir das dritte Ergebnis über die Kärntner Seele ab: Sie hat einen Minderwertigkeitskomplex. Und zwar einen doppelten: Einerseits den aller Österreicher („Wir waren einmal groß und mächtig, heute sind wir die Wurstel Mitteleuropas“) und andererseits noch einmal speziell als Kärntner (Sie erinnern sich: von Mailand und Bamberg bis Wien und Ungarn, Kärnten als Mittelpunkt der Welt). Und dieser doppelte Minderwertigkeitskomplex ist es, der uns direkt zum nächsten Thema führt, das ich ebenfalls schon zu Eingang angeführt habe: Der Murks um die Hypo Alpe Adria.

Nur so ist zu verstehen, warum eine kleine, unbedeutende Provinzbank, deren primäre Aufgabe die ordentliche Abwicklung des Landesbudgets war sowie die unspektakuläre Vergabe von Hypothekarkrediten im lokalen Bereich, eines Tages plötzlich hypertroph zu wachsen begann wie ein Krebsgeschwür, in fünf Jahren ihre Bilanzsumme verdreissigfachte (sic!) und mit einem protzigen Neubau der Klagenfurter Zentrale sozusagen auch architektonisch verkündete, man wolle jetzt bei den großen Buben mitspielen. Und – das ist der springende Punkt – keiner hat dagegen protestiert. Niemand. Es fanden vielleicht nicht alle so schlau, aber gesagt hat das keiner öffentlich. Im Gegenteil, die Politik in Form von Landeshauptmann Haider jubilierte und fand, endlich habe Kärnten wieder einen Teil jener Größe zurückbekommen („Wir sind ab heute reich“), die ihm historisch seit je her (oder zumindest seit Karl dem Großen, was ja fast dasselbe ist), zustünde.

In Wirklichkeit haben sich unsere biederen Bauernbuben auf dem Balkan über den Tisch ziehen lassen, und wenn nur die Hälfte der Geschichten stimmt, die man sich in Kroatien und Montenegro über die Hypo erzählt, dann waren sie noch viel dümmer, als wir es uns in unseren ärgsten Albträumen vorgestellt hatten.

Ganz erklärt ist dieses Phänomen dieser abartigen provinziellen Dummheit, gepaart mit spießiger Großmannssucht, noch nicht ganz durch diesen Minderwertigkeitskomplex, aber es ist ein erster Ansatz. Erweiternd könnte man noch ein wenig altmodischen Neid sowie den „Das-wollen-wir-auch-einmal-dürfen“-Komplex hinzufügen oder das, was ich das Velden-Pörtschach-Syndrom nenne.

Nämlich: Seit der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts macht die große Welt Sommerferien in Kärnten, genauer gesagt am Wörther See. Sie sind zwar nicht so prunkvoll und auch nicht so zahlreich wie ihre Verwandten am Comer See, am Lac Leman oder am Zürisee, aber sie stammen aus derselben Zeit, die feudalen Villen des Großbürgertums, das so seinen neu erworbenen Reichtum auch zur Schau stellen wollte, wie das Walter Benjamin so treffend analysiert hat. Ich will jetzt keine Diskussion darüber auslösen, wie reich die Sommergäste in Velden und Pörtschach heute tatsächlich sind, und wie viel von dem ganzen Talmi nur Staffage für das Trauerspiel Wörthersee ist und wie viel tatsächlich mit Geld hinterlegt. Schließlich sitzt hier die Flick-Stiftung, und gleichzeitig ist das Schlosshotel Velden gerade wieder einmal – halt, nein, es gehört ja jetzt der Hypo Alpe Adria. Und sucht einen neuen Besitzer. Sei’s drum, eine Wohnung beim Werzer in Velden steht derzeit mit 1,3 Mio Euro zum Verkauf an. Und das ist dann auch nur eine doofe Ferienwohnung in Österreich: Es ist schon noch immer so, dass dem kleinen Kärntner Bauernbuben bei seinem Ferienjob in Pörtschach oder Krumpendorf die Augen herausfallen, wenn er sieht, wie viel Geld andere Leute tatsächlich haben können. Und mit wie viel Macht das dann verbunden ist.

Von dort bis zu der Erkenntnis: Das will ich auch haben, ist es nicht so weit, wie manche denken mögen, und in der provinziellen Einfältigkeit kann es schon einmal passieren, dass so ein Bub glaubt, wenn er nur gut aussehen und einen dicken Wagen fahren kann, dann sei das schon die halbe Miete auf dem Weg zu Reichtum und Ruhm. Sie kennen die Geschichte vom Buben eines Veldener Autohändler, der recht fesch war und dann viel ererbtes Geld geheiratet hat, nachdem er kurz Finanzminister … lassen wir das, die Verfahren sind anhängig, sonst werde ich noch geklagt. Aber eine Zeit lang hat diese Kärntner Provinzfeschheit, dieses leicht schmierige, braungebrannte Blonde, dieses Vorstadtstrizzi-auf-dummdreister-Bauernbub irgendwo zwischen sportlich und blöd, sogar Einzug in die gesamt­österreichische Politik gefunden.

Das hat weniger mit Kärnten zu tun und mehr mit Jörg Haider, der bekanntlich aus Oberösterreich stammt und sich nur dort niedergelassen hat, wo er die besten Bedingungen für seine Art der populistischen Politik fand. Inzwischen ist die Blase geplatzt, die Sonne vom Himmel gefallen, die Kärntner sind im Rest von Österreich deutlich unbeliebter als vorher, und die Kärntner Seele hat eine weitere Schramme.

Ich will mich jetzt nicht zum Phänomen Haider äußern, das sollen Befugtere machen und tun es auch, wir gewinnen dafür die nächste Erkenntnis zur Kärnter Seele: Sie ist der tiefen Überzeugung, dass Kärnten und den Kärntnern in dieser Welt nur Ungerechtigkeit widerfährt. So wie in „Wir sind für die Anderen immer nur die Dummen“. Das könnte jetzt auch anders herum interpretiert werden, aber Sie verstehen schon, was ich meine. In Wien nennt man das „ang’rührt“: Die Kärnter Seele ist leicht ang’rührt und kommt gerne zu kurz. Oder so ähnlich. Ein Engländer würde jetzt sagen: They carry a chip on both their shoulders. Aber Englisch kann er ja nicht, unser Landeshauptmann. Macht nix, der deutsche Außenminister auch nicht. (Igler, du schweifst ab. Ja, Frau Chefin.) Also: Ang’rührt.

Die Mischung klingt ziemlich spießig, und das ist sie auch. Die Nazis, diese Inkarnation des wild gewordenen Kleinbürgertums, fanden bei den deutschen Kärntnern denn auch fruchtbaren Boden, es hat keinen Sinn, es zu leugnen, und genau so wie im Rest des Landes wird auch hier dieser Teil der Vergangenheit nicht aufgearbeitet. Wozu auch, is’ eh’ oll’s supa, ned?

Das klingt böse? Das soll es auch.

Natürlich sind nicht alle Kärntner so. Viele unserer Kärntner Freunde stehen ebenso fassungslos wie unsereiner vor dieser aus dem Ruder gelaufenen Provinzposse. Das heimtückische dabei ist ja, dass Kärnten ein von Gott speziell mit Schönheit gesegnetes Fleckchen Erde ist und die Kärntner an und für sich irrsinnig nette Menschen sind; ich kann gut verstehen, wie man als Kärntner feuchte Augen bekommen kann, wenn man an seine Heimat denkt. Und dass es ganz schwer ist, die Grenze zwischen volkstümlich und volkstümelnd zu ziehen.

Und natürlich haben uns die Bauern, ob windisch oder nicht, hier alle ganz herzlich willkommen geheißen, haben uns geholfen mit Rat und Tat, uns hilflosen Stadtmenschen im Kärntner Unterland, ich kann über die Menschen hier nur Gutes sagen, sie sind alle ganz freundlich, und keiner nimmt mir meinen Wiener Zungenschlag übel, oder meine kroatischen Nummerntaferln am Auto.

Ach ja, die Kärntner Seele? Na, so wie die aller anderen Österreicher. Nur noch ein bisserl mehr so. Irgendwo zwischen gemütlich und hinterfotzig, halt. Aber das wussten wir ja schon vorher, oder?

Von Avatar, Thoreau und Locke

Ich war mir heute mit Tochter, Sohn und Schwiegertochter Avatar anschauen, den neuen Film von David Cameron.

Wenn Sie diese Zeilen lesen und den Film noch nicht gesehen haben – hören Sie auf zu lesen, gehen Sie sich den Film anschauen, kommen Sie wieder. Es lohnt sich. Nein, nicht wegen meiner Schreibe, sondern wegen des Films. Er ist durchaus sehenswert.

Die Technik, sowohl die dreidimensionale Darstellung als auch die ganze computergenerierte Szenerie, ist genial.

Ansonst ist der Film ein einziges großes Klischee, oder auch Hollywood at it’s Best und gleichzeitig at it’s Worst. Anders kann ich das jetzt erstmal leider nicht ausdrücken.

Oder doch? Man könnte auch schreiben, Avatar ist ein klassischer Hollywoodschinken, denn selbstverständlich gewinnen die Guten. Verblüffend ist nur, wer am Ende als „die Guten“ dasteht.

Und immer wieder: Ganz tief in die Mottenkiste gegriffen, die übelsten Klischees herausgeholt. Aber auch die schönsten Vorstellungen.

Die fliegenden Berge, zum Beispiel: In zahllosen Comics habe ich die schon gesehen, aber so schön hätte ich sie mir in Natura nicht vorgestellt.

Was mich verblüfft ist, wie tief muss das Trauma der Amerikaner darüber sitzen, dass sie den Aufstieg ihres schönen Landes mit dem Blut und letztlich dem Tod der meisten Ureinwohner erkauft haben, dass sie a) so einen Film machen und ihn b) ansatzlos zum bisher größten Boxoffice-Erfolg werden lassen. Ziemlich tief, wenn Sie mich fragen.

Mein Sohn nannte den Film eine Version von Der mit dem Wolf tanzt auf Drogen, mir fiel dazu eher They Called Him Horse ein, wobei auch hier: Auf schweren Halluzinogenen. Aber vielleicht sind das auch die Zeiten,  dass sich an der Optik keiner stört. Er hat auch was von George Segal, wenn er für die entrechteten Innuit kämpft. Und von ungefähr weiteren 50 Filmen ähnlicher Bau- und Machart.

Außerdem ist da noch jede Menge Pocahontas drinnen, auch die Vorstellung von Arkadien schimmern durch, wenn man will, auch der Herr Beuys, über der Steppe abgeschossen und vom einheimischen Schamanen gerettet, komplett mit Fett und Tierhäuten. Welches Klischee wollen Sie noch? Man könnte ein Preisausschreiben machen: Wer findet die meisten?

Nachdenklich macht ein Satz des Hauptdarsteller in seinem Videoblog: „Wir haben nichts, was wir ihnen anbieten könnten. Sie wollen einfach nichts von uns.“ Vielleicht hätten sich die Verantwortlichen das vor Irak und Afghanistan auch sagen sollen. Oder schon vor Vietnam. Na ja, dafür dürfen sie sich jetzt in Haiti in Nation Building üben. Dabei werden höchstwahrscheinlich diverse déja-vu-Erlebnisse eintreten, denn das in Haiti ging ja schon mehrfach schief.

Es ist ja nicht so, dass die Amis das immer ganz schlecht machen. Schließlich haben sie mitgeholfen, Herrn Schickelgruber zu entsorgen, und ja, zusammen mit den Franzosen sind die wohl auch das Zweigestirn der bürgerlichen Revolution. Aber keine Angst, das haben die Franzosen auch nie wirklich verstanden, also sind sie da in bester Gesellschaft.

Henry David Thoreau würde sich über Avatar sicher sehr freuen, es ist schade, dass Thoreau in Weißen Haus und im Pentagon in letzter Zeit offenbar selten gelesen wurde. Oder auch Thomas Jefferson, immerhin dritter Präsident der neuen Republik, maßgeblicher Autor der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, wobei sich Jefferson dabei ausdrücklich auf den Philosophen John Locke und dessen Widerstandsrecht berief.

Locke, Hobbes, Hume – so wie ich David Cameron einschätze, hat er sie alle gelesen, Jefferson zählt in den USA sowieso zur Grundausbildung, und Thoreau zwar nicht, aber der Perfektionist Cameron kennt ihn sicher auch. Und es sind beileibe nicht alles klassische „Linke“ im europäischen Sinne. Zumindest Jefferson ist es sicher nicht, seine republikanischen Vorstellungen vom Staat prägen bis heute die Grand Old Party, also die Partei Reagans, Schwarzeneggers und der Familie Bush. Und auch Thoreau würde sich bei der überwiegenden Mehrheit klassischer europäischer linker Gedanken wohl eher mit Grausen abwenden. Und auf Locke hat sich dereinst Maggie Thatcher berufen.

Hollywood mixt aus all diesen Dingen einen genialen Cocktail. Und worüber regt sich die Öffentlichkeit in den USA auf? Darüber, dass Avatar das Konzept des Nation Building gekonnt ad absurdum führt? (Wir haben nichts, was sie von uns wollen könnten.) Oder darüber, dass die Kavallerie hier die Bösen spielen muss? Über Mord und Totschlag?

Nein. Die Leute regen sich darüber auf, dass Sigurney Weaver als verrückte Wissenschaftlerin raucht. Öffentlich. Im Film. Das gebe ein schlechtes Beispiel.

Sie sind schon ein sehr seltsames Volk, die Amis.

Aber was der Mann, der die Szenerie entworfen hat, zum Rauchen bekommen hat – das will ich auch probieren.

Warum das mit den Daten so kompliziert ist oder Real Men Don’t Do Backups. They Just Cry.

Heute Vormittag – ich sitze gerade an der Tastatur und arbeite still und bescheiden vor mich hin – stürmt die beste aller Ehefrauen, sichtlich erbost, in mein Arbeitszimmer und hält mir anklagend ihr Mobiltelefon hin. Es sei, so schäumt sie, eine unfassbare Frechheit des Erzeugers ihres Handys, dass besagtes Gerät Telefonnummern, die sie ganz sicher richtig eingegeben habe, einfach nicht speichere. Oder nicht mehr hergebe. Jedenfalls habe sie ganz, ganz sicher Norberts Nummer eingespeichert, und nun sei sie nicht mehr da. Oder einfach weg. Und ich sei im Hause doch der Technikexperte, und ich solle jetzt etwas tun.

Wenn Sie wissen wollen, was ich denke, fragen Sie am besten meine Frau. Also nehme ich ihr Samsung und sehe pflichtgemäß nach. Man kann dort auf die SIM speichern oder ins Gerät selber. Norbert gibt es keinen, weder noch. Computer sind furchtbar logisch und ganz emotionslos, bei Frauen ist das anders. Wer weiß, wo Norbert wirklich hingeraten ist.

„Hast Du ein Backup gemacht?

„Du weißt, dass das mit diesem Handy nicht geht, ich hab‘ kein Datenkabel.“

„Du könntest ja einfach parallel noch ein Telefonbuch auf Papier führen.“

„Nein, wozu? Ich hab’ ja mein Handy.“

*seufz*

Dabei ist die beste aller Ehefrauen da in guter Gesellschaft. Die überwiegende Mehrheit der Nutzer von digitalen Geräten hat das Konzept von Daten und deren Nutzung und wieso das bei analog anders ist als bei digital, noch nicht verstanden. Und wenn es um die Sicherung dieser Daten geht, ist es endgültig aus mit dem Verständnis.

Dass dabei der Begriff „Sicherheit“ bei digitalen Daten in distinktiv unterschiedliche Bereiche zerfällt, verwirrt dann keinen Laien mehr,  so weit kommt er erst gar nicht.

Der (damalige) Vorsitzende der deutschen Piratenpartei hat in der ZEIT 44/2009 unter anderem auch zu diesem Thema ein Interview gegeben. Jens Seipenbusch sieht überhaupt nicht wie ein Nerd aus, sagt aber recht kluge Sachen. Zum Beispiel, dass dem durchschnittlichen User völlig das Verständnis dafür fehlt, wie Daten heute gehandhabt werden.

Die Piraten sind überhaupt wert, dass man sich das genauer anhört, was sie so sagen. Die fordern ja nicht nur das freie Filesharing, obwohl sich da die Medien darauf aufhängen, sondern zuerst und vor allem die Umkehrung des Prinzips „gläserner Mensch“ zum Konzept „gläserner Staat“. Will heißen, jeder von uns sollte ein reales Problembewusstsein haben dafür, was für Daten über ihn oder sie genau wo gespeichert sind, und unter welchen Umständen sie vernetzt werden können.  Und dafür sollen auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Weil zum Beispiel die Schufa über Sie Daten sammeln kann, die die Einstellung Ihrer Bank zu Ihrer Kreditfähigkeit deutlich beeinflussen, aber Sie haben deshalb noch lange kein Recht, in diese Daten Einsicht zu nehmen und etwa allfällige – horribile dictu! – Fehler zu korrigieren.

Was würden Sie sagen, zum Beispiel, wenn Ihnen beim nächsten Bankbesuch Ihr Betreuer mitteilt, man habe Ihren Überzeihungsrahmen deutlich gekürzt? Ihr Betreuer wird etwas von Krise murmeln und Basel Zwei und dass Kreditrichtlinien jetzt strenger gehandhabt würden. Aber in Wirklichkeit hat eine Software einfach Daten über sie gesammelt. Zum Beispiel, dass Sie Ihre Gas- und Stromrechnung immer erst am letzten Stichtag oder ein paar Tage später einzahlen (weil da das Mahnprogramm nicht so schnell greift, machen wir doch alle). Daneben weiß die Software noch, dass Sie viel bei Hofer einkaufen und das noch eher billig, dass Ihre Leberwerte schlecht sind, dass Sie Steuerschulden haben und dass gegen Sie zwei Mahnklagen laufen. Dass die Steuerschulden ordentlich gestundet sind und dass Sie die Mahnklagen höchstwahrscheinlich gewinnen werden, weil sie völlig ungerechtfertigt sind, weiß es nicht, das Programm, so schlau hat es der Programmierer nicht machen können. Egal: Es reicht, Sie um eine Risikoklasse höher zu stufen, und schon ist der Überziehungsrahmen futsch.

Und sie können überhaupt nix tun. *BTDTBT*

Ja, solche Programme gibt es schon, und sie werden auch eingesetzt. Und das ist ja nur ein Beispiel dafür, wo alles Daten über uns liegen, und was man alles damit anstellen kann, Unerfreuliches. Bislang war so etwas nur Background für Hollywoodthriller, aber was nicht schon jetzt möglich ist, wird es spätestens in ein paar Jahren sein.

Es ist schon bezeichnend, dass die Grünen, die es immerhin geschafft haben, ökologische Fakten und daraus resultierende Notwendigkeiten ins politische Bewusstsein zu bringen, bei der Problematik der IT völlig versagen. Sie sind ja in Wirklichkeit doch nur arrivierte Apo-Opas, die genau so verspießern wie alle anderen auch. Oder kennen Sie einen bekennenden Nerd in einer europäischen grünen Partei? Na eben. Die deutschen Parteispitzen Claudia Roth und Cem Özdemir haben zwar im Bundestagswahlkampf fleissig getwittert, geblogt und sich auf Facebook ausgebreitet, aber auch nur deshalb, weil Barack Obama es auch so gemacht hat. „Wir müssen ins Internet.“ „Wieso?“ „Weiß ich nicht. Aber alle anderen machen es auch.“ Na bitte. Vor allem manche Twittermeldungen waren richtig süß peinlich.

Von Frau Glawischiwaschi wollen wir hier erst gar nicht reden.

Was mein Kollege Martin Blumenau vom Sender FM4 in seinem Blog, etwa hier oder hier, über das Bewusstsein in Österreich zum Thema Daten, Vernetzung und Schöne Neue Digitale Welt schim^W berichtet, kann nahtlos auf ganz Europa übertragen werden. Es herrscht absolut Null Bewusstsein (geschweige denn detaillierte Kenntnis) in der gesamten politischen Klasse darüber, was die Digitalisierung aller unserer Daten tatsächlich für unsere Gesellschaft in der näheren und weiteren Zukunft bringen wird und bringen könnte, und welche politischen Aktionen daraus resultieren sollten.

Dass sich die Nerds da zu einer eigenen Partei zusammenschließen, ist irgendwie verständlich, niemand weiß schließlich besser als sie, was wirklich abgeht. Dass sie kaum wer tatsächlich versteht (und sich alle daher am einzigen Programmpunkt, den sie zu verstehen glauben, nämlich dem Filesharing, aufhängen), steht auf einem anderen Blatt. Ungeschickt, wie Nerds nun einmal sind, bringen sie es auch nur sehr schwer rüber.

Dabei hat das Seipenbusch in seinem ZEIT-Interview wunderbar herausgearbeitet. Digitale Daten sind nämlich nicht nur überall und vernetzt, sondern auch flüchtig. So wie bei der besten aller Ehefrauen: Erst war Norbert noch da, schon ist er weg. Spurlos.

Ich weiss, die digitale Forensik kann viel, das kann man sogar studieren *staun*, aber wenn die Daten futsch sind, sind sie futsch. Zum Beispiel gelöscht und dann mit was anderem überschrieben. Oder einfach nur falsch abgespeichert.

Die alte, schon deutlich vergilbte Photographie meines Urgroßvaters wurde vor dem ersten Weltkrieg gemacht und ist damit rund hundert Jahre alt, aber abgesehen davon dass sie schwarzweiß ist, kann sie alles, was so ein Bild können muss. Was man zum Beispiel von den Bildern meiner Kinder auf meiner Festplatte nicht sagen kann. In so einer .jpg-Dateien lagern ja nur Formeln, nach denen dann das Bildprogramm erst das Bild errechnet. Das heisst, die Daten müssen nicht nur per se gesichert sein (Sie wissen ja: klassisches Datenbackup, mehrfach, physisch getrennte Träger, verschiedene Orte, mit system restore und inkrementeller history, blahfasel), ich muß auch noch das entsprechende Programm dazu mitsichern, denn wer weiß schon, wie lange der .jpg-Standard backward compatible bleibt, also ab wann man alte .jpg-Bilder nicht mehr so ohne Weiteres mit jedem Reader wird öffnen können. Und auch gleich noch das Betriebssystem, unter dem der Reader läuft. Und auch die Hardware, weil wer weiß wie lange klassische 16-bit-Software noch auf gängigen Umgebungen laufen wird.

Und das ganze auch noch hundert Jahre lang, ohne weitere Investitionen, bitte, einfach in den Kasten legen und fertig. Na, ich bin ja neugierig, was meine Erben in hundert Jahren mit meinem Stick und den darauf gespeicherten Bildern von (dann) Opa und Oma in der Kindheit anfangen werden, aber so einfach wie beim Bild von meinem Uropa selig wird’s nicht werden, das trau’ ich mich jetzt einmal zu behaupten.

Das Bewusstsein, wie flüchtig elektronische Daten sind, ist (wenn überhaupt möglich) noch geringer als jenes darüber, was mit Daten alles für Schweinereien getrieben werden können. Deshalb fordert Piratenvorsitzender Leng auch deutlich ein (ich zitier’ jetzt noch einmal aus dem Gedächtnis) „völlig neues Bewusstsein“ bei „der grossen Mehrheit der Bevölkerung“ über die tatsächliche Bedeutung von Vernetzung und damit ubiquitärem Zugriff sowie der tatsächlichen Volatilität digitaler Daten, sowohl was Missbrauch als auch Flüchtigkeit oder einfach nur menschliche Schlamperei betrifft, und was das für den demokratischen Staat im 21. Jahrhundert bedeutet.

Mmh. Sehr schön. Beeindruckt richtig ich war. Wie das zustande kommen soll, wollte oder konnte allerdings auch Herr Leng nicht sagen, vielleicht hat das auch der ZEIT-Redakteur zu fragen vergessen. Ist ja egal, so wie’s aussieht werden wir noch öfters die Gelegenheit haben, über dieses Thema nachzudenken. Und das mit dem Bewusstsein wird halt noch ein bisserl dauern.

Zum Beispiel darüber, dass es nicht ausreicht, alle Telefonnummern in seinem Mobiltelefon gespeichert zu haben, selbst wenn sie dann auch tatsächlich drin sind, weil das blöde Ding ja nicht nur verloren gehen oder geklaut werden kann, sondern auch einfach eines Tages seinen Geist aufgeben wird. (Ja, ich weiß, die Dinger leben meist viel länger als ihr marketingtechnischer Produktzyklus. Aber tragfähige Backupstrategie ist das trotzdem keine.)

Derzeit ist eher die Gegenbewegung im Gang, denn die DAU dieser Welt gehen mit ihren Daten um, als gäbe es kein Morgen. Man speichert seine Daten zur Gänze *schüttel* in irgendeiner digitalen Wolke, sprich $irgendwo auf $irgendeinem Server. Und wer da noch Zugriff drauf hat oder haben könnte, schert sowieso keinen.

Zum Beispiel die US-Regierung, wenn der Server in den USA steht, was bei iDisk & Co eher die Regel als die Ausnahme sein dürfte. Also wundern Sie sich bitte nicht, wenn bei Ihrem nächsten USA-Besuch der Beamte der Einwanderungsbehörde Sie besonders kritisch mustert, weil Sie Emails aus arabischen Ländern bekommen, zum Beispiel.

Nicht lachen: Meine Schwester ist in Ägypten verheiratet. Ihr Sohn aus erster Ehe mit einem Franzosen ist Assistent für digitale Kryptographie an der NYU und lehrt derzeit in Tokio. Fragen Sie mal den, was ihm die US-Einwanderungsbehörde, trotz EU-Pass‘, jedes Mal für Schwierigkeiten macht, und warum. (OK, der Junge ist nicht nur ein Nerd, er sieht auch noch so aus und benimmt sich auch so, aber er trägt nicht einmal einen Bart. Ägypten reicht schon. Und seine Mutter hat ihm von dort auch noch regelmäßig Geld geschickt, für’s Studium. Höchst verdächtig.)

Aber das ist den Leuten offenbar alles völlig wurscht. Dabei sind diese Cloud Computing Arrangements ja nicht einmal per se „sicher“, sprich: Die Daten können auch so einfach hops gehen. Schönes Detail am Rande: Das Unternehmen, an das Mickeysoft das Cloud Computing Service „Sidekick“ für US-Kunden des Timob ausgelagert hat, heisst Danger. Das sind die Jungs, von denen es eine Zeit lang hieß, sie hätten alle Daten ihrer Kunden einfach versenkt.  Inzwischen ist angeblich davon wieder was aufgetaucht (sprich: Der admin hat ein tape gefunden) aber ein recover bleibt weiterhin höchst fraglich (sprich: Das tape lässt sich bislang nicht initialisieren.)

Und bevor die Apple Fanboys pöppelwitzig werden: In Cupertino kann man das auch. Und zwar gleich per Betriebssystem. Wer’s nicht glaubt, kann es ja hier nachlesen.

Man könnte sich noch weiter alterieren. Zum Beispiel darüber, wie man der supranationalen Vernetzung mit supranationalen politischen Initiativen gerecht werden könnte. Oder wie man sowas in nationales Recht umsetzen könnte, und ob das überhaupt geht. Und wie weit eine Familienministerin davon überhaupt etwas verstehen muss, bevor sie bescheuerte Gesetzesanträge vorlegen darf. Zum Beispiel. Aber Onkel Schwesterwelle wird das ja jetzt alles richten, zumindest steht das so in seinem Parteiprogramm. Ach so, er kann nicht Englisch. Wurscht, muss man ja heutzutage nicht.

Ich schweife ab, ich bitte um Verzeihung, aber manchmal geht es mit mir durch.

Man könnte auch einfach darüber nachdenken, wie lange persönliche Daten im Netz gespeichert werden, zum Beispiel, und was das für Folgen haben könnte. Wer weiß schon, wie peinlich es unseren Kindern einmal sein wird, wenn sie dreißig Jahre später immer noch nachlesen können, auf wen sie mit fünfzehn soooo gestanden sind, und was da alles an scheinbaren Intimas hervorquoll. Vielleicht wird es ihnen auch nicht peinlich sein. Vielleicht wird die Gesellschaft gelernt haben, mit der digitalen Revolution ebenso umzugehen wie mit der weltweiten Veröffentlichung privater Tagebücher, wird sich neue politische, juristische und gesellschaftliche Regeln erstellt haben, um mit dem Paradigmenwechsel demokratisch umgehen zu können. Vielleicht färbt ja die digitale Basisdemokratie der Nerds tatsächlich ab. *aufwach*

In der Zwischenzeit werde ich, glaube ich, der besten aller Ehefrauen einen Eierfön kaufen. Und selber für das entsprechende rsync sorgen.

Warum der Opel-Deal von Magna völlig irreal ist.

Wenn ich das alles richtig verstanden habe, was sich in letzter Zeit um Opel abgespielt hat, läuft es so: General Motors macht Pleite, wegen grundsätzlich verfehlten Geschäftsmodells, und aus der Konkursmasse löst der deutsche Staat um 4,5 Milliarden Euro Steuergeld den Opel-Konzern heraus und verschenkt ihn an einen Lieferanten, im Konsortium mit einer russischen Bank, unter der ausdrücklichen Bedingung, genau *dieses* schief gegangene Geschäftsmodell unter keinen Umständen auch nur um ein Jota zu ändern.

Oder hab’ ich irgendein grundsätzliches Detail übersehen?

Ich schreibe jetzt seit einem Vierteljahrhundert über Autos, und seit meinen ersten Gehversuchen als Motorjournalist erzählt man mir von Überkapazitäten in der Industrie.

Will heißen, es könnten mehr Autos auf vorhandenen Fertigungsanlagen erzeugt als tatsächlich verkauft werden. Und weil die installierte, aber nie ausgenützte Kapazität Kapital bindet, sprich Kosten erzeugt, könnte man Autos deutlich billiger bauen, wenn man diese Überkapazitäten reduziert.

Industrieschnitt ist rund 20 Prozent, bei Opel dürfte die Überkapazität bei rund 50 Prozent liegen. Außerdem liegen die Opelwerke in Ländern wie Deutschland und Belgien und Spanien, lauter bekannten Billiglohnländern, während die Automärkte der Zukunft in Asien sind, wo man ja bekanntlich viel teurer Autos baut als in Bochum.

Ich mein’, sooo schiach sind Opelmodelle dann tatsächlich nicht, obwohl sie nie das Image des schnarcharschigen Spießers losgeworden sind („Opelfahrer mit Hut“, beliebig erweiterbar mit Klopapierrolle/Wackeldackel/Kommgutheimpolster). Egal, irgendwie hat es am Ende nicht gereicht, und jetzt ist man in der Konkursmasse. Und wütende Opelarbeiter hätten im deutschen Wahlkampf ein schlechtes Bild gemacht, also musste etwas unternommen werden.

Ach ja, neben Belgiern und Spaniern waren auch Reste der einst stolzen britischen Automobilindustrie in Form von Vauxhall beteiligt. Aber alles in allem war der Deal dann doch eine rein deutsche Sache, das schien von Anfang an klar. Jedenfalls haben jetzt auch wir Österreicher wieder was zum Sagen in Sachen Autos, was heimische Medien mit unverständlicher Euphorie füllte, und Tante Angela hat ein Sternderl mehr im Mitteilungsheft. So viele hat sie dort eh’ nicht.

Jetzt allerdings, wo Tante Angela anderweitig Sorgen hat mit dem neuen Onkel Guido, der nicht Englisch reden mag, kann man sich die Sache ja in Ruhe etwas näher anschauen. Und das kann richtig gruselig werden. Da fällt einem dann z.B. auf, dass in Wirklichkeit Tante Angela die einzige ist, die den Deal für formidabel hält, und das auch nur aus rein politischen Gründen. Alle – wirklich alle – anderen Beteiligten hielten und halten den Deal für schlecht. Und das will heissen, die Chancen stehen gut, dass Tante Angela gerade 4,5 Milliarden Steuergeld in den Sand gesetzt hat.

Ich meine: Selbst die beiden Vertreter der deutschen Bundesregierung im Aufsichtsrat der Opel-Übergangsverwaltung haben gegen den Deal gestimmt, einer von ihnen, Manfred Wennemer, begründete das lapidar: „Ich frage mich, wie Opel überleben will.“ Deutlicher kann man das nicht sagen, ohne unhöflich zu werden.

Kern des Deals ist: die deutsche Regierung gibt 4,5 Milliarden Euro Steuergeld, und Magna verpflichtet sich dafür, nicht einen Arbeitsplatz in Deutschland zu streichen. Die beiden anderen Bieter hatten das glattweg abgelehnt. Sergio Marchionne von Fiat sprach ganz im Gegenteil aus, was sich die ganze Branche denkt: Rund die Hälfte aller Arbeitnehmer bei Opel müssen gehen, sonst geht sich das nicht aus. Das hat dann schon gereicht, um ihn bei Tante Angela unten durch fallen zu lassen. Und der Finanzkonzern RHJ war ja nur ein Versuch, die Opelanteile irgendwo zu parken, bis ein wieder erstarkter GM-Konzern sie zurückkaufen kann. Auch dieser Plan wurde von Tante Angela rüde zurückgewiesen, die versprochenen 4,5 Milliarden gäbe es nur, ließ sie ausrichten, gegen die Arbeitsplatzgarantie. Und keinesfalls für GM selber, egal unter welchen Bedingungen, hieß es hinter den Kulissen.

Nun ist er durch, der Deal, und es werden immer absurdere Details bekannt. So haben sich die Vertreter der deutschen Regierung bei Kollegen in Belgien und Spanien erkundigt, ob man dort interessiert sei daran, für zukünftige Opel-Magna-Arbeitsplätze ein bisserl zu den 4,5 Milliarden Subvention beizutragen. Die Kollegen antworteten postwendend, gegen ähnliche Arbeitsplatzgarantien sei man dem gegenüber nicht abgeneigt. Am liebsten wäre allen, es würde einfach so weitergehen wie früher, und keiner müsste gekündigt werden. Nur: Wenn das vorher schon nicht ging, warum soll das nach der Pleite plötzlich gehen? Weil das die Deutschen so wollen? Das wird nicht reichen.

Insider sprechen davon, dass es seit je her zu Frank Stronnachs stillen Träumen gehöre, auch einmal eine echte Automarke zu besitzen. Ob das ausreicht, darf ebenfalls bezweifelt werden. Opel hat in den letzten Jahren selbst in seinen Kernmärkten Mitteleuropa an Marktanteil verloren, an Volkswagen in Deutschland, an Ford in Großbritannien, es ist nicht einmal sicher, ob es Opel überhaupt noch einmal schaffen kann, selbst wenn man dort die halbe Belegschaft kündigt. Aber so … schon haben zwei Magna-Hauptkunden, BMW und Volkswagen, laut darüber nachgedacht, nicht mehr beim nunmehrigen Konkurrenten arbeiten zu lassen. Und GM, in den USA blitzartig durch ein Insolvenzverfahren gezerrt und nunmehr, schuldenbefreit und neu gegründet, back in business, überlegen öffentlich, wie man den drohenden Know-how-Abfluss via Sberbank an deren Partner, den russischen Automobilkonzern GAZ, verhindern könne.

Aber es bleiben alle Arbeitsplätze erhalten.

Der britische Economist spricht von schweren Verstössen gegen europäisches Recht, erwähnt, dass Brüssel dem Deal noch lange nicht zugestimmt habe, und meint im Leitartikel dazu: Unter dem „allmächtigen Einfluss des Opel-Zentralbetriebsrat Klaus Franz“ habe die deutsche Regierung wohl „den Blick auf die industrielle Realität“ verloren. Das ist aber hübsch formuliert.

Nun könnte man das Ganze ja auch für eine der üblichen Steuergeld-Vernichtungsaktionen ansehen, mit denen sich Politiker allerorts ihr Überleben erkaufen, weil die Rechnung immer die nächste oder – mit Glück und wenn man noch eine Wiederwahl gewinnen will – die übernächste Regierung zahlt.

Schon möglich. Ich habe da meine eigene Theorie dazu.

Unter den gegebenen Umständen wäre es wirtschaftlich am klügsten gewesen, Opel einfach pleite gehen zu lassen, wie Mutter GM. Dann wäre man all die lästigen Arbeitsverträge elegant los geworden, und Opel, in Verbund mit einer neuen GM oder einfach an einen Dritten mit Pütt und Pann verkauft, hätte reelle Überlebenschancen.

Das war politisch nicht drin. Also macht man was (politisch) Kluges: Man schenkt den Arbeitgebern – statt ihrer finanziellen Ansprüche – einfach einen Anteil an der Firma, und wenn die dann den Bach runtergeht, dann sind die Arbeiter selber dran schuld, weil ja als Eigentümer mit verantwortlich.

In den USA gehören die neuen GM jetzt ja auch mehrheitlich den Fonds jener Arbeiter, deren Krankenkassen- und Pensionsforderungen die alte GM in die Knie gezwungen hatten. Also hält jetzt die neue, quasi mehrheitlich arbeitereigene GM 25 Prozent an „Opel Neu“, 20 Prozent bekommen die Opel-Arbeiter, die restlichen 55 Prozent gehen an das Magna-Sberbank-Konsortium, die dürfen das jetzt endgültig in den Boden fahren.

Selbst die Sberbank bekommt schon erste kalte Füße und überlegt öffentlich, ihren Anteil am Deal möglichst schnell wieder los zu werden.

Aber Tante Angela hat die Wahl gewonnen.

Abschließend lässt man noch schnell ein Gutachten erstellen, das dem Konzept der Austro-Kanadier „erhebliche Risiken” bescheinigt und den Sanierungsplan als „nicht besonders robust“ bezeichnet, dann ist man auch aus dem Schneider, wenn es denn schief geht. Oder so ähnlich.

Wenn die Russen so zu neuester deutscher Automobiltechnologie kommen, hätte ja selbst das schon Tradition: Nach dem Krieg erzeugte GAZ den Moskwitsch viele Jahre lang nach den Plänen von Opel, die die Rote Armee 1945 in damaligen Nazideutschland beschlagnahmt hatte.

Die Dummen dabei sind, in Reihenfolge, der deutsche Steuerzahler, den der Spaß 4,5 Milliarden plus Zinsen (mindestens) kosten wird; die Arbeiter in den Opelwerken von Spanien, Belgien, England und Deutschland, die ihre Jobs so sicher zur Gänze verlieren werden; und wir Österreicher, weil sich wieder einmal einer von uns weltweit blamieren wird. Schließlich hat Frank Stronnach bei den Verhandlungen, vor allem gegenüber den Deutschen, immer wieder seine österreichische Abstammung herausgehängt. Na ja. There’s a sucker born every minute. Die Börse jedenfalls honorierte den Deal mit deutlichen Kursverlusten.

Wer weiß: Vielleicht ist das ganze ja nur eine weltweite Verschwörung, uns Ösis wieder einmal als die Superdoofen darzustellen. Zuzutrauen wäre es ihnen ja … *duckundweg*

Wie Steve Apple Inc. rettet, indem er den Mac tötet.

„Steve is back!“ Ein Raunen geht durch die Reihen, denn der tot geglaubte Prophet einer schönen neuen Computerwelt ist wieder da: Spindeldürr, aber sichtlich gesund und bestens gelaunt, tanzt der Robin Hood der Desktops im jüngsten Podcast aus San Francisco über den kratzfesten Touchscreen. Trotz Krise und Lebertransplantation will der Magier des Marketing Apple Inc. weiter in lichte Höhen führen, als nächstes soll der Markt der Minicamcorder aufgemischt werden. „Das ist ein großer Markt“ lässt Steve seinen Statthalter Phil Schiller die Einzelheiten erläutern, da will man auch ein Stück vom Kuchen haben, und ein nicht zu kleines, bitteschön.

Cisco, mit Intel und Microsoft einst das Dreigestirn der Digitalen Zukunft, twitterte noch am selben Abend: „Imitation ist das ehrlichste Kompliment.“ Der weltgrößte Hersteller von netztechnischer Hardware hat vor wenigen Monaten Pure Digital übernommen, das seinerseits mit der Flip-Videokamera in den USA den Hosentaschen-Camcorder salonfähig gemacht hat, der angedrohte Angriff der Äpfel scheint bedrohlich.

Die Zahlen sind beeindruckend: Dreissig Millionen Eierföhne in den ersten zwei Jahren verkauft, 73 Prozent Marktanteil in den USA für den iPod, der iStore im neuen Design und „der mit Abstand größte Music Site der Welt“, mit alleine zwei Milliarden Downloads nur für meist sinnfreie Eierföhn-Zusatzprogrämmchen – da kann man echt nicht meckern.

Wäre ich Investor und hätte Aktien von Apple, ich wäre hoch zufrieden. Bin ich aber nicht. Ich bin ein einfacher Apple-User. Und mir fällt auf, dass Steve auf seinem Weg in die schöne neue Apfelwelt immer wieder Prinzipien aufgibt, die dereinst die Eckpfeiler des Apple’schen Selbstverständnis waren. Und das macht mich dann doch ein wenig nachdenklich.

Um das genauer zu verstehen, machen wir jetzt einen klitzekleinen Ausflug in die Technik.

Dereinst, als das Ganze los ging, waren Computer irgendwelche Riesenkasteln, die man mühsam mit Lochkarten fütterte und die als Antwort lange Papierschlangen ausspuckten, zu deren Interpretation man eine eigene Ausbildung benötigte sowie den Stromverbrauch einer mittleren Kleinstadt.

Dem gegenüber stellten die zwei Studenten Steve Jobs und Steve Wozniak ihr Konzept des „Personal Computer“, auf dem man per Tastatur und in normaler Umgangssprache seine Eingaben machen konnte, und der per Bildschirm für jeden DAU verständliche Antworten gab. Der Rest ist Geschichte, die sparen wir uns hier, schließlich sitzen Sie gerade jetzt vor so einem Kastl, geneigte Leserin und geschätzter Leser, das erklärt ja wohl alles.

Schon damals zeigte Jobs seine geniale Fähigkeit, Konzepte anderer Leute einfach zu übernehmen und sie anschließend so zu präsentieren, dass man ein völlig anderes, neues, ganz revolutionäres Produkt sieht. Das macht Herrn Jobs zum absoluten King of Marketing, zum Halbgott des Rebranding und zum Genius des Repackaging. Niemand sonst hätte uns die einfache Mix-Funktion jedes CD-Players als völlig neues Feature verkaufen können (und wäre anschließend damit auch noch durchgekommen.)

Egal. Der erste „Mac“ war jedenfalls eine Sternstunde der Digitalen Revolution, und das hatte auch viel mit der Art zu tun, wie man mit einem Mac von Anfang an seine Arbeit strukturieren konnte, etwas was die Fachleute gerne den „Workflow“ nennen.

Ein Beispiel aus meiner täglichen Arbeitswelt:

PostScript ist eine Seitenbeschreibungssprache, also eine Art Code, mit dem man genau festlegen kann, wie etwas aussieht, das auf Papier (oder dem Bildschirm) erscheint: Dort steht das Bild, hier der und der Text, in der und der Schrift, so und so gesetzt, blahfasel. Weil das nur ein paar Formeln sind sowie ein bisserl Text, statt Pixel für Pixel das ganze Bild, sind diese Dateien wesentlich kleiner und daher sehr beliebt in der Druckerwelt, sprich: PostScript ist dort Standard.

Jedes anständige Grafikprogramm kann daher solche „Encapsulated PostScript“-Dateien erzeugen, als Dateisuffix haben sie immer „.eps“.

Wie wir wissen, ordnet so ein Compi über diese Extensions die jeweiligen Dateien einem Anwendungsprogramm zu, so dass man einfach auf die Datei klicken kann, dann geht sie im entsprechenden Programm auf.

Nur: Windows konnte (und kann bis heute) eine Extension nur jeweils einem Programm zuordnen.

Schon im ersten Mac-OS war das anders. Dort konnte man jede Datei einzeln oder gruppenweise jeweils verschiedenen Programmen zuordnen. Statt der DOS-üblichen Extension werden dabei so genannte „Metadaten“ gemeinsam mit der Datei gespeichert.

Zurück zur Praxis: Obwohl alle Encapsulated PostScript-Dateien hinten .eps heißen, kann man beim Mac einfach draufklicken, und sie gehen mit dem Programm auf, mit dem sie erzeugt wurden. Und weil ein Photoshop-EPS was anderes ist als ein Illustrator-EPS, oder Gott bewahre ein XPress-EPS oder ein InDesign-EPS, ist das auch gut so und macht das Arbeiten auf dem Mac übersichtlich und einfach.

Unter Windows geht jedes EPS mit dem Programm auf, das der Extension .eps zugeordnet ist. Defaultmäßig ist das meist Illustrator. Und wenn man das nicht will, muss man jedes Mal ->Rechtemaustaste ->öffnen mit ->wo ist denn jetzt das blöde CS? spielen, das ist mühsam, zeitraubend und öd, und daher unbeliebt.

Das ist nur eines der Beispiele, wie genial durchdacht das Mac-OS von Anfang an war, und wie klobig und unhandlich dagegen so ein Mickeysoft-Gedrödel immer war.

Zurück zur Realität: Nach jüngsten weltweiten Zahlen hat das klobige Gedrödel 93,4 Prozent Marktanteil weltweit bei Desktop Computern, Mac OS hat vierkommasechs, die restlichen Punkterln teilen sich alle Anderen, also sämtliche Distributionen von Linux und Unix und SunOS und HP-UX und FreeBSD und wasweißichnochalles, die meisten davon weit unter der statistischen Wahrnehmungsgrenze.

Sie erinnern sich noch an die Schlachten der Videoformate VHS und Betamax? Betamax war technisch eindeutig besser, dennoch gewann am Ende VHS, dank besserer Distribution, besserem Marketing und klügerer Lizenzpolitik, haushoch. Und wir hatten deutlich besch(zenziert) Videos, bis zur Einführung von HD-TV. So ähnlich ist das halt auch bei Betriebssystemen von Computern, und deshalb sieht die Welt so aus, wie sie aussieht.

Nun muß man auch einräumen, dass alle anderen Erzeuger kleiner schlauer PC, ausser eben Apple und der allmächtige Wintel-Gigant, in der Zwischenzeit geräuschlos verschwunden sind. Atari? Commodore? Wang? (Wer bitte? Ja, die gab’s auch mal.) Und dass es an ein Wunder grenzt, dass es Apple noch gibt, und dass sie tatsächlich PC erzeugen und hoch aktuell verkaufen, die sich deutlich vom Wintel-Standard unterscheiden, und meist die technisch feineren, eleganteren Lösungen haben, weil eben niemand so genial klauen kann wie Steve.

Nun haben sie Steve bei Apple ja schon mal rausgeworfen, dann ging man so gut wie Pleite, dann gab M$ finanzielle Hilfe und Steve kam zurück, seither geht es steil aufwärts. Das erklärt den halbgottähnlichen Status von Steve Jobs, nicht nur bei den Fanboys, sondern auch bei der Konkurrenz.

Was dabei nicht so auffällt, ist die Tatsache, dass Steve diesen Aufstieg seit seiner Rückkehr an das Steuer des Obstschiffes de facto mit der stückweisen Aufgabe des Apple’schen „anders sein“ bezahlt hat.

Jüngstes Beispiel ist das neue Release des Apple Betriebssystems Mac OS X 10.6.1 „Snow Lepard“. Dort ist die klassische, „creator code“ genannte Bindung einer Datei an ein bestimmtes Anwendungsprogramm von Apple selbst aufgegeben worden, zu Gunsten der Windows-üblichen Methode der Identifizierung via Extension. Gerüchteweise gegen den Widerstand der Coder, und auf ausdrücklichen Wunsch Seiner Majestät.

Will heissen: So wie es derzeit aussieht, werden wir ab Schneeleopard auch bei jedem EPS-File das Rechte-Maustaste-Spiel spielen, *seufz* und dafür wieder ein Stück kompatibler zu den 94 Prozent der restlichen Welt sein.

Scheiss Globalisierung.

Wer’s im Detail wissen will, kann es hier nachlesen.

Jedenfalls wird das Betrübsystem meiner Äpfelchen mit jedem Release den jeweiligen Windoze-Systemen ähnlicher. Schon heute lässt sich ein Programm wie CS von Adobe nicht mehr rückstandsfrei von einem Mac entfernen, es sei denn, man weiß genau, wo Adobe welche Dateien wie hinlegt, und selbst das ändert sich von Release zu Release. Auf OS 9 gab’s dafür zwei Ordner, auf dem BSD, das unter OS X werkelt, gibt es in klassischer UNIX-Tradition dafür mindestens zwanzig, und wenn es einer Applikation gefällt, dann legt sie auch noch zwei weitere an. Früher™ war das anders, und Apple hielt die Prinzipien hoch und zwang die Entwickler, sich dem System zu beugen; aber damals war damals, und heute ist heute, und Steve verdient sein Geld mittlerweile anderweitig.

Nicht von ungefähr hat Steve vor ein paar Jahren das Wort Computer aus dem Unternehmensnamen entfernen lassen, Apple Inc. wird weiterhin wachsen und Geld verdienen und uns mit schicken Must-haves beglücken, und wahrscheinlich werden die PC einfach deshalb weiter gut gehen, weil ihr Coolnessfaktor nach wie vor unübertroffen sein wird, dank Steve’s Genialität und so lange der Vorrat an Organspendern nicht ausgeht. *scnr*

Und irgendwann wird uns gar nicht mehr auffallen, ob da gerade OS X oder Windows Seven läuft, auf unserer todschicken, überteuerten Hardware mit dem unüberbietbaren Kühlheitsfaktor.

Ach ja, und was die EPS-Dateien betrifft: Das hat mittlerweile Adobe *spuck* längst mit seinem portable document format erledigt.

Vor dem Supermarkt

Die Welt ist voller Proleten. Nein, ich will mich nicht beschweren, das wäre sinnlos. Aber manchmal möchte ich wenigstens meinen Ärger darüber loswerden. Können. Dürfen.

So zum Beispiel gestern. Da war ich in Grohote einkaufen.

Vor unserem Supermarkt in Grohote auf meiner geliebten Insel Šolta gibt es – genau vor der Tür – drei Parkplätze. Im Laufe der Jahre hat sich das als eindeutig zu wenig erwiesen, also hat man gegenüber einen großen Parkplatz gebaut, auf dem mehr Autos Platz haben als Kunden auf einmal in den kleinen Studenac hineinpassen. Aber da muss man über die Gasse gehen und, wenn man Pech hat, auch noch über den ganzen Parkplatz. Wenn man direkt vor der Tür parkt, muss man das nicht. Daher ist um ebendiese Plätze immer ein G’riß.

Im Sommer, halt. Im Winter, so wie jetzt, ist es meist wurscht, außer an einem Freitag abend bei schönem Wetter, da kommen alle Weekender einkaufen, als käme es ab Samstag aus der Mode. Warum die extra bei uns, bei teureren Preisen und reduziertem Angebot, einkaufen statt auf dem Festland, wo sie eh’ gerade herkommen, wird sich mir wahrscheinlich nie so ganz erschließen, aber chacun à sa façon.

Egal, gestern war Dienstag, und es ist tiefer Winter, also waren alle drei Parkplätze vor der Tür frei. Ich, spießiger Mitteleuropäer aus dem Norden, stelle mich ganz rechts hin, damit noch zwei weitere Platz finden, so denn überhaupt welche kommen.

Außerdem bin ich, infolge eines Risses meiner linken Achillessehne, mit einem Gips unterwegs und daher auch mit Krücken, also ist es mir ganz recht so. Sonst will wieder die nette Kassiererin meinen Einkauf für mich bis zum Wagen tragen, und dann isses mir wieder peinlich. Na, passt schon.

Friedlich gehe ich einkaufen.

Nach einer Viertelstunde habe ich eingekauft und bezahlt und das Angebot, meinen Einkauf zu transportieren, dankend abgelehnt – „Nein danke, aber ich stehe ja direkt vor der Tür“ – und trete vor die Tür, da hat doch irgend so ein [zensuriert] seinen Ford schräg hergstellt, so dass weder ein Dritter parken kann, noch ich einsteigen. Sein rechter Kotflügel ist zehn Zentimeter vor meiner Fahrertür, also selbst ohne Gipsfuß und mit zwanzig Kilo weniger … geschenkt. Hilfe suchend drehe ich mich um, vielleicht ist der Trottel eh’ schon an der Kasse, zumal zu allem Überdruss auch noch der Motor läuft und ordentlich stinkt. Und tatsächlich winkt die Kassiererin, dass sie den Fahrer gerade abfertige und er käme sofort.

Zwischenzeitlich stehe ich halt einfach dumm herum, mit meinem Einkauf und auf zwei Krücken, und jeder der mich sieht, denkt sich wahrscheinlich das selbe wie ich, Mann, parkt der vielleicht bescheuert.

Und dann kommt er, es sind sogar zwei, ein Ehepaar, sie so um die 45, er zehn Jahre älter, die Standardnummer halt. Sie versucht auf ihrer Seite einzusteigen, sieht es geht nicht, steht dann dort und schaut mich an. Dann kommt er … und ich kann meinen Mund nicht halten.

„Ist das Ihr Fahrzeug?“

„Ja“, sagt er, etwas konsterniert, „wieso?“

„Super, wie Sie parken. Wirklich rücksichtsvoll.“ Ich schaue bedeutungsvoll an mir herunter und auf meine Krücken.

Dem Proll ist es jetzt dann doch peinlich, also steigt er schweigend in sein Auto und schaut, dass er möglichst schnell wegkommt.

„Und den Motor haben Sie auch gleich laufen lassen. Sie machen wirklich alles richtig.“ Wenn ich einmal in Fahrt komme, gibt es kein Halten mehr. „Sie sollten jetzt auch noch einfach Ihren Aschenbecher auf den Boden ausleeren.“ Mit steinernem Gesicht schließt er seine Autotür und legt den Rückwärtsgang ein.

Und dann, als das Auto schon rückwärts rollt, kommt seine Frau wieder in mein Blickfeld. Sie sitzt neben ihrem Ehegatten und für einen Augenblick treffen sich unsere Blicke.

Und dabei hat sie gegrinst. Von einem Ohr zum anderen.

Die Inseln unter dem Wind. Eine Reise, ein Besuch und eine Rückkehr.

Wer auch immer den Satz erfand „Neapel sehen und sterben“ hatte keine Ahnung. Nun bin ich schon seit mehreren Stunden hier, und von Sterben keine Spur. Allerdings ist es so heiss, dass das langsam echt eine Alternative wäre.  Der Charme des Bahnhofes ähnelt dem aller Bahnhöfe. Nur an einem Ende der Halle steht ein verrostetes Stützgerüst gegen die Decke gepölzt. „Das Erdbeben, signore … “ zuckt man die Schultern. Welches Erdbeben, will man fragen. Ach, suchen Sie sich eins aus. Diese Leute aus dem Norden …

Ich fahre auf eine Insel ohne Strassen und folgerichtig per Bahn und Schiff. Ich liebe geruhsames Reisen, ich liebe die Bahn und ich finde Schiffsreisen romantisch. Spätestens als ich meinen Rucksack durch die neapolitanische Mittagshitze schleppe, beginne ich an meiner Liebe zu zweifeln. Egal. Der Hafen riecht nach Seetang, Dieselöl und der grossen weiten Welt.

Wonach das Schiff riecht, das uns nach Lipari bringen soll, kann ich beim besten Willen nicht definieren. Einmal in Bewegung, vertreibt der Fahrtwind die interessante Geruchskombination aus hundert Jahre nicht waschen und einem südserbischen Bahnhofspissoir, die kleine Fähre stampft friedlich nach Südwest, vom Vorschiff steigen Fetzen von Essensgerüchen in den Abend und ich bin mit mir selber und der Welt wieder versöhnt.

Anderntags, fünf Uhr früh. Die Nacht war lausig, ich stehe durchfroren an Deck. Ein graulila Dunstschleier liegt über dem Wasser, es herrscht das, was die Franzosen den „kleinen Morgen“ nennen. Kalt, müde, hungrig. Automaten, selbst italienische, brauen einen erbärmlichen Kaffee.

Und dann, schräg rechts, taucht plötzlich eine Insel auf. Ein spitzer schwarzer Kegel, das obere Drittel in eine dichte schwarze Wolke gehüllt, speit orangerotes Licht, kleine Flammenzungen fressen sich in die Wolke. Gleichzeitig beginnen die ersten roten Sonnenreflexe auf tausend kleinen Wellen zu tanzen, flirrendes Licht flutet über den Horizont. Und dann, sozusagen als Krönung der Sache, zucken auch noch Blitze durch die Wolken um den Gipfel, und ferner Donner grollt zu uns  herüber. Gott strafe mich, so war es und ich habe nichts dazu erfunden: Ein Gewitter über Stromboli bei Sonnenaufgang. Der Anblick entschädigt für dreissig Stunden Anreisezeit, Gerüche, Hitze, Kälte und miesen Kaffee. Jawohl, genau hier müssen die Burschen die Oper erfunden haben, anders ist das gar nicht möglich.

Als der Gott Vulkanus seine Esse im Vesuv bei Neapel baute, schüttete er das übrig gebliebene Baumaterial einfach in den Hinterhof. Und dort liegt es heute noch: Sieben winzige, steile Felskegel, die auf halbem Weg zwischen Neapel und Messina aus dem azurblauen Wasser ragen, abseits der restlichen Welt, inmitten des Tyrrhenischen Meeres: Die Aeolischen Inseln, auch Liparische Inseln oder Inseln unter dem Wind genannt. Die Fischer und Matrosen nennen sie die „sette sorelle“, die sieben Schwestern.

Der österreichische Erzherzog Ludwig Salvator, geboren in Mailand, aufgewachsen in Prag, grossherzoglicher Sohn aus der Toscana und Zeit seines kurzen Lebens ruheloser Wanderer auf den sieben Weltmeeren, kam erstmals 1887 hierher. Ursprünglich wollte er ja grossherzoglicher Beamter werden, doch das verwehrte man ihm im Grossherzogtum Toscana, aus innenpolitischen Gründen, die schon damals ziemlich dumm gewesen sein dürften, denn Ludwig Salvator wäre ein ausgezeichneter Beamter geworden. So wurde er Seefahrer, und auf allen seinen Fahrten schrieb er säuberlich alles auf, wie viele Einwohner die und die Insel hätte, wie viele Kinder, wie viel Post jährlich hierher komme und derartiges. Wie gesagt, ein vortrefflicher Beamter.

Eigentlich war der Erzherzog unterwegs nach Ibiza, wo es ihm die Burgen auf Lanzarote angetan hatten, aber es gefiel ihm auf Lipari ausserordentlich gut, also blieb er ein Weilchen. Schliesslich hetzte ihn ja kein Fahrplan. Er blieb und notierte, säuberlich. 1894 erschien in Prag bei Heinrich Mercy ein achtbändiges Werk: „Die Liparischen Inseln“, ohne Autorenvermerk. Je Insel ein Buch, plus ein allgemeines. Jedes Haus, jede Kapelle, jedes Schiff im Hafen säuberlich vermerkt. Im allgemeinen Einführungsband schrieb er: „Der Charakter der Liparoten ist sanft und gutmüthig; vollkommen sicher kann der Fremde unter diesem gefälligen, heiteren, fröhlichen Völkchen, das schnell sein Herz gewinnt, dahinwandern und bald wird es ihm unter den Leuten gefallen und er wird sich wie zu Hause fühlen.“

Ich bleibe nicht auf der Hauptinsel Lipari, sondern fahre weiter nach Alicudi, der letzten und kleinsten der sieben Schwestern, weit draussen im Westen. Ohne Strom, ohne Strassen und Autos, ohne Anlegemole. Wer hier aussteigt, muss über die schwankende Reling in ein kleines Fischerboot klettern, das zwei schweigende Männer vom Ufer herübergerudert haben.

Ebenso schweigend rudern sie wieder zurück. Hinter uns verschwindet das Fährschiff, vor uns steil, menschenleer, windzerfressen, sonnengebrannt, winzigklein: Die Insel. Ausser mir steigt niemand aus. Das hätte mir zu denken geben sollen.

Die Hänge sind mit schmutzigweissen Häusern besprenkelt. Beim Näherkommen sind alle zerfallen, leere Fensterhöhlen starren in den blauen Himmel. Nur unten, wo das Boot jetzt anlegt, sehen ein paar Häuser bewohnt aus.

Die Insel ist vom Ufer an bis zur Spitze des steilen Vulkankegels, rund dreihundert Meter höher, mit winzigkleinen, schmalen Terrassen überzogen. Seit Jahrtausenden haben hier Menschen gewohnt, haben dem steilen, aber fruchtbaren vulkanischen Boden ein karges Lneben abgerungen, haben bis auf den Gipfel, Stein für Stein, mit der Hand Stiegen angelegt und Regenzisternen, haben Terrassen gebaut und Erde in Körben hinaufgeschleppt, um Paradeiser, Ölbäume und Kapern zu ziehen.

Als der Erzherzog hier unter dem freundlichen Völkchen weilte, ernährte die Insel über zweitausend Seelen. Heute leben hier knapp fünfzig.

Die Wege sind mannshoch zugewachsen mit Dornengestrüpp, die Zisternen verfallen und leer, auf den Terrassen steht kniehoch verdorrter wilder Hafer.
Als um die Jahrhundertwende die Dampfschiffe von Messina nach Neapel zu fahren begannen, kamen plötzlich die kleinen Segelschiffe nicht mehr, mit denen die Liparoten ihre Oliven und Kapern verschickten. Gleichzeitig raffte die Ölbaumpest einen Grossteil der Bäume hinweg, eine ökonomische Katastrophe brach über die Inseln herein. In der Dekade bis zum ersten Weltkrieg wanderte so gut wie die gesamte Bevölkerung aus, hier auf Filicudi und drüben auf Alicudi, auf Panarea und Vulcano. Manche nach Argentinien, manche nach Australien, die meisten in die USA.

Toni Umina kommt aus Pipe Creek, Texas, und wenn er mit mir redet, merkt man das auch deutlich. Aber wenn Tony unter den wenigen Männern der Insel sitzt, sieht er aus wie einer der ihren. Er spricht auch noch den Dialekt der Insel, obwohl er schon im Amerika geboren ist; dort hat er ihn von seiner Grossmutter gelernt, die zeitlebens nichts anderes sprechen konnte: Ein wenig Spanisch, ein wenig Arabisch, ein wenig Sizilianisch und ein wenig Napoletanisch, ein paar griechische Worte sind auch dabei, die waren nämlich auch hier, und dazu den weichen, singenden, süditalienischen Tonfall. Wunderschön. Ich verstehe kein Wort.

Tony schon, er übersetzt für mich. Sein Grossvater hat hier noch Haus und Grund besessen, bevor er nach Amerika ausgewandert ist. Als sein Grossvater in New York ankam, erzählt mir Tony am Abend, suchte er das Gold, mit dem in Amerika die Strassen gepflastert sein sollten, so wie man es sich in den schäbigen kleinen Bauernkaten von Alicudi erzählte. Und so kniete nach seiner Ankunft der Grossvater vor dem Laden seines Cousins in Brooklyn fassungslos auf dem Pflaster und konnte es nicht begreifen, dass der Boden hier auch nur Staub und harte Steine war, so wie zu Hause.

Zu Hause war für die Grossmutter, die Tony erzog, immer die alte Heimat. Zu Hause war alles schöner, ärmer, reiner. Also ist Tony heute wieder da, um das alles zu finden. Ausserdem ist Tony Grundstücksmakler, ein ziemlich reicher sogar. Und die alten Gründe, über hundert Jahre völlig wertlos, sind heute plötzlich wieder etwas wert: Reiche Norditaliener kaufen im Süden nur mehr Grundstücke auf, auf denen schon alte –  möglichst verfallene – Häuser stehen. Weil sonst gibt es nämlich keine neuen Baugenehmigungen und Umwidmungen, offiziell zumindest. Im Grundbuch in Messina war Tony auch schon. Die Leute, die dort als Besitzer eingetragen sind, sind fast alle seit mehr als einem halben Jahrhundert tot. Und wem es heute gehört, weiss sowieso niemand. Dio mio, signore, wen kümmert schon Land auf Alicudi …

Tony kümmert das, er wittert ein Geschäft, er vertritt eine Gruppe von 50 oder mehr Kindern von Auswanderern, die alle hier irgendwo noch Landansprüche haben. Die Inselbewohner wittern es auch, und ausserdem ist man hier auf Auswanderer nicht gut zu sprechen. Tony hat lange Listen in Messina kopiert, die Linien in den Gesichtern werden hart, wenn die Männer am Abend in der einzigen taverna miteinander reden, und die Alten haben plötzlich wieder ein erstklassiges Gedächtnis.

Es ist die Welt im kleinen, ein Mikrokosmos, getränkt von Misstrauen, begrenzt vom schmalen Strich zwischen blauem Himmel und blauem Meer, auf dem die Schiffe langsam sichtbar werden, lang bevor sie anlegen. Dort sind auch die Auswanderer verschwunden, vor hundert Jahren, und wieso kommen sie jetzt zurück, zusammen mit anderen Fremden, die auch keiner will?

„Wenn Du hier auf der Insel etwas unternehmen willst,“ sagt Giovanni, der Kaschemmenwirt, Krämer, Postbote und Schiffskartenverkäufer der Insel, „musst du eine Gruppe mit einer ungeraden Zahl bilden. Die Zahl muss unter drei liegen.“ Und dann putzt er ostentativ den Sessel, auf dem ich gerade gesessen bin.

San Bartolomeo ist ein kleiner Weiler, ungefähr eine Wegstunde steil über die Westflanke, knapp unter der Spitze der Insel. Das einzige noch intakte Gebäude ist die Kirche. Das letzte Erdbeben hat die Spitze des Kirchturms grotesk verschoben, das nächste wird ihn wahrscheinlich zum Einsturz bringen. Im verlassenen Pfarrhaus daneben zwei winzige Zimmer, gestampfter Lehmboden, grobe, weiss gekalkte Wände, ein altes Metallbett mit bemaltem Haupt, ein Metallkreuz an der Wand. Ich sitze auf einer halb verfallenen kleinen Steinterrasse und starre auf das Meer hinaus.

Nach drei Tagen fällt mich die Einsamkeit an wie ein Tier. Eigentlich wollte ich ja zwei Wochen bleiben, aber wenn ich hier nicht morgen mit dem Schiff wegkomme, dann werde ich auf der Stelle verrückt.

Das Schiff ist die einzige Verbindung zur Aussenwelt und kommt laut Fahrplan jeden Tag. In Wirklichkeit kommt es, wenn es das Meer zulässt. Oder der Wind. Oder die Götter. „Einmal öfter, dann weniger oft“ sagen die Einheimischen und zucken mit den Schultern. Wen kümmert schon, wann das nächste Schiff kommt. Diejenigen, die hier weg wollten, sind schon lange weg.

Am nächsten Tag kommt kein Schiff. Am übernächsten auch nicht. Und als es dann doch kommt, ist mein Inselkoller schon vorbei.

Ich sitze am Abend unten am Meer und lasse das Dunkel der Nacht langsam auf mich herunterfallen, wie schwarzen Samt. Kein Licht ist zu sehen, nur die Sterne funkeln. Irgendwo spielen Fischer eine Partie Scoppa, ein sizilianisches Kartenspiel mit den Spielfarben des ägyptischen Zigeuner-Tarots: Schwerter, Stäbe, Kelche und Taler. Der Wind weht Sprachfetzen durch die Nacht, über allem das Rauschen des Meeres. Immer rauscht das Meer, es gibt auf der ganzen Insel keinen Ort, an dem man das Meer nicht hört.

„Salute“, sagt Tony und schiebt mir ein Glas mit Rotwein zu.