Wie Steve Apple Inc. rettet, indem er den Mac tötet.

„Steve is back!“ Ein Raunen geht durch die Reihen, denn der tot geglaubte Prophet einer schönen neuen Computerwelt ist wieder da: Spindeldürr, aber sichtlich gesund und bestens gelaunt, tanzt der Robin Hood der Desktops im jüngsten Podcast aus San Francisco über den kratzfesten Touchscreen. Trotz Krise und Lebertransplantation will der Magier des Marketing Apple Inc. weiter in lichte Höhen führen, als nächstes soll der Markt der Minicamcorder aufgemischt werden. „Das ist ein großer Markt“ lässt Steve seinen Statthalter Phil Schiller die Einzelheiten erläutern, da will man auch ein Stück vom Kuchen haben, und ein nicht zu kleines, bitteschön.

Cisco, mit Intel und Microsoft einst das Dreigestirn der Digitalen Zukunft, twitterte noch am selben Abend: „Imitation ist das ehrlichste Kompliment.“ Der weltgrößte Hersteller von netztechnischer Hardware hat vor wenigen Monaten Pure Digital übernommen, das seinerseits mit der Flip-Videokamera in den USA den Hosentaschen-Camcorder salonfähig gemacht hat, der angedrohte Angriff der Äpfel scheint bedrohlich.

Die Zahlen sind beeindruckend: Dreissig Millionen Eierföhne in den ersten zwei Jahren verkauft, 73 Prozent Marktanteil in den USA für den iPod, der iStore im neuen Design und „der mit Abstand größte Music Site der Welt“, mit alleine zwei Milliarden Downloads nur für meist sinnfreie Eierföhn-Zusatzprogrämmchen – da kann man echt nicht meckern.

Wäre ich Investor und hätte Aktien von Apple, ich wäre hoch zufrieden. Bin ich aber nicht. Ich bin ein einfacher Apple-User. Und mir fällt auf, dass Steve auf seinem Weg in die schöne neue Apfelwelt immer wieder Prinzipien aufgibt, die dereinst die Eckpfeiler des Apple’schen Selbstverständnis waren. Und das macht mich dann doch ein wenig nachdenklich.

Um das genauer zu verstehen, machen wir jetzt einen klitzekleinen Ausflug in die Technik.

Dereinst, als das Ganze los ging, waren Computer irgendwelche Riesenkasteln, die man mühsam mit Lochkarten fütterte und die als Antwort lange Papierschlangen ausspuckten, zu deren Interpretation man eine eigene Ausbildung benötigte sowie den Stromverbrauch einer mittleren Kleinstadt.

Dem gegenüber stellten die zwei Studenten Steve Jobs und Steve Wozniak ihr Konzept des „Personal Computer“, auf dem man per Tastatur und in normaler Umgangssprache seine Eingaben machen konnte, und der per Bildschirm für jeden DAU verständliche Antworten gab. Der Rest ist Geschichte, die sparen wir uns hier, schließlich sitzen Sie gerade jetzt vor so einem Kastl, geneigte Leserin und geschätzter Leser, das erklärt ja wohl alles.

Schon damals zeigte Jobs seine geniale Fähigkeit, Konzepte anderer Leute einfach zu übernehmen und sie anschließend so zu präsentieren, dass man ein völlig anderes, neues, ganz revolutionäres Produkt sieht. Das macht Herrn Jobs zum absoluten King of Marketing, zum Halbgott des Rebranding und zum Genius des Repackaging. Niemand sonst hätte uns die einfache Mix-Funktion jedes CD-Players als völlig neues Feature verkaufen können (und wäre anschließend damit auch noch durchgekommen.)

Egal. Der erste „Mac“ war jedenfalls eine Sternstunde der Digitalen Revolution, und das hatte auch viel mit der Art zu tun, wie man mit einem Mac von Anfang an seine Arbeit strukturieren konnte, etwas was die Fachleute gerne den „Workflow“ nennen.

Ein Beispiel aus meiner täglichen Arbeitswelt:

PostScript ist eine Seitenbeschreibungssprache, also eine Art Code, mit dem man genau festlegen kann, wie etwas aussieht, das auf Papier (oder dem Bildschirm) erscheint: Dort steht das Bild, hier der und der Text, in der und der Schrift, so und so gesetzt, blahfasel. Weil das nur ein paar Formeln sind sowie ein bisserl Text, statt Pixel für Pixel das ganze Bild, sind diese Dateien wesentlich kleiner und daher sehr beliebt in der Druckerwelt, sprich: PostScript ist dort Standard.

Jedes anständige Grafikprogramm kann daher solche „Encapsulated PostScript“-Dateien erzeugen, als Dateisuffix haben sie immer „.eps“.

Wie wir wissen, ordnet so ein Compi über diese Extensions die jeweiligen Dateien einem Anwendungsprogramm zu, so dass man einfach auf die Datei klicken kann, dann geht sie im entsprechenden Programm auf.

Nur: Windows konnte (und kann bis heute) eine Extension nur jeweils einem Programm zuordnen.

Schon im ersten Mac-OS war das anders. Dort konnte man jede Datei einzeln oder gruppenweise jeweils verschiedenen Programmen zuordnen. Statt der DOS-üblichen Extension werden dabei so genannte „Metadaten“ gemeinsam mit der Datei gespeichert.

Zurück zur Praxis: Obwohl alle Encapsulated PostScript-Dateien hinten .eps heißen, kann man beim Mac einfach draufklicken, und sie gehen mit dem Programm auf, mit dem sie erzeugt wurden. Und weil ein Photoshop-EPS was anderes ist als ein Illustrator-EPS, oder Gott bewahre ein XPress-EPS oder ein InDesign-EPS, ist das auch gut so und macht das Arbeiten auf dem Mac übersichtlich und einfach.

Unter Windows geht jedes EPS mit dem Programm auf, das der Extension .eps zugeordnet ist. Defaultmäßig ist das meist Illustrator. Und wenn man das nicht will, muss man jedes Mal ->Rechtemaustaste ->öffnen mit ->wo ist denn jetzt das blöde CS? spielen, das ist mühsam, zeitraubend und öd, und daher unbeliebt.

Das ist nur eines der Beispiele, wie genial durchdacht das Mac-OS von Anfang an war, und wie klobig und unhandlich dagegen so ein Mickeysoft-Gedrödel immer war.

Zurück zur Realität: Nach jüngsten weltweiten Zahlen hat das klobige Gedrödel 93,4 Prozent Marktanteil weltweit bei Desktop Computern, Mac OS hat vierkommasechs, die restlichen Punkterln teilen sich alle Anderen, also sämtliche Distributionen von Linux und Unix und SunOS und HP-UX und FreeBSD und wasweißichnochalles, die meisten davon weit unter der statistischen Wahrnehmungsgrenze.

Sie erinnern sich noch an die Schlachten der Videoformate VHS und Betamax? Betamax war technisch eindeutig besser, dennoch gewann am Ende VHS, dank besserer Distribution, besserem Marketing und klügerer Lizenzpolitik, haushoch. Und wir hatten deutlich besch(zenziert) Videos, bis zur Einführung von HD-TV. So ähnlich ist das halt auch bei Betriebssystemen von Computern, und deshalb sieht die Welt so aus, wie sie aussieht.

Nun muß man auch einräumen, dass alle anderen Erzeuger kleiner schlauer PC, ausser eben Apple und der allmächtige Wintel-Gigant, in der Zwischenzeit geräuschlos verschwunden sind. Atari? Commodore? Wang? (Wer bitte? Ja, die gab’s auch mal.) Und dass es an ein Wunder grenzt, dass es Apple noch gibt, und dass sie tatsächlich PC erzeugen und hoch aktuell verkaufen, die sich deutlich vom Wintel-Standard unterscheiden, und meist die technisch feineren, eleganteren Lösungen haben, weil eben niemand so genial klauen kann wie Steve.

Nun haben sie Steve bei Apple ja schon mal rausgeworfen, dann ging man so gut wie Pleite, dann gab M$ finanzielle Hilfe und Steve kam zurück, seither geht es steil aufwärts. Das erklärt den halbgottähnlichen Status von Steve Jobs, nicht nur bei den Fanboys, sondern auch bei der Konkurrenz.

Was dabei nicht so auffällt, ist die Tatsache, dass Steve diesen Aufstieg seit seiner Rückkehr an das Steuer des Obstschiffes de facto mit der stückweisen Aufgabe des Apple’schen „anders sein“ bezahlt hat.

Jüngstes Beispiel ist das neue Release des Apple Betriebssystems Mac OS X 10.6.1 „Snow Lepard“. Dort ist die klassische, „creator code“ genannte Bindung einer Datei an ein bestimmtes Anwendungsprogramm von Apple selbst aufgegeben worden, zu Gunsten der Windows-üblichen Methode der Identifizierung via Extension. Gerüchteweise gegen den Widerstand der Coder, und auf ausdrücklichen Wunsch Seiner Majestät.

Will heissen: So wie es derzeit aussieht, werden wir ab Schneeleopard auch bei jedem EPS-File das Rechte-Maustaste-Spiel spielen, *seufz* und dafür wieder ein Stück kompatibler zu den 94 Prozent der restlichen Welt sein.

Scheiss Globalisierung.

Wer’s im Detail wissen will, kann es hier nachlesen.

Jedenfalls wird das Betrübsystem meiner Äpfelchen mit jedem Release den jeweiligen Windoze-Systemen ähnlicher. Schon heute lässt sich ein Programm wie CS von Adobe nicht mehr rückstandsfrei von einem Mac entfernen, es sei denn, man weiß genau, wo Adobe welche Dateien wie hinlegt, und selbst das ändert sich von Release zu Release. Auf OS 9 gab’s dafür zwei Ordner, auf dem BSD, das unter OS X werkelt, gibt es in klassischer UNIX-Tradition dafür mindestens zwanzig, und wenn es einer Applikation gefällt, dann legt sie auch noch zwei weitere an. Früher™ war das anders, und Apple hielt die Prinzipien hoch und zwang die Entwickler, sich dem System zu beugen; aber damals war damals, und heute ist heute, und Steve verdient sein Geld mittlerweile anderweitig.

Nicht von ungefähr hat Steve vor ein paar Jahren das Wort Computer aus dem Unternehmensnamen entfernen lassen, Apple Inc. wird weiterhin wachsen und Geld verdienen und uns mit schicken Must-haves beglücken, und wahrscheinlich werden die PC einfach deshalb weiter gut gehen, weil ihr Coolnessfaktor nach wie vor unübertroffen sein wird, dank Steve’s Genialität und so lange der Vorrat an Organspendern nicht ausgeht. *scnr*

Und irgendwann wird uns gar nicht mehr auffallen, ob da gerade OS X oder Windows Seven läuft, auf unserer todschicken, überteuerten Hardware mit dem unüberbietbaren Kühlheitsfaktor.

Ach ja, und was die EPS-Dateien betrifft: Das hat mittlerweile Adobe *spuck* längst mit seinem portable document format erledigt.

4 Antworten auf „Wie Steve Apple Inc. rettet, indem er den Mac tötet.“

  1. danke für die vitamine, aaaber…
    ein steve, der auf größere marktanteile spechtelt und dafür seine äpfel vom image der überteuerten grafiker-tools befreien möchte, der kann creator codes getrost in den biomüll entsorgen. oder kennt jemand noch drei andere gebräuchliche datenformate/anwendungen neben eps, wo sowas den arbeitsfluss zwingend vereinfachen würde? vielleicht für mehr als nur eine spezielle berufsgruppe? die schicke generation fakebook-zwitscher-itunes pfeift vermutlich drauf. vor lauter selbstdarstellungsdrang ist uns ja auch wurscht, wo, wer und welche persönlichen daten bekommt, speichert, auswertet und weiterverscherbelt. gleiches bin ich geneigt dieser (angeblich explosionsartig wachsenden) benutzergruppe zu unterstellen, wenn es um die speicherorte von anwendungen in den tiefen des systems geht. wenn eine einfachere struktur auch sinnvoll wäre – technische argumente sind halt leider selten zielführend. gekauft werden hübsche icons, manch cooles aber sinnfreie progrämmchen und das image der anwenderfreundlichkeit – was vielleicht auch einmal hinterfragt werden sollte.

  2. Creator Codes sind (waren?) schon was Feines, und es gibt schon mehr Beispiele als .eps-Dateien (.pdf? .jpg? .txt? .TIFF?), aber Du hast natürlich recht, Steve kann das problemlos entsorgen. Tut er ja auch. 🙁
    Mac war halt besonders fein für alle Kreativen, in Musik, in der Grafik, beim Film – das Image haben sie ja auch weg. Auf Dauer, lehrt allerdings auch die kalt-nüchterne Marketingerfahrung, kann man Anmutung und Realität eines Produktimage nicht allzu sehr auseinander wandern lassen … schaumer mal

  3. Ach ja?
    Program icons auf OS X sind in Wirklichkeit ja Programmfolder (rechte Maustaste ->show content) die alles enthalten (sollten), was ein Programm zum Laufen braucht. Zumindest war das mal die Philosophie, die man noch von früher übernommen hatte. Manche (richtig programmierte, i.e. im Sinne von Apple) Programme sind auch heute noch so geschrieben. Wenn man die deinstallieren will, nimmt man diesen Folder und wirft ihn weg, und gut ist.
    Und dann installiere doch einen Logger und anschließend CS. Und dann schau mal, was der alles wohin legt.
    Natürlich „kann man“ das alles auch händisch wieder rausfrickeln. Es war aber, zumindest im Original, nie so gedacht.
    PS Danke für’s konstruktive Klugscheissen.

Schreibe einen Kommentar zu uhl Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.