Leipzig und so.

Und es begab sich, dass es wieder einmal Weihnachten wurde, also fuhr der Igler nach Leipzig, zum 34C3.

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, von wegen all der widersprüchlichen Ideen und Gedanken, die mir seit Leipzig durch den Kopf gehen.

Fangen wir mit dem Offensichtlichen an: Der Umzug von Hamburg nach Leipzig scheint erst mal tadellos funktioniert zu haben. Die Leipziger waren extrem freundlich, das Orgateam hat sich extrem bemüht, eigentlich war alles erste Sahne, und vor allem bunt. Das kann man auch anderweitig nachlesen, also kann ich er mir hier schenken. Ja, es war vieles anders, vieles vertraut, es war weitläufig, wir haben uns alle einen Wolf gelaufen, aber so grosso modo war es ein erfolgreicher Congress.

Die Lichtinstallationen waren ja auch wirklich super. Super bunt, super gemacht. Das hat eine ganz eigene Ästhetik. Sozusagen eine Hackerästhetik. Irgend so ein Pressefuzzi schrieb denn auch, die Veranstaltung sei gegenüber der Buchmesse in der Optik wesentlich bunter gewesen, nur die handelnden Personen – also wir alle – seien irgendwie alle gleich eintönig gekleidet gewesen.

Ja, eh. Any colour, as long as it’s black. So Pressefuzzis können schon ziemlich ahnungslos sein. Egal. Das mit der Hackerästhetik ist eine zweite Überlegung wert. Da ist eine ganz eigene Formensprache entstanden, die darauf schließen lässt, dass das alles mehr als nur ein kurzfristiger Trend ist. Doch davon später.

Zuerst möchte ich vom Unbehagen reden. Wobei: Unbehagen ist nicht ganz das richtige Wort, ich fand bislang nur kein besseres.

Unbehagen? Welches Unbehagen? Dem Club geht es bestens, er wird regelmäßig von Politik und Medien um Meinung und Stellungnahmen gebeten, ist längst im Mainstream angekommen, nach jüngsten Meldungen kamen mehr als 15k Menschen nach Leipzig – was missfällt Ihnen da eigentlich, Herr Igler?

Nix missfällt mir. Ich bin nur verunsichert, wohin sich das alles entwickelt. Eben so ’ne Art Unbehagen.

Ich meine, natürlich kann man die Entwicklung des Clubs nicht losgelöst sehen von den Ereignissen, die derzeit gerade ablaufen. In Österreich haben wir die Nazis in der Regierung, in Deutschland sitzen sie im Parlament, wie lange ist Snowden jetzt her? Hat sich da im Bewusstsein der Menschen in diesem Land $irgendetwas geändert? Na also. Schon deshalb sollte man Unbehagen haben.

Dennoch ist auch der Club für mich an einer Art Scheideweg angekommen. Und die Frage „wohin“ will ja auch mit dem Motto des Congress „tuwat“ beantwortet werden.

So lange wir uns in Hinterzimmern trafen, in angemieteten Kellerlokalen und befreundeten Wohngemeinschaften, konnten wir relativ unbehelligt agieren. Lasst doch die Muggles da draußen machen, was sie so machen wollen, uns kann das doch wirklich herzlich egal sein. Do your thing, und gut is’.

Je nun. Erstens sind wir den Muggles, oder wie immer man „die da draußen“ bezeichnen will, nicht egal, ganz im Gegenteil. Wir sind für sie abwechselnd unheimlich, lächerlich oder faszinierend, aber „egal“ stand da nie auf dem Menü. Zweitens ziehen wir ja nun schon länger durch die Lande und predigen, dass es auch Muggles nicht egal sein kann, was heute so digital abgeht, von meltdown und spectre bis hin zu Überwachungsstaat und Uploadfilter, und werden damit auch wahrgenommen. Und drittens, wenn die taz mal schreibt, dass der Congress „das gesellschaftspolitisch wichtigste Ereignis des Jahres“ sei, kann man daran auch nicht ganz achtlos vorübergehen. Ok, es war nur die taz, und ob das nun nur für Deutschland galt oder für Europa, oder sonst wie oder was, war ja auch beim taz-Artikel nicht so klar. Aber klar ist: Wir werden wahrgenommen, wir werden ernst genommen, auch als potentielle Gegner, und somit ist es an der Zeit, den Mythos „Wir haben mit Politik nix am Hut“ endgültig zu verräumen, weil’s einfach nicht wahr ist: Wir haben die Politik voll an der Backe.

Nur: ob wir das, was im Orwelljahr im Eidelstädter Bürgerhaus mit ein paar Nerds begann, die sich gegenseitig ihren geilen foo vom Vorjahr zeigen und ansonst mal in Ruhe drei (später: vier) Tage verbringen wollten, ob wir dieses Feeling jenseits der 15k Teilnehmer von Leipzig skalieren können, ist noch nicht wirklich raus.

Manchmal krieg’ ich echte déjà-vu. Wenn ich durch den Congress gehe und auf ein handgeschriebenes Plakat stoße: „Endlich normale Menschen!“ Ja, eh’. Dieses Gefühl eines „wir“, was auch immer das sein möge. Das ist mir nicht unvertraut. Man möge mir verzeihen, ich bin schon etwas älter und daher auch schon länger dabei, 1968, weiland im Mai, als sich die Studenten in Paris Straßenschlachten mit den CRS lieferten, da war ich sechzehn und politisch noch recht ahnungslos. Aber wenn da ein paar Studenten versuchten, die Welt zu ändern, wollte ich unbedingt dabei sein, also ließ ich einen Zettel auf dem Tisch liegen und fuhr per Autostop, nach Paris, dorthin wo die Pflastersteine flogen. Dort bin ich zum ersten Mal diesem wir-Gefühl begegnet. Damals waren wir alle überzeugt, wir würden die Welt verändern.

Das Gefühl kam später noch ein paar mal, nicht oft. Im Alter wird man vorsichtiger, und auch bescheidener. Aber für vier Tage, auf dem Congress, läuft das schon ganz gut. Obwohl, das mit dem die Welt verändern …

Weil weiter oben von Hackerästhetik die Schreibe war: Es ist weit mehr als Lichtinstallationen und schwarze T-Shirts. Es fallen Stichworte wie Hackerethik – bei Redaktionsschluss wurde noch diskutiert – und diese besondere Art, respektvoll miteinander umzugehen. Wobei, wir plagen uns ja schon, das in unseren Hackspace-Alltag einzubringen. Aber am Congress scheint das schon mal halbwegs zu funktionieren.

Es gehört aber noch mehr zum Kanon dieser neuen Ästhetik. Memes fallen mir da ein, Redewendungen, Formen der Kommunikation, all das halt, was ein „wir-Gefühl“ vermitteln, verstärken, bestätigen kann. Normale Leute sind Leute so wie wir, in Hoodie und ungeschminkt … oh Mann, Leute, ich komme ab sofort nur mehr im Anzug … Igler, Du weichst ab. Das diskutieren wir ein andermal.

Was unbedingt auch zur Ästhetik gehört und mir so unpackbar gut gefällt: Diese anarchische Lust, sich über sich selbst lustig zu machen. Die Engelgewerkschaft trägt Züge von Dadaismus. Absolut genial. Und, als gelernter Österreicher: Deutsche haben Humor! Hinreißend. Mein Weltbild gerät ins Wanken.

Und dazwischen, immer wieder, die Angst, dieses „unter-uns-Gefühl“ bei einer weiteren Skalierung nach und nach zu verlieren. Der Club wird endlich erwachsen, steht zu seiner gesellschaftlichen Verantwortung, wird eine breite Bewegung, eventuell auch eine politische … pfui Spinne, das ist ja wie in Real Life. Erwachsen werden kann ich selber …

Wie war das? Wir haben uns redlich und ernsthaft und mit allen zur Verfügung stehenden Mittel bemüht, ja nicht so zu werden wie unsere Eltern. Und sind tödlich beleidigt, wenn unsere Kinder nicht so werden wollen wie wir. Ob all die Kids, die in Leipzig in der Ticketschlange standen und sichtlich zum ersten Mal bei einem Congress waren, das auch so sehen wie wir? Das Anarchische skaliert schlecht, wie wir schon von den Piraten wissen, weshalb es mich auch überhaupt nicht wundert, einen Haufen alter Piratenkumpel auf dem Congress wieder getroffen zu haben. Es gab sogar einen Hashtag. Alles was das Hackerherz begehrt.

In diesem Kontext auch relevant: Bei vielen Engeln, vor allem wenn sie mit ihren gelben Warnwesten unterwegs waren, entstand öfters der Eindruck, sie würden als eine Art Personal angesehen. Das fällt zusammen mit der Einschätzung, dass mehr und mehr Besucher auf den Congress als „reine Konsumenten“ kommen. Hony soit qui mal y pense aka ein Schelm, wer schlecht davon denkt. Ist das der Preis, den wir für’s Skalieren zahlen?

Und dennoch, trotz allem: Ich persönlich glaube daran, dass wir das richtig machen, was wir da tun. Wir müssen uns noch mehr in den politischen Diskurs einbringen, vor allem in den gesellschaftspolitischen. Ja, wir müssen weiter wachsen und noch mehr Einfluss bekommen. Das heißt auch, dass der Gegenwind stärker wird. Das Leben ist kein Ponyhof.

Und wir müssen unser Wissen um die Gefährdung dieser unserer Demokratie besser unter die Leute bringen. Es hat keinen Sinn, zu sagen, installiert euch Linux und verwendet Open Source, dann werden die Probleme weniger. Tun sie nicht. Die Menschen haben Windows und Word und WhatsApp installiert und sind heilfroh, wenn sie das halbwegs bedienen können. Und ein politisches Bewusstsein darüber, wie das alles genau abläuft, kriege ich auch gebacken, wenn ich auf Edge und Outlook unterwegs bin. Wir müssen, wie das so schön neudeutsch heißt, die Menschen dort abholen, wo sie sind. Und dort, wo wir sie vermuten oder erhoffen, dort sind sie nicht. Ja, ich weiß: Die Diskussionen dauerten bei Redaktionsschluss noch an.

Ansonst? Es war wie immer: Überwältigend, ein mehrfacher stack overflow an Erkenntnissen, gelernten Dingen, coolen Erfahrungen, emotionellen Augenblicken, Lachen, wir-Gefühl … endlich normale Leute, halt. Der Umzug nach Leipzig hat geklappt, wir können alle zufrieden sein. Ich zähle die Tage bis zum nächsten Congress.

Und verweise auf das Wochenende im März, an dem wir angeblich auch über die Fragen, die ich mir hier gestellt habe, diskutieren werden. Mal sehen.