Abfahrt 22 Uhr 22 oder I don’t work here …

Und es begab sich, dass ich von Split nach Wien mit der Bahn fuhr.

An sich bin ich ja ein romantischer Mensch und liebe es, Eisenbahn zu fahren. Aber mit dem Auto schaffe ich die Strecke Split-Wien in sieben Stunden, ohne gegen die StVO zu verstoßen, während das mit der Eisenbahn – schladagonk, schladagonk – stolze sechzehn Stunden von Split bis Wien (oder auch umgekehrt) dauert. Es muss also schon ein besonderer Grund vorliegen, um mit der Eisenbahn fahren zu wollen.

Den gab’s auch, in Form eines direkten Kurswagens, Auto-im-Reisezug eingeschlossen. Den gibt es seit heuer neu, einmal pro Woche und jeweils für den Nachtzug, und auch nur während des Sommersaison. Aber es gibt ihn eben, da steigt man in Split ein und in Wien wieder aus, und so gesehen ist das sehr kommod. Und weil ich das Triumph-Monster nach Wien bringen wollte, um es dort zu verkaufen, auf der anderen Seite aber keine Lust auf sieben Stunden Dosenbahn per Motorrad hatte, kam die Sache mit dem Kraftrad im Reisezug wunderbar zupass.

Nun ist die Sache mit der Eisenbahn in Split eine ganz einfache. Nämlich die, dass es zu Kaisers Zeiten eine Reihe von Eisenbahnlinien von Split weg gab, in alle nur erdenklichen Richtungen, aber irgendwie hat die alle die Geschichte hinweggefegt. Die letzte, die so dahingerafft wurde, war die Verbindung Split-Sarajewo, über die vor dem letzten Krieg – aber das schenken wir uns hier. Jedenfalls gibt es heute eine einzige Bahnverbindung, die von Split weg führt, und die geht nach Agram. Will heissen: Egal, in welchen Zug Du auf dem Bahnhof Split steigst, er fährt immer in dieselbe Richtung, und am anderen Ende ist Agram. Immer. Versprochen.

Konsequenterweise gibt es denn vier Züge, zwei hinauf und die anderen zwei wieder herunter, einer fährt in der Früh weg und tschundert über Velebit und Kapela tagsüber in atemberaubender Geschwindigkeit, der andere fährt am Abend und tschundert halt durch die Nacht. Aber sonst ist die Sache einfach, schlicht und übersichtlich, und der ganze Fahrplan für Split passt auf eine Postkarte.

Das mit dem Auto im Reisezug gab’s schon immer, nach Agram nämlich, und früher™, als es noch keine Autobahn gab und man sich quer durch die Krajina und über das Gebirge nach Karlstadt quälen musste, war das eine echte Alternative, vor allem im Winter, denn da kann es auf dem Velebit und bei den Plitvitzer Seen ordentlich Schneeverwehungen geben.  So nahm man den Nachtzug nach Agram, und lud das Auto dazu, und am nächsten Tag fuhr man den Rest. Aber jetzt gibt es, wie gesagt, eine durchgehende Autobahn, komplett mit zwei feinen Tunnel unter dem Gebirge, und damit kam das mit der Eisenbahn irgendwie aus der Mode.

Außer, wie gesagt, es ist Sommer und Sonntagabend, weil da steht dann seit heuer ein Kurswagen direkt nach Wien, das ist dann schon wieder eine Alternative.

So Kurswagen sind überhaupt eine feine Sache. Also gibt es – neben dem nach Wien – auch einen nach Prag, und dann auch noch einen nach Budapest. Wobei vielleicht noch erwähnt werden sollte, dass alle diese Kurswagen Liege- oder Schlafwagen sind. Wer keine entsprechende Reservierung hat, steigt in den normalen Zug und steigt am nächsten Tag – während unsereins im Kurswagen entspannt am Polster horcht – um halb sechs Uhr früh leicht ferngesteuert in Agram aus, um anschließend zu den jeweiligen Züge nach Wien, Prag oder Budapest zu wanken. Aber das sind schon die einzigen Varianten eines ansonst einfachen Fahrplans. Und so ist die kroatische Eisenbahnwelt einfach und übersichtlich und nicht wirklich mit Orientierungsschwierigkeiten verbunden.

Natürlich gibt’s das alles nur im Sommer, aber davon gehen wir ja aus. Im September ist dann wieder Schluss, aber ich fuhr im August, und da war echt was los. In Wirklichkeit ist da so viel los, dass die beiden Züge nach Agram doppelt geführt werden, in Abständen natürlich. Also zwei in der Früh und zwei am Abend. Das macht die Sache aber noch immer nicht wirklich unübersichtlich. Es gibt dann halt zwei Nachtzüge nach Agram, der eine kommt um halb vier in der Früh an und der andere um halb sechs, das macht natürlich einen Unterschied, aber nur für die Bequemlichkeit. Weiter fahren kann man auch von Agram erst, wenn beide Züge aus Split angekommen sind. Und so gesehen ist es eigentlich völlig wurscht, in welchen Zug man steigt. Außer natürlich man will den Kurswagen nach Prag, der fährt um halb neun am Abend, während die Kurswagen nach Budapest und Wien an dem um halb elf am Abend dran hängen.

Das mit der Übersichtlichkeit gewinnt überdies noch, indem dass der Bahnhof Split nicht so aussieht wie der Gare de l’Est oder Waterloo Station, sondern ein winzigkleiner k. & k.-Bahnhof ist, mit zwei Perrons und vier Geleisen. Das hat was damit zu tun, dass man dereinst, zu Kaisers Zeiten, den Bahnhof im Stadthafen haben wollte, damit es sich leichter auf die Fähren auf die vielen Inseln umsteigen ließ. Das ist auch heute noch so. So liegt eigentlich der ganze Bahnhof Split im Norden der Stadt, komplett mit Abstellgeleisen und Frachtabfertigung und Rangierlokomotiven, anschließend gibt’s einen langen Tunnel unter der Altstadt durch, und dann ist man im Personenbahnhof, der in Wirklichkeit nur einem einzigen Zug Platz bietet. Aber da, wie gesagt, nur jeweils in der Früh und am Abend einer kommt und wieder fährt, geht sich das alles seit Jahren und zur allseitigen Zufriedenheit bestens aus.

Und so saß ich an besagtem Sonntag Abend entspannt auf den Stufen der Tür zu unserem Liegewagen nach Wien und beobachtete den Zug der Reisenden, der aus dem Bahnhof heraus auf den Perron und zum Zug strömte. Bis zur Abfahrt war es noch eine gute halbe Stunde und ich war mit mir und meiner Entscheidung sowie der Welt im Allgemeinen zufrieden und im Einklang.

Dann kam die erste Rucksackmaus.

„Do you work here?“ kam es etwas verschüchtert.

„Do I look like it?“ Es tut mir leid, aber an so einer Steilvorlage kann man nicht einfach vorübergehen. Anschließend war ich so nett und fragte, was sie denn wissen wolle.

Ob dass der Zug nach Budapest sei?

„Well, it goes to Zagreb, where you’ll have to change for the one to Budapest.“

„But I was told there’s a direct connection.“

„Do you have a reservation?“

„No.“

Tja, Schatzi – wenn kein Liegeplatz, dann in Agram ferngesteuert um halb sechs … aber das hatten wir ja schon. Die Rucksackmaus schaut mich verstört und etwas feindselig an.

Ich hab’ doch gesagt, dass ich hier nicht hackel – was gehen mich die Marketingschmähs der kroatischen Eisenbahnen an, oder die des Fremdenverkehrsverbandes, was weiß ich. Dann versuche ich zu erklären, was ein Kurswagen ist.

Da kommt schon die Nächste. Die hält sich erst gar nicht mit Preliminarien auf, sondern fragt gleich erbost „Where’s the train to Prague?“

„Do you see any other?“ Nein, Sarkasmus ist jetzt nicht gut. Da war die Antwort aber schon draußen. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich jetzt tot.
Ich hätte den Mund halten sollen. Oder mich nicht auf die Stufen setzen sollen. Aber dann würden die jetzt alle durch den Liegewagen strömen, wahrscheinlich. Naja, egal, nu isses passiert.

Da kommt noch eine, diesmal mit einem Handtaschlträger im Schlepptau, muskulös und braungebrannt. Für die Kommunikation ist er offenbar nicht zuständig, aber immerhin trägt er den Rucksack. Und dann die obligate Frage, ob das der Zug nach Budapest …

„Listen, luvvie – there is only one train, wherever  you’re going …“ Luvvie schaut so böse, dass ich mir denk’, jetzt haut mich gleich der Handtaschlträger … aber offenbar hält sie mich nur für einen Trottel und geht, nachdem sie mich mitleidig von oben bis unten gemustert hat, nach links wieder ab.

Nach fünf Minuten kommt sie wieder, und wo denn nun wirklich der Zug nach Budapest … „’cause this one’s only going to Zagreb … “ Tja, Schatzi … und was soll ich da jetzt machen? Wie soll ich in den zehn Minuten bis zur Abfahrt die – na, schätzen wir mal freundlich – dreiundzwanzig Lebensjahre korrigieren? Oder was genau war jetzt das Problem?

Der nächste ist ein Mann und daher noch dümmer, obwohl man dies fast nicht für möglich gehalten hätte. Ob das der „train to Zagreb…“

„Can you read?“ Ich zeige auf die Tafel, vor der er steht. Elektronisch, wir sind ja nicht in Hintertupfing. Und da steht schließlich: Zagreb, odlazak 22.22 h. Selbst wenn man nicht weiß, dass odlazak Abfahrt heißt, ist das meiner Ansicht nach eine glasklare Ansage. Ich meine, auf einem Bahnsteig … vor einem einzigen Zug … würden Sie das jetzt für den Autobus nach Dubrovnik halten, wenn Sie das gelesen hätten?

Na also. Aber Mausimann hält mich jetzt für einen dieser endlos arroganten Kontinentaleuropäer, und sicher wird er sich darüber zu hause lautstark beschweren. „How rude some of those people …“ Ich hätte noch viel unfreundlicher sein können, Liebling, ich war nur gerade noch so friedlich … zu spät. Schon ist er angefressen abgerauscht.

Und so kann dich in knapp zwanzig Minuten bis zur Abfahrt an einem lauen Sonntagabend im Sommer in Split der Menschheit ganzer Jammer anspringen, ansatzlos und überwältigend.

Schluchz.

Den Vogel schoss einer ab – dem Tonfall nach war’s irgendein Ami – der sich beschwerte, auf dem Fahrplan stünde Gleis zwei, und dies sei aber Gleis drei, und was denn jetzt richtig wäre … Friedrich, mein Geschoß … aber da springt der Minutenzeiger der Uhr auf 22, vorne wird gepfiffen, hinten wird zurückgepfiffen, aus verschiedenen Waggons winken verschiedene Schaffner, die Lokomotive pfeift lang und laut, einen Viertelton zu tief – und wir fahren, endlich.

Fazit: Das nächste Mal setz’ ich mich woanders hin.

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